Mit Leistungsschutz zurück in die analogen 80er

Kann es sein, dass es in der Medienwelt zwei Planeten gibt? Zwei parallele Universen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass deren Bewohner auf ein und die selbe Sache völlig unterschiedliche Sichtweisen haben: Wenn man die Debatten der letzten Wochen mitverfolgt, dann kommt man an genau diesem Eindruck nicht mehr vorbei.

Fasst man die Sichtweisen der Planet 1-Bewohner zusammen, sie würden in etwa lauten: Alles fließt, alles ist im Umbruch, wir erleben gerade in einem Prozess kreativer Zerstörung die Geburt einer komplett neuen Welt. Die Grenzen zwischen Medien verlaufen in hyperkonvergenten digitalen Kanälen, die Bedeutung des großen Medienunternehmens und des Wundertüten-Anbieters von Zeitungen und TV schwindet, stattdessen ist die Zeit angebrochen, in denen kleine Publikationen und zielgruppenfokussierte Anbieter den etablierten Medien erheblich zu schaffen machen werden, von den ganzen neuen Googleapplefacebook-Mitspielern am Markt ganz zu schweigen.

Die Menschen auf Planet 2 sehen das ungefähr so: Noch nie was von gehört. Was soll das alles sein?

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Es soll jetzt also ein Leistungsschutzrecht für Verlage geben. Das ist eindeutig einer Sichtweise entsprungen, die vom analogen Parallelplaneten 2 kommt. Dass dieser Gedanke zwischen den beiden Welten — vorsichtig formuliert — umstritten ist, liegt daran, dass er der Logik des analogen Denkens entspringt. Man hört ja speziell bei diesem Thema in den letzten Tagen sehr viel von angeblichen Kioskbetreibern, von Büdchen, an denen geklaute Inhalte rumliegen und für die die der Hersteller jetzt wenigstens angemessen entschädigt werden will (und wer könnte da nein sagen?). Die digitale Welt bleibt bei dieser Argumentation ebenfalls im Bild und meint, die Zeitungshersteller sollen doch froh sein, wenn irgendeiner ihr Zeugs überhaupt verkauft. Darüber, das ist absehbar, werden beide Welten noch sehr lange und sehr heftig debattieren und dass weder auf der einen noch auf der anderen Seite eine mögliche Einsicht für die jeweils andere Seite entstehen wird, darf man schon jetzt als gesichert annehmen.

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Es ist ja auf der anderen Seite nicht so, dass sich nicht auch die Vertreter der analogen Welt gehörig in die Wolle bekommen würden, wenn es um das neue digitale Terrain geht. Zeitungsverlage, in den letzten Jahren ohnehin auffällig klagefreudig geworden, und öffentlich-rechtliche TV-Sender haben sich wegen der kostenlosen Tagesschau-App ziemlich beharkt und jetzt einen Kompromiss gefunden, über den man sich als eher dem digitalen Planeten zugehöriger Mensch tendenziell amüsiert. Demnach teilen sich Fernsehen und Zeitungen das Netz wieder nach den Grenzen von vor 1939  vor der Digitalisierung auf. Für die Texte in diesem Internetz sind dann wieder, wie es sich gehört, die Tageszeitungen zuständig. Und für das Videozeugs die Fernsehsender. Für alles andere gilt – siehe oben: Das wird beide Welten nicht zueinander bringen.

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Man könnte also glauben, dass es bei diesem Zusammenprall der Welten vor allem um eines geht: Besitzstandswahrung. Es soll alles so bleiben, wie es ist, nur digitaler. Davon ist das ganze Denken dieser analogen Fraktion geprägt, immer und in jeder Hinsicht. Für nicht wenige Zeitungsmanager ist das Internet immer noch eine Zeitung am Bildschirm, ein digitalisiertes Presserzeugnis. So, wie in vielen Sendern noch die Meinung vorherrscht, Videos im Netz seien Fernsehen im Netz.  Und es wäre ihnen allen am liebsten, wenn man ein iPad abends wieder einsammeln, mit neue Inhalten bestücken und am nächsten Morgen, vielleicht so gegen 6 Uhr, dem Abonnenten wieder in den Postkasten werfen könnte. Dass beispielsweise die FAS in den FAQ ihrer iPad-App ernsthaft betont, dass man eine geladene Ausgabe auch dauerhaft speichern und behalten dürfe, spricht für diese Denken Bände. Ebenso wie die irgendwie lustige Idee, Texte tendenziell als ein Presserzeugnis und somit als natürliches Vorrecht von Verlagen im Netz zu betrachten. Kurzum, die analoge Welt glaubt, man könne die digitalen Claims nach analogen Grenzen abstecken und ansonsten so weitermachen wie bisher. Dann würde alles wieder gut, her mit dem Leistungsschutzrecht und der kastrierten Tagesschau-App und dann machen wir so weiter wie bisher.

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12-15jährige, das geht aus einer neuen Studie hervor, machen im Netz drei Dinge am liebsten: sich in sozialen Netzwerken rumtreiben, chatten, Videos schauen. Was das mit den Zeitungen und ARD und ZDF zu tun hat? Eine ganze Menge. Sie sind der entscheidende Grund, warum diese ganzen LSR-Tagesschau-App-Debatten an der eigentlichen Problematik für die analoge Fraktion vorbeigehen: Das Publikum der digital natives, heute und in Zukunft, denkt nicht so. Es denkt nicht in Texten und in Bewegtbildern, es geht nicht zum fernsehen ist Netz, ebenso wenig wie zum zeitunglesen. Das Netz ist für sie — ein Netz. Vernetzt, immer verfügbar, immer erreichbar, immer (ver)teilbar. Genau diesen Grundgedanken haben viele Verlage und auch viele Sender in ihrer analogen Welt noch nicht verinnerlicht. Schlimmer und auch aussichtsloser noch: Sie versuchen, dieses Grundprinzip des Netzes auszuhebeln. Sie wollen vor die Wege eines Netzes merkwürdige Schranken legen, sie wollen dem Medium, das alles kann, wieder ein monomediales Prinzip aufzwängen. Das allerdings werden die Nutzer nicht mitmachen, weil es an ihren Interessen und auch an ihren Möglichkeiten völlig vorbeigeht. Niemand wird sich sagen lassen, dass er die hübschen Videos bei den öffentlichen-rechtlichen Sendern schauen soll, wenn einen Mausklick weiter Youtube existiert. Niemand geht zum Zeitungslesen ins Netz, wenn nebendran tausende Blogs, Facebooks, Webseiten aller Art existieren. Niemand wird das Netz entnetzen, nur weil irgendjemand nicht mitspielen will.

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Gar nicht mal so gewagter Gedanke hintendran: Angenommen, dieses Leistungsschutzrecht käme und Suchmaschinen und Aggregatoren müssten viel, viel Geld an Verlage überweisen, die sich damit endlich alle wieder gesundstoßen können. Und nur mal angenommen, Google und Rivva und alle anderen würden die Angebote der Verlage aus ihrem Index herausnehmen, man fände also dort die Links auf die Verlagsangebote nicht mehr: Würde sich irgendwas im Netz ändern?  Würde das Netz nicht mehr existieren, würde jemand etwas vermissen, wäre das Netz mit seinen Inhalten und in seiner Struktur gefährdet?  Und mal angenommen, es kommt tatsächlich so, dass die Tagesschau-App fast keine Texte mehr enthält und dafür nur noch Videos? Wird es einen einzigen Klick mehr auf den Verlagsangeboten geben, wird eine Zeitung mehr verkauft?

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Leistungsschutzrecht, Streit um die die Tagesschau — die Branche führt gerade Scheingefechte. Das wäre nicht weiter tragisch, würde es nicht den Blick von den Dingen wenden, die für die meisten Häuser jetzt wirklich relevant wären: Wie schaffen wir ein neues Geschäftsmodell, das auch den Bewohnern des digitalen Planeten irgendwie passt (auch wenn man diese Leute vielleicht nicht so sehr mag, sind es aber doch die, die dieses Zeugs kaufen und finanzieren müssen)? Wie machen wir möglicherweise sogar wieder einen Journalismus, der so viel Spaß macht, dass Menschen auf die verwegene Idee kommen, ihn freiwillig und ganz ohne Zwang zu mögen und dafür in irgendeiner Form bezahlen? Mit restriktiven Gesetzen, mit der Idee, Menschen zu irgendwas zu nötigen, wird das nicht gehen. Während sich 15jährige heute mit sozialen Netzen und Webvideos verlustieren, versucht die Branche gerade, mit Brachialgewalt den Weg zurück in die analogen 80er zu erzwingen.

Das künftige Publikum dürfte davon allerdings eher unbeeindruckt sein.

 

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Sandra Elgaß

    Hallo Christian,

    ich vermisse einen Gedanken: Wenn die Suchmaschinen Verlagsprodukte aufgrund eines solchen Gesetzes aus ihren Verweisen ausklammern, geht dann nicht auch viel an Qualität verloren, die die Netzmenschen so zusätzlich erreicht – weil sie in den Ergebnissen auftauchen? Das kann nicht im Interesse der Verlage liegen, die journalistische Qualität vorhalten, oder?

  2. cjakubetz

    Das wäre tatsächlich die spannende Frage. Ich glaube allerdings, dass Google dort am längeren Hebel säße. Ich vermute, dass die meisten Zeitungen Google sehr viel mehr brauchen als umgekehrt.

  3. Sandra Elgaß

    Sehe ich auch so.

  4. Jörg

    Es kommt noch ein Aspekt hinzu: mit dem Netz werden wir alle auch internationaler, das heißt lesen auf Englisch wird zu einem guten Teil selbstverständlicher. Wer vermisst dann noch deutsche Medien, wenn er genauso auf österreichische und Schweizer sowie auf englisch-sprachige zugreifen kann?

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