Clutching at Hombach

Manchmal gibt es schon terminliche Zufälle, die im Nachhinein ein wenig absurd wirken. Während also am Mittwoch abend Mr. Jobs das iPad vorstellt und alle (neue) Medienwelt kurz vor der Hyperventilation steht, treffen sich in Dortmund Deutschlands Lokalredaktionen zum „Forum Lokaljournalismus“. Und während die einen Jobs lauschen und sich schon bevor das Produkt überhaupt auf dem Markt war einig sind, dass dieses Ding neben vielem anderen auch die Medienwelt retten wird, hören die anderen Jürgen Rüttgers zu. Und Bodo Hombach.

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Jürgen Rüttgers weiß also zumindest schon mal, was Twitter ist. Irgendjemand nämlich nannte ihn in einem Tweet mal einen „echten Rhein-Ruhri“, was Rüttgers zu der Feststellung verleitete, das meiste, was getwittert werde, sei nach zwei Sekunden schon wieder vergessen. Und dass nicht alles, was im Netz steht, wirklich von Bedeutung sei (dass man das getrost auch von Zeitungen behauptet werden kann, sei dahin gestellt). Ansonsten zeigte sich Rüttgers von derart herzerfrischender Ahnungslosigkeit, dass man sich fast schon wieder Gedanken machen müsste, wie es eigentlich um Politik und (neue) Medien bestellt ist. Den Online-Auftritt der WAZ bestaunte er ausgiebig dafür, dass es dort so bahnbrechende Dinge wie Videos und Audios gibt und den Fortbestand der Tageszeitung begründete er mit irgendwelchen tausendmal gelesenen Glaubwürdigkeitsstatistikuntersuchungen und der unwiderlegbaren Tatsache, dass er selbst ja auch gerne Zeitung lese (dann ist ja gut). Auch der Debatte um Google gab Rüttgers eine ziemlich neue Dimension. Man hat ja schon viel zum Thema gelesen, aber dass Google die Inhalte der Zeitungen „missbrauchen“ würde, hat man selbst von großen Google-Kritikern noch nicht gehört. Für einen kurzen Moment ging mir währenddessen der zugegeben leicht böse Gedanke durch den Kopf, Rüttgers manifestiere damit ungewollt die zunehmende Bedeutungslosigkeit von Zeitungen. Ich meine, da versteigt sich jemand also allen Ernstes zu der Vermutung, ein Gigant wie Google sei in irgendeiner Weise auch nur im Ansatz davon abhängig, ob er die Inhalte der, sagen wir, „Westfälischen Rundschau“ anzeigen darf.

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Immerhin weiß auch Jürgen Rüttgers, dass es guten Journalismus „nie“ umsonst gibt. Die Lösung dafür soll zumindest in NRW sein, dass die Verlage sich künftig stärker an Lokalsendern beteiligen dürfen, was insofern eine originelle Idee ist, als dass das Beispiel Bayern, wo es einen sogenannnten „Kabelgroschen“ zur Förderung der lokalen Sender gibt, ziemlich schön zeigt, was viele Verlage mit ihren Beteiligungen strategisch so anfangen. Sie blockieren schlichtweg Frequenzen, damit kein anderer in das schöne Bonsai-Monopol eindringen kann. Da senden nicht selten schlecht bezahlte und kaum ausgebildete junge Menschen an der Grenze zur Selbstausbeutung irgendwelchen Plunder. Das garantiert dann laut Rüttgers hochwertigen Journalismus und eigentlich müsste man ihn angesichts dieser Idee dazu verdonnern, mindestens einen Tag lang am Stück das Programm eines beliebigen Regionalsenders anzusehen.  Übrigens, der Name „iPad“ fiel in Rüttgers´Ansprache nicht einmal.

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Schreiben kann ich das alles mit besten Gewissen, weil es in zwei Sekunden eh keiner mehr weiß. Eins, zwei, vorbei.

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Mit Blogs und Twitter hatte es auch ein anderer nicht so sehr: Bodo Hombach zeigte sich von Blogs „enttäuscht“ und attestierte ihnen irgendwie mangelndes Niveau, im Zusammenhang mit Twittern fiel dann auch mal der schöne Begriff der Inkontinenz. Dagegen die schöne heile Lokaljournalistenwelt des Onkel Bodo: Engagierte Journalisten, die den Menschen ihre Region, ihre Heimat nahebringen, ihr Anwalt und ihr Geschichtenerzähler zugleich sind, immer gut recherchierend, immer am Puls der Zeit. So funktioniert in Hombachs Welt die regionale Tageszeitung, und wenn sie nicht gestorben sind, dann recherchieren sie noch heute. Den möglicherweise auftauchenden Einwand, wie sich das denn mit 300 entlassenen Leuten im vergangenen Jahr vertrage, wischte Hombach schon im Vorfeld im Interview mit dem eigenen Online-Portal elegant beiseite: ob es denn wirklich einen Unterschied mache, ob nun beispielsweise an einem Kunstwerk vier oder fünf Leute arbeiten würden? Hombach im O-Ton: „Wird die Oper besser, nur weil fünf Geiger mehr auf der Bühne sitzen? Wird das Bild des Malers besser, wenn zwei weitere mitmischen?“

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Macht natürlich keinen, ist klar. Die 300 Entlassenen bei der WAZ waren also, so gesehen, eh überflüssig. 40.000 Exemplare Auflage hat die WAZ übrigens alleine im letzten Quartal verloren (undankbares Leser-Pack, undankbares). Clutching at straws nennt man sowas übrigens in England und man müsste der WAZ eigentlich wünschen, dass sie nur sehr eingeschränkt clutching at Hombach betreibt.

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Hätte Hombach sich übrigens die Mühe gemacht, ein wenig von der inkontinenten Twitterei an diesem Abend zu lesen, hätte er bemerkt, dass seine Dinneransprache ein kleines bisschen Befremden auslöste. „Zum Davonlaufen“ war noch einer der harmloseren Kommentare. Und, ach ja: Vom iPad sprach auch Hombach nicht.

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Der Tag darauf: ein ziemlich großer Saal mit Tageszeitungensleuten und eine deutliche Erkenntnis. Die Klügeren unter ihnen haben lange schon begriffen, dass es so wie jetzt nicht mehr weitergehen wird. Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung überreichte mir (trotz einer schon mal etwas uncharmanten Bemerkung in diesem Blog über ihn mit bemerkenswerter Freundlichkeit) eine Visitenkarte, wie selbstverständlich stand dort neben den üblichen Kontaktdaten auch sein Twitter-Alias. Man wird mit Twittern nicht die Welt retten können (bevor jetzt wieder dieser Einwand kommt), aber ein Chefredakteur mit Twitter-Alias auf der Karte: Wenn sie denn alle wenigstens so wären, dass sie es mal probieren und gerne mit anderen kommunizieren, um die Zukunft der Blätter wäre es gar nicht mehr so schlecht bestellt. Übrigens habe ich eine Reihe geistreicher Tweets zum Forum gelesen und nachdem die nahezu alle von Medienleuten und Journalisten stammten, hat sich mein Zuversichtspegel dann doch wieder etwas nach oben bewegt.

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Erstaunliches Beharren auf früher dagegen vom Chefredakteur des „Darmstädter Echo“: Man verzichte aufs Twittern und habe stattdessen in ein hochmodernes Druckzentrum investiert. Die 5 Minuten Zeit zum Eröffnen eines Accounts waren dann nicht mehr drin?

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Bemerkenswert für mich dann auch der Nachmittag: Leider endete das Forum Lokaljournalismus für mich schon wieder am Donnerstag, obwohl ich gerne noch länger gelieben wäre und den (aufrichtigen) Eindruck hatte, mit dem einen oder anderen Beitrag in diesem Blog zum Thema Lokaljournalismus/Lokaljournalisten vielleicht doch etwas daneben gelegen zu sein. Sieht man mal von den Rüttgershombachdarmstädtern ab, hatte ich den Eindruck, dass es da eine ganze Reihe von Leuten gibt, die zumindest begriffen haben, dass es das gewesen ist mit dem Geschäftsmodell und dem Journalismus früherer Tage. Für mich ging es danach unmittelbar weiter nach Berlin, wo der Zeitungsverlegerverband zu einem Fachtag zum Thema „Video“ eingeladen hatte. Ich war dort schon einmal vor zwei Jahren eingeladen — und siehe da: Während wir damals wirklich noch über Basiskenntnisse zum Thema sprechen mussten, ging es diesmal schon ein ganzes Stück weiter. Ich weiß, auch  mit dem Thema Video alleine werden wir unsere Redaktionen nicht retten können. Auf der anderen Seite: Hätte mir jemand vor zwei Jahren erzählt, ich würde 2010 auf dem selben Kongress sitzen und man würde dort sehr ernsthaft probate Vermarktungsmodelle diskutieren (und das alles, nachdem ich gerade von einem Kongress mit einer richtigen Twitter-Wall am Podium gekommen war), hätte ich ihn für einen hoffnungslosen Optimisten gehalten.

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Vielleicht wird ja alles gut — und wir überstehen sogar Bodo Hombach.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Lars Hennemann

    Ich verspreche, mindestens zwei Mal wöchentlich bloggen zu wollen 🙂
    Im Ernst: Danke für erneute eye-opener. Es gibt ja auch noch Vinyl-Platten, aber man muss in schwiemelige Keller-Läden klettern, um sie überteuert zu kaufen. Oder online, bei denen, die eh bald ein Zollhäuschen vor allen Medieninhalten stehen haben. Da frag ich mich schon, wie lange manch einer den Schlaf der Gerechten noch schnarchen will…

  2. jw

    Fein! Einmal mehr erschreckend. Gibt’s R&H irgendwo als Horror-Video?

  3. Peter Löwenstein

    Danke. Insbesondere für „Rüttgershombachdarmstädter“ / für die Bemerkung über Jörg Riebartsch vom Darmstädter Echo. Es fällt auf, dass die Oberpriester des Medienhauses Südhessen sich beim Gürtel enger schnallen diesen wohl um den Hals gelegt haben müssen.

    Und auch hier sind Politiker wie z.B. Landrat Pit Schellhaas vom Landkreis Darmstadt-Dieburg herzerfrischend ahnungslos im Umgang mit Twitter und Chats, und verteidigen mit ähnlichen Argumenten, warum das Darmstädter Echo überleben soll.

  4. S. Michael Westerholz

    Kleiner Spaß am Rande: Warum sollte Rüttgers (CDU) die WESTFÄKISCHE RUNDSCHAU lesen? Dies ist doch heute ein ebenso fades Blatt wie die WESTFALENPOST aus dem selben Haus: Ja vor 40 Jahren – da waren das engagierte rote (WR) und schwarze (WP) Zeitungen mit Lokalteilen vom Feinsten. Unter dem Dach der WAZ wurden sie, wie diese selbst. Und kippen mit ab!

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