Hui, Zeitungen schaffen Chats ab

Es gibt so ein paar Sachen in der ja immer noch ziemlich kurzen Online-Ägide im Journalismus, an die kann man sich fast schon nicht mehr erinnern. Chats beispielsweise oder auch Foren. Ich glaube, es war irgendwann mal so Ende der 90er, als man in einigen Zeitungshäusern meinte, die Zukunft des Journalismus auf ihren Onlineseiten bestehe darin, dass man die User chatten und in Foren debattieren lasse. Ein paar Mal habe ich mich dann aus Neugier durch einige solcher Angebote durchgesurft und ziemlich schnell festgestellt: Auf der Onlineseiten von Tageszeitungen mögen die Leute nicht chatten (ich wäre ehrlich gesagt auch nicht ernsthaft auf eine solche Idee gekommen) und in Foren diskutieren mögen sie auch nur bedingt. Wenn überhaupt, dann muss man das schon ein wenig steuern und anschieben. Nur wegen des Hinweises, man könne jetzt auch über irgendwas diskutieren, diskutiert noch kein Mensch – nicht mal über irgendwas. Davon abgesehen, dass auf vielen Seite die Inhalte so trostlos und die Technik so hanebüchen war, dass man nicht mal als notorischer Streithansel dort noch hätte debattieren wollen.

Von dem her hätte ich es also für keine wirklich neue Erkenntnis gehalten, dass Chats und Foren zur Rettung von eher mittelguten Onlineangeboten keine echte Option sind. Wenn ich nicht gestern bei den Kollegen von Media-Ocean deren Zeitungsstudie 2008 gelesen hätte und die mir mehr oder minder unfreiwillig (mal wieder) gezeigt hat, wie schwer sich viele Zeitungshäuser immer noch mit dem Medium Online tun. Chats und Foren, so hat die Studie ergeben, verschwinden allmählich aus den Digitalstrategien der Blätter – und richtig erstaunlich daran ist eigentlich nur, dass dies erst jetzt der Fall ist und dass man es im Jahr 2009 noch allen Ernstes erwähnen muss, dass man beim Schwarzwälder Boten oder der Neuen Westfälischen nicht gerade die Chattergemeinde versammelt sieht.

Umgekehrt ist es mindestens ebenso verblüffend, wie es die Blätter mit Interaktion und Kommentarfunktionen halten. Rein gefühlsmäßig und ohne jeden statistischen Hintergrund hätte ich mir die Frage, ob Zeitungen eine Kommentarfunktion anbieten, gar nicht gestellt. Dass man dann beim Beantworten dieser Frage darauf kommt, dass es nicht einmal die Hälfte der Zeitungen überhaupt tut, fand ich überaus erstaunlich. Da redet alle Welt von Web 2.0 (ob man das jetzt gut findet oder nicht, sei dahingestellt) – und unsere Zeitungshäuser sind auf dem Stand, dass sie Chats allmählich auslaufen lassen und beinahe die Hälfte auch schon Kommentare zulässt? Das ist in etwa so, als würden ARD und ZDF über die Einführung von Farbbild und Stereoton debattieren. RSS-Feeds? 70 Prozent, gerade mal 4 Prozent bieten Volltext-Feeds an. Social Boomarking? Rund ein Drittel.

Und gleichzeitig liest man dann, dass inzwischen nahezu alle (na gut: nicht alle, aber über 80 Prozent) Videos auf ihren Seiten haben, teils zugekauft, teils selber produziert. Man wundert sich dann doch mal wieder über die Kraft von Hypes (Videos gelten ja inzwischen als digitales Allheilmittel): Wesentliche Standards von Webseiten fehlen, aber das Sahnehäubchen ist fast überall schon drauf? Vielleicht sollte man es ja mal genau umgekehrt versuchen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Markus Hündgen

    80 Prozent Videos bedeutet zu 90 Prozent Agentur-Krams. Das zum Hype…

  2. Chat Atkins

    Och – die guten alten Foren: Ich kann mich noch an legendäre ‚flame wars‘ im alten SPD-Forum erinnern – kurz nachdem Schröder mit qualmenden Reifen den roten Partei-Polo in Richtung Hartz IV gewendet hatte. Da gab’s für manchen Teilnehmer echte Morddrohungen zu verknusen, während ein ebenso hilfloser wie schweigsamer Moderator vor 17.00 Uhr mit dem Wischmopp durch die Gänge zog, um die gröbsten Kötel zu beseitigen. Danach hatte er pünktlich Feierabend – schließlich war das die SPD. Nachts regierte also der Mob …

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