Vom gescheiterten Versuch, Pippi Langstrumpf zu spielen

Ich mach mir die Welt, wiesiewiesiemir gefällt…

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Von Kindern weiß man, wie zum Beispiel im Fall von Frl. Langstrumpf, dass man sich Realitäten schon gerne mal irgendwie hinbiegen würde, wenn einem die Realitäten nicht gefallen. Bei der Musikindustrie hat man das in den letzten 15 Jahren einigermaßen schön gesehen. Als die CD ihren langsamen Tod zu sterben begann, wollte man das dort nicht so richtig wahrhaben. Man kreierte deswegen eine neue Strategie zur Rettung des eigenen Geschäftsmodells, die an sich ganz ok war, sieht man von einem kleinen Geburtsfehler ab: Sie ignorierte, dass das Geschäftsmodell am Ende angelangt war. Konkret sah das so aus, dass man den sterbenskranken Patienten CD nicht nur retten wollte, sondern die mehr oder minder unbeteiligten Käufer dazu zwingen wollte, sich an dieser Rettung der CD zu beteiligen. Das wäre eine gute Idee gewesen, wenn sich die Käufer bloß für diese Rettung interessiert hätten. In diesem Fall war es aber so, dass die Käufer nicht die Retter, sondern die Auslöser der unheilbaren CD-Krankheit waren. Kurz gesagt: Die Käufer verweigerten den Kauf des Produkts CD, worauf die Musikindustrie beschloss, es sei eine probate Alternative, die Kunden zum Kauf zu zwingen. Man erinnert sich an aberwitzige Preismodelle, diverse Ausführungen der CD, die eine oder andere Klage sowie die wunderbare Idee des Kopierschutzes, der dann selbst die letzten Getreuen in den Wahn trieb. Das Geschäfts machen jetzt übrigens ganz gut andere, u.a. ein Computerhersteller. Dass es schlichtweg die Welt war, die sich gerändert hatte, verstehen sie dort vermutlich immer noch nicht so ganz.

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Was vom Baum übrig bleibt

Damit kommen wir mal wieder zu den Zeitungsverlegern, bei denen sich seit Jahren der Vergleich mit der Musikindustrie und manchmal auch mit Pippi Langstrumpf aufdrängt (manchmal habe ich übrigens den Eindruck, Pippi Langstrumpf sei wiedergeboren worden und nennt sich jetzt Christoph Keese).  Bei vielen Verlagen herrscht seit ein paar Jahren eine ähnlich merkwürdige Haltung wie in der Musikindustrie und ihren Resten. Demnach ist das Problem nicht etwa, dass möglicherweise die Zeitung als Produkt ganz generell ein Akzeptanzproblem hätte. Stattdessen besteht das Problem im Wesentlichen aus: den Lesern, dem Internet als solchen und Google im Speziellen. Wie man das löst, ergibt sich aus der Identifikation des Feindes: Man macht sie einfach alle platt, bis die Realität wiesiewiesiewiesie ist, wie sie uns gefällt. Man könnte also, nur mal so als Vorschlag, dafür sorgen, dass alle Erzeugnisse der Branche einem Kopierschutz unterliegen. Oder dass niemand Produkte machen darf, die auch nur im Ansatz so aussehen wie die eigenen. Wenn also jemand Texte im Internet macht, dann die Verlage. Und wenn sie jemand vertreiben und vermarkten darf, dann die Verlage.  Weil das Internet genau betrachtet ja nur dazu geschaffen wurde, den Verlagen einen neuen Ausspielkanal zu geben. Und wer sind schon irgendwelche Computerhersteller oder sonstige Netznasen, die auf einmal meinen, auch irgendwas mit Medien machen zu können?

Aus dieser eigenartigen Haltung erklärt sich auch, warum ein Teil der Verlage in den letzten Jahren einigermaßen klage- und lobbyfreudig geworden ist. Für das Leistungsschutzrecht bieten sie eine Energie (und Christoph Keese) auf, die man ihnen angesichts mancher eher verstaubter Publikationen so gar nicht mehr zugetraut hätte. Die App der „Tagesschau“ hat man gar so sehr zu Existenzfrage hochstilisiert, dass man darüber schon im Frühjahr den Hinweis des zuständigen Richters übersah, dass dieser wenig Neigungen verspürt, den klagenden Verlagen Recht zu geben. Auch, als er dies in der vergangenen Woche explizit wiederholte und keinen Zweifel daran ließ, dass er kaum ein Urteil sprechen wird, dass die Verlage glücklich macht, kehrte immer noch nicht allzu viel Einsicht ein.

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Dabei müsste man sich auf Verlagsseite spätestens nach den letzten Tagen etwas Neues und vor allem Zukunftsträchtiges überlegen. Das, was man sich erklagen wollte, wird schon jetzt absehbar nicht funktionieren, was man übrigens durchaus vorher hätte wissen können. Nicht nur aus juristischer Sicht, sondern auch aus einer ganz anderen, simplen: Das Netz ist nicht dafür geschaffen worden, den Zeitungsverlagen zu gehören oder ihnen ein Monopol auf bestimmte Darstellungsformen zu gewähren. Noch gravierender vielleicht: Der Kunde, der Leser — er will das auch gar nicht so. Kein einziger Nutzer im Netz will ernsthaft, dass die Zugänge über Google eingeschränkt werden, kein einziger Nutzer sieht irgendeinen Sinn darin, dass die App der Tagesschau keine oder nur sehr wenige Texte enthalten darf. Trotzdem will man sich das Netz nach eigenem Gusto zurechtbiegen. Nur: Das wird nicht klappen. Der modifizierte Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht konzertiert sich de facto jetzt auf die Suchmaschinen und da wiederum auf Google. Wenn das aber noch alles ist, was davon bleiben soll, dann würde sich niemand wundern, wenn Google zu einem denkbar einfachen Mittel greift. Man indexiert einfach die Verlagsinhalte nicht mehr, was niemandem mehr weh täte als den Verlagen selbst. Glaubt man in den Verlagen ernsthaft, den Nutzern oder Google würde ernsthaft etwas fehlen, gäbe es ihre Inhalte in den riesigen Weiten des Netzes nicht mehr? Und glaubt man womöglich noch, die Nutzer würden dann in Scharen mit reumütig gesenkten Häuptern zu den Verlagen zurückkehren, Abbitte leisten und brav die rückständigen Euros auf den Tisch legen? Wenn das wirklich jemand glaubt, dann hat er sich die Welt aber wirklich wiessiewiesiemirgefällt hingebogen.

Farbband

Nach Aktenlage jedenfalls sieht das gerade für die Verlage nicht gut aus: Die Sache mit dem Leistungsschutzrecht wird vermutlich ein veritabler Rohrkrepierer und auch aus der Auseinandersetzung mit der ARD werden die Kläger kaum als strahlende Sieger hervorgehen. Nebenbei: Selbst wenn sie es täten, Sympathiepunkte gibt es dafür kaum, es sei denn, man freut sich über ein Image, das nahe dem der Bahn oder der Banken liegt. Aber die Sache mit dem Image ist ja noch gar nicht das Entscheidende. Wichtiger ist, dass man sich sehr stark auf eine Strategie des Verhinderns konzentriert hatte. Das ist selten konstruktiv – und führt letztlich zu der Frage: Wie soll das weitergehen, wenn Google sich dann eben in der Praxis durchsetzt und man auch die App der „Tagesschau“ nicht wegklagen konnte? Verklagt man dann das Netz, Tim Berners-Lee, Mark Zuckerberg und Twitter? Die Antwort ist einfacher: Wenn aus dem ständigen Destruktionsversuch nicht irgendwann mal  etwas Konstruktives wird, dann können wir hier auf dieser kleinen Seite die Geschichte von der Musikindustrie nochmal neu erzählen. Sie erinnern sich? Da haben dann auch irgendwann mal andere das Geschäft gemacht.

 

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. chi

    Vielleicht ist Christoph Keese ja ein U-Boot der NZZ oder anderer Zeitungen aus dem deutschsprachigen Ausland – der Anzeigenverkauf dort wird explodieren, wenn eines Tages ganz Deutschland von Google dorthin geleitet wird. *g*

  2. Klaus Jarchow

    @ chi: Dann doch lieber den Zürcher ‚Tagesanzeiger‘ – oder Österreichs ‚Standard‘ …

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