Journalistische Abwicklung, tariflich geregelt

Jetzt wird dann also wohl gestreikt in Deutschlands Zeitungsredaktionen. Das ist kein richtiges Wunder, weil es bei der aktuellen Tarifauseinandersetzung schon lange nicht mehr nur um ein paar Euro mehr oder weniger geht. Die Tatsache, dass sich diese Verhandlungsrunde seit rund einem Jahr hinzieht, zeigt, dass abseits der üblichen Kampfrituale eine Weichenstellung stattfindet. Wie geht es mit dem Journalismus im Allgemeinen und mit den Tageszeitungen im Speziellen weiter?

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Es lohnt sich vermutlich in diesem Zusammenhang einen Blick darauf zu werfen, wie sich journalistischer Alltag präsentiert. Natürlich ist das ein risikobehaftetes Unterfangen, weil es schlichtweg nicht legitim ist, aus einigen herausgegriffenen Beispielen sehr pauschale Rückschlüsse auf den Zustand des J. als solchen zu ziehen. Das eine oder andere sagen solche Beispiele dann aber doch aus. Fangen wir mit denen an, die jeden Tag über unsere eigene Branche schreiben. Weil man ja meinen könnte, dass diejenigen, die sich die Medien und somit auch ihren eigenen Job zum Thema gemacht haben, damit ganz besonders gründlich umgehen könnten. „Meedia“ beispielsweise, eines der zumindest quantitativ größten Medienportale in Deutschland, hat gestern eine wirklich schockierend klingende Nachricht veröffentlicht:

 

„Meedia“ ist angesichts dessen auch aufrichtig besorgt und schreibt:

Ein Ergebnis von knapp über 80 Punkten ist in jedem Fall alarmierend, denn als Durchschnitt der Bevölkerung gilt 100. Das würde bedeuten, dass viele Internet-Explorer-Nutzer weit unter dem Normalwert liegen.

(Und ja, man muss befürchten, dass die Kollegen das wirklich ernst meinen). Das wäre tatsächlich alarmierend und angesichts dessen, dass der IE immer noch einen sehr respektablen Markantteil besitzt, ziemlich erschütternd. Ab einem IQ von 85 sprechen Wissenschaftler von einer Lernbehinderung, ab einem IQ von 70 nähert man sich dem Schwachsinn. Hätte „Meedia“ mit seiner alarmierenden Analyse Recht, säße am IE ein beträchtlicher Anteil von Menschen mit Lernbehinderung. Das ist so absurd und (sorry für den schlechten Wortwitz) schwachsinnig, dass es sogar bei „Meedia“ irgendjemandem ohne große Recherche auffallen hätte müssen. Vielleicht ist es das sogar, aber dann hätte man so eine schöne Schlagzeile wie „Browser für Dumme“ nicht machen können. Aber ganz davon abgesehen – das, was Meedia rauslas, stand in der Originalstudie gar nicht drin und der Auftraggeber der Studie war dann auch ziemlich erschrocken als er las, was ihm einige Journalisten reininterpretierten. Im Unternehmensblog von AptuiQuant schreibt deren CEO Leonard Howard:

“I just want to make it clear that the report released by my company did not suggest that if you use IE that means you have a low IQ, but what it really says is that if you have a low IQ then there are high chances that you use Internet Explorer.”

Das wäre zwar immer noch eine reichlich steile These und man könnte dafür auch allerhand simple Erklärungsversuche starten, aber in jedem Fall steht da ausdrücklich nicht: Der IE ist der Browser für Dumme und von einem durchschnittlichen IQ des IE-Nutzers von knapp über 80 steht da auch nichts. Aber mit der Differenzierung haben sie es eh nicht so bei „Meedia“. Dieser Tage brachten sie eine Geschichte über das Geheimnis der Killer-Apps und hängten das auf an einer Studie einer Unternehmensberatung, in der weitgehend bekannte Ergebnisse zum Nutzungsverhalten von Usern im mobilen Netz zusammengefasst wurden. Man mag jetzt seufzen: ein Ausnahmefall, dieses „Meedia“. Aber immerhin, wie gesagt: ein großes deutsches Portal, von Journalisten für Medienmacher. Irgendwie bezeichnend, wenn man Perlen der Schlamperei, der voreiligen und falschen Rückschlüsse und der übergeigten (Copyright: K. Diekmann) Überschriften ausgerechnet dort regelmäßig findet.

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Eine ziemlich unschöne Sache hat sich zwischenzeitlich Spiegel Online geleistet, wobei das auch deswegen so erwähnenswert ist, weil diese Geschichte vermutlich in vielen anderen Redaktionen des Landes auch spielen könnte, Spiegel Online aber das Problem hat, zu den prominenteren Redaktionen zu gehören, bei denen man schon mal etwas genauer hinschaut und die Gefahr aufzufallen somit entsprechend größer ist. Jedenfalls hat Spiegel Online eine Geschichte über den Unterschied zwischen den Gehältern lediger und verheirateter Menschen gebracht und sich dabei nur wenig Mühe gemacht, das Original aus dem „Handelsblatt“ umzuschreiben. Stattdessen klingt die Geschichte nahezu wortgleich so wie die Quelle, die Kollegen vom Handelsblatt haben das hinreichend dokumentiert. Das passende Argument kann man sich jedenfalls schon vorstellen: Wieso, da ist doch ausdrücklich die Rede davon, dass es sich beim Original um einen Handelsblatt-Text handelt. Was richtig ist, trotzdem aber keine Begründung dafür, einen Text nahezu wortgleich zu übernehmen. Nebenbei bemerkt: Das wäre doch wirklich mal eine Debatte über ein Leistungsschutzrecht wert, wenn sich dieses dreiste und sehr schlichte Wiedergeben von Inhalten anderer so eingebürgert hat. Immerhin leben ja inzwischen etliche Autoren und Redaktionen davon, den Inhalt beispielsweise von Fernsehsendungen nachzuerzählen. Dass Journalisten gerne mal nahe am Abschreiben sind, ist leider alles andere als ein Einzelfall. Das ist inhaltlich bedenklich und wenn man es aus ökonomischer Sicht sieht auch ziemlich unverschämt: Man nimmt sich die Arbeit eines Kollegen, versieht es mit dem Zusatz „wie XY berichtet“ und setzt das Ganze ab und an in den Konjunktiv. Rechtlich mag das in Ordnung sein, aus ungefähr jeder anderen Sicht sind das merkwürdige Gebräuche, die im Journalismus als normal gelten.

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Warum steht das alles hier – in einem Beitrag, der sich mit der Lage des Journalismus und seiner Zukunft beschäftigen soll? Zwei, drei willkürlich herausgenommene Beispiele sollen den Zustand des Journalismus und möglicherweise auch noch Rückschlüsse über dessen Zukunft geben? Empirisch gesehen würde das nicht funktionieren, wohl aber als Beleg dafür, dass es Dinge gibt, die sich Journalisten abseits aller Debatten über Tarife, Internet und all die anderen Buzzwords selber zuschreiben müssen. Die aber gleichzeitig – zugegeben – auch an Rahmenbedingungen liegen, die schlichtweg nicht mehr so sind, wie sie sein müssten, wenn man ordentlichen Journalismus machen will.

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Es haben sich über die Jahre Dinge eingeschlichen, die nicht funktionieren können. Sie sind so selbstverständlich geworden, dass man im Alltag kaum mehr über sie redet, trotzdem machen sie Journalismus per se auf Dauer tot. Zum Beispiel der Faktor Zeit. Zeit für eine ordentliche, sauberere Recherche, mit anschließendem gründlichem und möglicherweise externem Factchecking? Gibt es, aber ich würde wetten, dass in einem Großteil der Redaktionen diese Idee als zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber de facto nicht umsetzbar bewertet würde. Damit sind nicht die Großen dieses Landes gemeint, sondern die große und möglicherweise schweigende Masse. Und dort ist es vermutlich wirklich ein abenteuerlicher Gedanke, sich lange und intensiv Recherchen widmen zu können, möglicherweise sogar das Risiko in Kauf nehmen zu müssen, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Ich kenne nicht ganz wenige Volontäre, dir mir regelmäßig davon erzählen, dass sie ja schon glücklich wäre, wenn jemand ihre Texte ordentlich gegenlesen würde. Ausführliches Feedback, das wäre schon Luxus.

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Reden wir über Geld. Natürlich haut die Regel mehr Geld = mehr Qualität nicht hin, man muss sein Geld schon richtig investieren, will man was Gutes dafür bekommen. Aber so ganz ohne Investition funktioniert kein Wirtschaftsbetrieb, Redaktionen sind da keine Ausnahme.  Nimmt man mal wieder die Großen der Branche aus, dann muss man feststellen, dass schon lange nicht mehr richtig in Journalismus investiert wird, sei es in Personal, sei es in Hardware, Software, Ideen. Das letzte Mal, dass mich eine Neuentwicklung auf dem Printmarkt von vorne bis hinten überzeugt hat: das war die FAS, und das ist schon ein paar Jahre her. Ansonsten sehr viel „me too“, sehr viel, was sich an Äußerlichkeiten, nicht aber am Inhalt orientierte. Erinnert sich noch jemand an die Tabloid-Debatte? Es ist noch nicht so lange her, als auf einmal gepredigt wurde, Zeitungen könnten nur als handliches Kleinformat überleben. Als wenn ein Format ein Blatt retten könnte. Was soll es der „Frankfurter Rundschau“ beispielsweise nutzen, dass sie jetzt ein wenig handlicher daherkommt, wenn sie gleichzeitig zu einer Lokalausgabe der „Berliner Zeitung“ zurechtgeschrumpft wird? Wer braucht, um es wenig allgemeiner zu halten, 50 oder 100 Redaktionen in Deutschland, deren Hauptarbeit das Zurechtschnitzen von Agenturmaterial ist? In Journalismus und Journalisten müsste investiert werden, wenn man beides am Leben halten will. Wenn man also die ökonomischen Zwänge der Verlage bei dieser Tarifrunde verstehen kann, so muss man gleichzeitig festhalten: Setzen sie sich mit ihren Forderungen durch, wird der Beruf des Tageszeitungsredakteurs vollends unattraktiv, werden die Inhalte noch mehr leiden, werden sie noch mehr an Auflage und Umsätzen verlieren.

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Überhaupt, die Kernfrage: Wer macht eigentlich zukünftig Journalismus, wer sorgt für Inhalte? Inhalte, die man gerne liest und ja, auch das, gerne bezahlt. Momentan macht man es sich ja ein bisschen einfach, man lamentiert darüber, dass die Menschen im Netz einfach nichts bezahlen wollen, lässt dabei aber auch außer acht, dass es möglicherweise auch an den Inhalten selbst liegen könnte, wenn man nicht zwingend „hurra“ schreit und den virtuellen Geldbeutel öffnet. Es ist nicht abwegig, wenn man in diesem Zusammenhang einen noch schärferen „digital divide“ prophezeit. Die einen, die hochwertige Inhalte bringen, ein entsprechendes Publikum und eine entsprechende Zahlungsbereitschaft erreichen. Und die anderen, die immer billiger werden, deren Spirale weiter nach unten geht, die keine Inhalte verkaufen können und sie deswegen immer billiger produzieren müssen. Umgekehrt wird es zunehmend mehr von denen geben, die ihre Inhalte ganz ohne große Unternehmen im Rücken an den Mann bringen: lokale Blogger, Fachautoren, digitale (Vor-)denker. Das nutzt nur all jenen nichts, die sich momentan und dauerhaft im Klammergriff der Tarifklassen befinden.

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Überhaupt, das Leben in der Mitte und im Mainstream wird schwerer werden. Für beide Seiten, sowohl für Journalisten als auch Verlage und Sender. Daran werden auch die jetzigen Tarifgespräche nichts ändern, egal, was an deren Ende stehen wird. Der Markt für die Mitte wird zunehmend einer mit sehr viel weniger Nachfrage und einem gleich bleibend großen Angebot; zumindest vorläufig. Das Problem für Journalisten wird übrigens keineswegs mehr das sein, über das wir momentan noch alle reden. Es wird nicht so sehr darum gehen, ob jemand digital arbeiten kann oder nicht, das wird vermutlich in wenigen Jahren ohnehin ein selbstverständlicher Standard sein. Stattdessen  geht es um eine Frage des Selbstverständnisses und der journalistischen Fähigkeiten. Um es sehr deutlich zu sagen: Journalisten im Sinne von Berichterstattern, im Sinne von „Auf-Termine-Gehern“ gibt es jetzt schon wie Sand am Meer. Sie werden sich den Tarifverschlechterungen beugen müssen, sie werden schlechte Karten haben, wenn ihnen Agenturen plötzlich nur noch 10 Euro pro Meldung und Verlage nur noch 100 Euro Tagessatz bezahlen wollen. Im Übrigen ist genau das auch das beste Argument gegen die ausgesprochen gerne geäußerte Vermutung, Journalisten würden in Zukunft so etwas ähnliches wie eierlegende Siewissenschonwas. Damit wird gerne der Umgang mit diversen Handwerksgeräten gemeint, ist aber unsinnig. Genau das ist es nicht, was Journalisten sein sollten. Eierlegende Dingens haben wir jetzt schon mehr als genug in Form der „Auf-Termin-Gehern“, die ebenso elegant über Politik wie über Kultur wie über Sport berichten – im Sinne von: berichten. Das wird kein überlebensfähiges Geschäftsmodell mehr sein, weder für Journalisten noch für die Plattformen, für die sie arbeiten. Journalisten der Zukunft müssen sich vielleicht nicht spezialisieren, aber konzentrieren. Auf das, was sie können, wovon sie etwas verstehen – und ja, auch das: auf das, was ihnen Spaß macht. Der Anspruch an Journalisten, so etwas Ähnliches wie ein Universalgelehrter zu sein, ist überkommen, realistisch war er ohnehin noch nie.

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Theoretisch also wäre das alles ganz einfach: Journalisten und Medien nehmen sich einfach wieder mehr Zeit, investieren in das Notwendige, recherchieren gründlich, checken ihre Fakten. Sie überlegen sich, was ihre Nutzer wirklich interessieren könnte, sie verbannen Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ radikal aus ihrem Vokabular.  Sie befreien sich aus dem Gedanken, dass es ein wirkliches Leben nur in der Festanstellung gibt und dass man nur glücklich leben kann, wenn am 30. das Festgehalt auf dem Konto liegt. Deutlicher gesagt: Sie begeben sich zurück ins wirkliche (journalistische) Leben und begraben das publizistische Beamtentum, das sie in vielen Redaktionen immer noch leben. Die Verlage und die Sender wollen nicht mitspielen? Lasst sie doch. Deren Geschäftsmodelle sind ebenfalls Auslaufmodelle. Die Chance wäre jetzt. Aber dass das alles natürlich Theorie ist, das weiß ich auch.

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Heute ist übrigens mal wieder Tarifrunde in Bayern. Die wievielte, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Frederik Birghan

    Guter Text! Einziger Einwand: Breites Allgemeinwissen kann immer noch nicht schaden. Die Spezialisierung ist das heute notwendige Ad-On.

  2. cjakubetz

    D´accord. Ohne ein gewisses Basisgrundwissen wird man diesen Job nie machen können.

  3. S. Michael Westerholz

    Ja, cj hat Recht: Der Journalismus geht vor die Hunde, exaker: Er wird dorthin getragen. In den klassischen Ressorts Politik, Wirtschaft, Region fehlt es an Geld, Zeit und Lust. Was ich dort lese, ist oft einen ganzen Tag zuvor online zu erfahren. Und wenn ich dort, wo vemutlich noch ein bisschen Zukunftshoffnung gerechtfertigt sein könnte, lese: „Die Flurer: Auf den 7. folgt der 8.“, wenn ich einen „Reporter“ erlebe, der seine Recherche für eine kurze Geschichte aus dem Auto heraus macht, „weil – es regnet ja, da stell´ ich mich doch nicht draußen hin“, wenn ich einen Kolumnisten lese: „Derjenige, der mir meine neue Schneeschaufel gestohlen hat…“, wenn ich eine Lokalredaktion erlebe, der auf ihren Stadtseiten ein Unwetter mit 60 Feuerwehreinsätzen entgeht, wenn ich eine Redakteurin lese, die „50 Liter Regen pro Sekunde auf den Meter“ plätschern lässt, und wenn auf den Seiten Sachfehler über Sachfehler stehen, von denen nicht einer je berichtigt wird, frage ich mich: Warum sollte ich ein solches Blatt kaufen? Und wenn Redakteure beiderlei Geschlechts eines bayerischen Verlags, denen vor kaum mehr als einem Jahr zahlreiche Kolleginnen und Kollegen DEUTSCHER Zeitungen solidarisch beigesprungen sind, gegenwärtig nicht streiken, frage ich mich: Wo ist denn überhaupt noch Solidarität? Und mit welchem Recht können diese illoyalen Schreiber den Beitand der ANDEREN einfordern? Es mag lächerlich klingen: Aber der schier unglaubliche Fleiß fast aller Sportredakteure und -redakteurinnen in den Lokalblättern könnte eine Garantie für eine dennoch verlängerte Lebensdauer der Lokalzeitungen sein. Insgesamt aber glaube auch ich nicht, dass diese Blätter in zehn Jahren immer noch auf Papier vorliegen. An den Journalismus aber, an das Ideal früherer Zeiten, in denen Ethik und Moral noch einen Wert an sich besaßen, werden sogar wir selbst uns in wenigen Jahren nur noch bedauernd erinnern.

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