Schirrmachers Mondfahrt

Frank Schirrmacher hat in der FAS einen Text geschrieben, über den viel gesprochen wird – und der auch in den sozialen Netzwerken häufig als messerscharfe Analyse gepriesen wird. Mag sein, dass sie messerscharf war – in weiten Teilen war sie trotzdem falsch. Es gibt vier Gründe, warum die Medienwelt nie wieder so sein wird, warum sie mal war. Die übrigens für alle gelten, keineswegs nur für die Zeitungen, deren momentaner Stimmungslage vor allem anzumerken ist, dass sie sich irgendwie furchtbar ungerecht behandelt fühlen  und dass ohne sie ohnehin alles nix mehr ist.

Deswegen – eine Replik auf  Schirrmacher und alle anderen, die immer noch von einer „Zeitungskrise“ sprechen.

1. Mehr Angebot als Nachfrage
Ein ganz normaler Sonntag,sagen wir: im Jahr 1987. Das TV-Programm fährt auf Sparflamme, im Radio laufen die meisten Dinge etwas gedämpfter ab als sonst, Privat-TV ist immer noch eine Sache für diejenigen, die es mögen. ARD und ZDF fahren das gewohnte Sonntagsprogramm, beschaulich und erbaulich, wenig nachrichtengetrieben. Die Sonntagszeitungen sind weitgehend ein Monopol des Springer-Verlags, den man mögen kann oder auch nicht; wer ihn nicht mag, hat am Sonntag jedenfalls ein Problem, eine Tageszeitung zu bekommen. De facto also ist der Sonntag lange Zeit eine Art journalismusfreier Tag, die Welt begann sich dann am Montag wieder zu drehen, wenn der „Spiegel“ und die Montags-Zeitungen erschienen.

Wenn man sich den gestrigen Sonntag dann mal als Vergleichsobjekt heranzieht: Neben den beiden Springer-Blättern gibt es inzwischen auch die überaus ehren- und manchmal auch sehr lesenswerte FAS, daneben liegt seit 8 Uhr die aktuelle Ausgabe des „Spiegel“ auf den Servern für die diversen Downloads bereit. Radio und TV fahren schon lange am Sonntag ein Vollprogramm, im Netz, in den sozialen Netzwerken, bei den Blogs herrscht ohnedies nie Ruhe. Ohne das also der „Spiegel“ oder die „Welt am Sonntag“ auch nur ein kleines bisschen schlechter sein müssten als 1987, haben sie es schwerer – einfach deswegen, weil neben ihnen noch viele andere um die Aufmerksamkeit buhlen. Es ist nichts Ungewöhnliches, was gerade in unserer Branche passiert – und es ist keineswegs, um auch das mal deutlich zu sagen, keineswegs ein besonderes Problem der Zeitungen. Das Angebot an Medien ist schlichtweg zu groß, als dass dieses Wachstum ohne erhebliche Erschütterungen am Markt abgehen könnte. Es ist ebenfalls nicht Ungewöhnliches, dass es auf solchen Anbietermärkten zu zweierlei kommt: Die zu erzielenden Preise sinken (das ist der ökonomische Aspekt), ebenso wie die Wertschätzung für das eigentliche Produkt (das ist der möglicherweise viel schlimmere Aspekt). Was im Überfluss verfügbar ist, wird immer weniger als zwingend und bedeutsam wahrgenommen, da helfen auch sämtliche mahnenden Besinnungsaufsätze von Frank Schirrmacher herzlich wenig. Kurz gesagt: Es wird immer schwieriger, Aufmerksamkeit zu bekommen – und gleichzeitig sinken die zu erzielenden Preise und damit auch die Margen.

2. Lieber ungebunden

Es ist eine ebenso simple wie bedauerliche Konsequenz des medialen Überangebots: Die Bereitschaft, sich an irgend etwas zu binden, ist drastisch gesunken; im Netz zudem. Auch das hat primär nichts mit der Frage zu tun, welchen Journalismus wir künftig gerne hätten und was wir für ihn auszugeben bereit sind. Wer täglich in einem Feinschmecker-Lokal aus einer reichhaltigen, abwechslungsreichen und hochwertigen Karte wählen kann, wird sich nicht fürs Aboessen entscheiden, selbst wenn dieses Aboessen seine Vorzüge hat. Wer zudem weiß, dass die Köche in der Küche jeden Tag an neuen, aufregenden Menüs arbeiten und diese möglicherweise schon kommende Woche auf dem Tisch stehen, wird sich kaum zu einem Zwei-Jahres-Abo hinreißen lassen, selbst wenn er dafür einen vollautomatischen Eierkocher als Prämie bekommt. Auch dieses Problem haben die lamentierenden Zeitungen keineswegs exklusiv; auch bei Pay-TV-Sendern wie Sky ging es erst wieder aufwärts, als man sich von den starren Abo-Modellen der Gegenwart verabschiedet hatte. Abos sind hübsch, weil sie Planungssicherheit und finanzielle Kalkulierbarkeit gewährleisten; von dem her kann man da schon verstehen, dass eine Zeitung einen Zwei-Jahres-Abonnenten lieber hat als den Gelegenheitskäufer am (virtuellen) Kiosk.

Abos, nebenbei bemerkt, verführen aber auch zur Trägheit. Ich bin sicher, dass die Bräsigkeit, mit der viele an die Aufgaben des Wandels herangehen, auch damit zu tun hat, dass man über viele Jahre hinweg wusste, dass nichts schief gehen könne. Bei wem das Publikum zu 90 Prozent aus Abonnenten besteht, der wird irgendwann so flexibel wie ein Finanzamt und so kundenfreundlich wie die Commerzbank, die es jetzt als neue Erkenntnis verkauft hat, dass Kunden am liebsten vertrauenswürdige Banker hätten. Wer so reagiert, der zeigt allenfalls, dass er immer noch nicht begriffen hat, warum er in etwa so beliebt ist wie Fußpilz.

Es ist also auch in diesem Punkt schlichtweg falsch zu glauben, dies sei eine Frage, welchen Journalismus wir gerne hätten und ob wir bereit sind, für ihn zu bezahlen. Eher umgekehrt: Redaktionen, Journalisten, Verlage, Sender sollten sich besser darauf einstellen, dass ihnen künftig noch weniger vor die Füße fällt. Abos und Startseiten, ja, das wird es weiter geben, aber die Bedeutung solcher medialer Eheversprechen nimmt ab. Solange allerdings immer noch Eierkocher und MP3-Player in industriellen Mengen eingesetzt werden, um Abonnenten an sich zu binden, geht die Strategie in die falsche Richtung.

3. 15 Minuten Ruhm für jeden

Man müsste sich mal den Spaß machen und eine Woche lang konsequent einen Aggregator wie beispielsweise rivva.de beobachten. Danach wüsste man dann, wie das ist mit der Flüchtigkeit im Netz: Seine 15 Minuten Ruhm kann sich beinahe jeder schnell mal abholen, in einer Welle nach oben gespült zu werden, ist nicht sonderlich schwierig. Das Netz vergisst seine Helden allerdings auch schnell wieder; man steht möglicherweise mal für einen Tag bei Rivva ganz oben und verschwindet danach wieder in der Versenkung. Nur die wenigsten schaffen es, ihren 15-Minuten-Ruhm dauerhaft zu konservieren. Dieser dritte Punkt ergibt sich nahezu zwingend aus den ersten beiden. Überangebot und Bindungslosigkeit haben irgendwann zur Konsequenz, dass man schnell talk of the town, aber dann ebenso schnell auch wieder untergegangen sein kann. Das heißt aber auch, dass in einer solchen Form des Medienkonsum der halbinstitutionelle Journalismus zwar weiter existieren können, aber eben nur noch als einer von mehreren, vielleicht sogar als primus inter pares.

Wer heute Aggregatoren und soziale Netzwerke nutzt, der freut sich über einen Beitrag aus der Tagesschau oder womöglich sogar über einen Aufsatz von Frank Schirrmacher. Direkt daneben steht dann aber auch ein YouTube-Video oder ein Text aus einem bis dahin völlig unbekannten Blog. Wenn das Video und der Text gut sind, werden sich Tagesschau und Schirrmacher vielleicht nur mit Platz 2 des Userinteresses zufrieden geben müssen. Weil ein Marken- oder Autorenname zwar einen kurzen Aufmerksamkeitsvorsprung gewährleisten, das Netz aber ansonsten ein zutiefst egalitäres Medium ist. Die Debatte, ob das jetzt alles noch Journalismus zu nennen sei, ist eine, die nur Journalisten untereinander führen. Dem Nutzer selbst ist es herzlich egal, ob der Verfasser einer guten Blogtextes im Hauptberuf Klempner oder Sexualtherapeut ist. Das Problem haben also eher wir Journalisten und weniger die Nutzer.

Aber wir Journalisten, so wird an dieser Stelle regelmäßig gerne eingeworfen, könnten doch so vieles so viel besser als bloggende Sexualtherapeuten. Mag sein. Aber wir müssen es jeden Tag neu beweisen. Die Bringschuld liegt aus Sicht der Nutzer bei uns. Und Paywalls sind übrigens das glatte Gegenteil von Bringschuld

4. Das Geschäftsmodell Leistung

Natürlich würde ein Frank Schirrmacher niemals jemanden mit Anlauf in den Hintern treten oder womöglich wie ein infantiles Trotzköpfchen reagieren. Deshalb steht in seinem Text ja auch nicht: Der Blau, der Besserwisser, der soll erstmal Geld verdienen, bevor er so dumm daherredet. Stattdessen steht in einem Nebensatz über Wolfgang Blau, er habe noch nie auch nur eine halbe schwarze Zahl geschrieben und lebe ansonsten gut auf Kosten und mit dem Namen der Marke „ZEIT“. Das ist ebenso subtil wie perfide und auch einigermaßen falsch. Weil dieses Argument insistiert, Onliner lebten von den durch die im Kerngeschäft aufgehäuften Reichtümer. Das ist ein bisschen kindisch, klingt ein wenig beleidigt – und ist vor allem wenig zukunftsträchtig.

Bei der „New York Times“ sprechen sie momentan gerne von „Gateways“. Wege also, die Nutzer nehmen können, um an wie auch immer gestaltete Informationen der Marke Times zu kommen. Das klingt nachvollziehbar, setzt aber eines voraus: Nach allen diesen Gates müsste tatsächlich Inhalt kommen, der der Marke Times gerecht wird. Das müsste allerdings auch bedeuten, dass heute ein Onlineangebot ebenso gründlich gemacht wird wie eine mobile Webseite oder ein Tweet oder ein Sonntagsaufsatz von Schirrmacher. Wenn man das zugrunde legt, dann erledigt sich auch das Argument, Zeit Online würde als Schmarotzer von der gedruckten Mutter leben.

Man könnte es übrigens auch andersrum sehen: Mit seiner über Jahre hinweg gezeigten Qualität hat Zeit Online das Mutterblatt auch wieder für Menschen interessant gemacht, die sich eher die rechte Hand abgehackt hätten als die Zeit zu lesen. Wäre es also so abwegig, mal die Frage zu stellen, wie viele der Neuleser der  ZEIT eigentlich auf das Konto von Wolfgang Blau gehen müssten? Für die Generation Schirrmacher immer noch ein undenkbarer Gedanke, da ist es selbstverständlich, dass Online vom guten Namen der Zeitung/des Senders profitiert.

Aber unabhängig davon: Man redet ja viel von Geschäftsmodellen in diesen Tagen und davon, dass man jetzt aber wirklich mal anfangen müsste, ordentlich Geld für seine Leistungen zu verlangen. Das mag ja auch alles wenigstens diskussionswürdig sein, setzt aber voraus, erst einmal eine solche Leistung zu erbringen. Und zwar auf allen Gateways. In vielen Verlagen herrscht immer noch die Denkweise vor: Wir verlangen für unsere Zeitungsinhalte Geld und das Onlinezeugs gibts dann noch gratis dazu. Genau so sehen dann übrigens leider viele Onlineinhalte auch aus.

So allerdings tickt der User nicht. Dem ist es herzlich egal, wie der Kanal heißt, auf dem er gerade angesprochen wird. In seiner Realität sind die Marken schon lange eins geworden, was zweierlei bedeutet: Er ist gerne bereit, beispielsweise einer FAZ im Zuge einer Transformation einen Kompetenzvorsprung zuzugestehen. Er wendet sich dann aber genauso schnell wieder ab, wenn er feststellt, dass seine Erwartungen enttäuscht werden. Marken seien gehaltene Versprechen, sagen Marktingstrategen gerne – selten war das treffender als zu Zeiten des Medienwandels, in dem Medienmarken große Versprechen abgeben, die sie dann im Netz nur noch halten müssten. Das Geschäftsmodell der Zukunft heißt also: Leistung auf allen Kanälen. Dass dies nicht so selbstverständlich ist wie es klingt, zeigt das leider auch von Schirrmacher angeschlagene Lamento der fehlenden Geschäftsmodelle im Allgemeinen und sein kleiner Tritt vor das Blau-Schienbein im Besonderen.

Kurz nach dem Erscheinen des Schirrmacher-Textes twitterte die FAZ übrigens, Sebastian Vettel habe die Regenschlacht von Brasilien verloren und Alonso sei jetzt neuer Dreifachweltmeister. So viel dann dazu.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Frank Krings

    Was an Schirrmachers Kritik an der mangelhaften Monetarisierung im Web noch falsch ist: Der Markt für den Handel mit Inhalten ist immer noch verdammt jung. Seit wann haben Zeitungen den ansehnliche Websites, Commuinities, Apps etc.? Ich würde mich zwar durchaus als „digitalen Nutzer“ bezeichnen – trotzdem schwanke ich immer noch zwischen eReader und Tablet, iTunes-Kauf oder Spotify-Stream usw. Ein Teufelskreis: Es wird von den klass. Medien digital zu wenig investiert und ausprobiert – gleichzeitig wird beklagt, das im Web kein Geld verdient wird… (siehe auch: Ebooks in Deutschland).

  2. Francis

    ….insinuiert – nicht: insistiert –

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