Ein neues Berufsbild

Journalisten müssen künftig nicht mehr arbeiten. Nur anders. Und sie brauchen eine völlig neue Kernkompetenz: Sie müssen wissen, in welcher Situation ihr User gerade welchen Inhalt konsumiert.

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Foto: Rainer Sturm (Pixelio.de)

 

Soll es die ganz harte Paywall sein oder gibt es weiterhin alles geschenkt im Netz? Ist die Webseite weiterhin das zentrale Organ von allem publizistischen Schaffen oder macht man sie besser doch demnächst zu? Baut man Videos und engagiert sich wirklich intensiv in sozialen Netzwerke oder ist das nur Kram, der von der eigentlichen journalistischen Kernkompetenz ablenkt?

Man kann mühelos stundenlang heftig über die richtigen Strategien und die zur erwartende Zukunft von Medien im digitalen Zeitalter diskutieren – ohne dabei auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Man kann für nahezu jede Idee ein gutes Argument finden und ein mindestens genauso plausibles dagegen. Man findet großartige Beispiele für einen funktionierenden Paid Content, um im selben Zug wieder von Zeitungen zu hören, die ihr Experiment gerade abgebrochen und reumütig zur früheren Version zurückgekehrt sind. Das macht die ganze Angelegenheit ja so spannend – und so komplex zugleich.

Eine Strategie passt nicht für alle

Die Debatten um den Medienwandel kranken häufig an einem: Man geht davon aus, dass es immer noch „den“ Leser, „den“ Zuschauer, „den“ Nutzer gibt. Dabei hat der SZ-Digitalstratege Stefan Plöchinger unlängst einen ebenso einfachen wie erkenntnisreichen Satz gesagt: „Machen Sie sich klar, dass es den Leser nicht gibt.“ Was erstmal als banale Erkenntnis daher kommt, ist tatsächlich der Grund dafür, warum wir es auch nicht mehr bei einem Produkt, bei einem Kanal belassen können. Und warum die eine Strategie, die alle glücklich macht, naturgemäß nicht mehr existieren kann.

Die SZ trägt dem mit ihrer künftigen Digitalstrategie Rechnung – und folgt dabei vor allem einer Idee: Man versucht Inhalte für Nutzer in allen denkbaren Situationen zu schaffen. Dazu gehört der ausgeruhte, konservative Zeitungsleser ebenso wie der smarte Manager, der auf seinem Smartphone die Nachrichtenlage checkt. Beide gehören zur Zielgruppe der SZ (oder sonstwem). Es ist also mittlerweile nicht mehr getan damit (und auch gar nicht mehr so einfach), mal eben die Zielgruppen zu analysieren und daran orientiert sein Angebot zu machen. Mindestens genauso wichtig es es, die Situationen zu berücksichtigen, in denen jemand eine Inhalt nutzen könnte. Wenn man das berücksichtigt, dann weiß man, warum das Jahrzehnte alte Prinzip „One size fits all“ plötzlich nicht mehr funktioniert. Und warum es deshalb unsinnig ist, den Nutzer vor die Entweder-Oder-Wahl zu stellen.

Diese Fragmentieren der Märkte trifft uns inzwischen bei nahezu jedem Thema, seien es Inhalte, seien es die Finanzierungsmodelle.

Welcher Inhalt in welcher Situation?

Journalisten standen bis vor wenigen Jahren hauptsächlich vor einer Aufgabe: Sie mussten Informationen beschaffen und sie aufbereiten. Für eine Plattform. Heute besteht die Kunst des Journalismus nicht nur aus der Aufbereitung von Information. Sondern auch darin, darüber nachzudenken, in welcher Situation sich sein potenzieller Nutzer gerade befinden könnte und an welcher Stelle seines transmedialen Erzählstrangs der Journalist sich selber gerade befindet. Das klingt trocken und theoretisch, ist aber trotzdem einer der Gründe dafür, warum sich Journalisten mit diesem ganzen Transmedia- und Storytelling-Gedöns oft so schwer tun. Der Gedanke daran, wo sich der Nutzer gerade befindet und welche Besonderheit der gerade gewählte Kanal hat, spielt häufig eine untergeordnete Rolle. Weil es natürlich ein Unterschied ist, ob man gerade eine Homepage bespielt oder Twitter, funktioniert auch dieses lieblose Copy&Paste nicht, das man immer noch an viele Stellen antrifft.

Was wiederum bedeutet, dass Journalisten nicht nur wissen müssen, dass es Twitter, Facebook und all die anderen gibt. Sondern auch, dass sie sich Gedanken machen müssen, wie ein solcher Kanal funktioniert und wer ihn wohl wann in welcher Situation nutzen könnte. Wer einfach nur Inhalte multipliziert, darf sich am Ende nicht wundern, wenn es sich dabei um vergebliche Liebesmüh handelt.

Das ist tatsächlich ein nicht zu unterschätzendes Problem, weil es sich dabei um eine Wechselwirkung handelt: Laut Social-Media-Trendmonitor 2014 sind über die Hälfte der deutschen Journalisten mit ihrer Arbeit in sozialen Netzwerken unzufrieden. Hauptsächliche Begründung: zu wenig Ertrag für zuviel Arbeit. Nachvollziehbar, das. Aber eben auch vermeidbar: Wer einfach nur gedankenlos mit der Gieskanne irgendwelchen Content in die Kanäle schüttet, ist zwar am Ende des Tages erschöpft, hat aber immer noch nicht wirklich was erreicht.

Es ist also gar nicht mal so sehr die Debatte darum, ob Twitter und all die anderen jetzt gut oder böse sind. Entscheidend ist die Antwort auf die Frage, wie unser Berufsbild als Journalist künftig aussehen soll. Weil es tatsächlich ein völlig neues Berufsbild erfordert, wenn man diesem neuen Verständnis von Inhalten und ihrer Verbreitung folgen will. Es geht dabei übrigens auch nicht – im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Missverständnis – um mehr Arbeit. Sondern um eine andere Verteilung der Arbeit, die sich Journalisten machen.

Das Beitragsbild auf dieser Seite stammt von Rainer Sturm (Pixelio.de)

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sarah Bernhard

    Journalisten sollen also überlegen, wer wann welchen Kanal wie nutzt und wie sie ihre Erkenntnisse so aufbereiten, dass sie die User/Leser jeweils angemessen erreichen. Das haben mir schon diverse Menschen erklärt und dem stimme ich auch voll zu.
    Alle Erklärungen endeten, wie diese hier, mit dem lapidaren Satz: „Es geht nicht um mehr Arbeit, sondern um eine andere Verteilung der Arbeit.“ Wie diese andere Verteilung aussehen soll, erklärte allerdings niemand. Denn tatsächlich geht es ja nicht nur um die Zeit, die ich brauche, um verschiedene Text-Sorten für verschiedene Kanäle zu produzieren, sondern auch darum, dass ich Zeit brauche, um mir zu überlegen, welche Art von Texten das überhaupt sein soll. Klingt ehrlich gesagt nach ziemlich viel mehr Arbeit.
    Da das ja offensichtlich nicht der Fall sein soll, muss ich wohl stattdessen etwas weglassen. Soll ich künftig also weniger recherchieren? (Sehe ich gar nicht ein.) Keine Geschichten mehr erzählen, sondern nur noch Twitter-Häppchen produzieren, die ich für Print dann aneinanderreihe? (Sehe ich in vielen Fällen auch nicht ein.) Soll ich einfach weiter so tun, als ob es keine Zeit brauchen würde, meine Zwischenergebnisse ins Netz und dort zur Diskussion zu stellen, bevor ich schlussendlich einen Haupttext schreibe? (Auch das sehe ich nicht ein.) Oder kann ich künftig einfach weniger Themen bearbeiten, damit ich mehr Zeit für die Aufbereitung eines Themas habe? (Sehen die nicht ein, die sagen, dass es doch gar nicht mehr Zeit braucht.)
    Sie scheinen die Antwort auf die Verteilungs-Frage zu kennen. Wie wäre es, wenn Sie der erste wären, der sie mir gibt?

  2. Sarah Bernhard

    P.S.: Damit ich nicht als rückwärtsgewandter Print-Denker dastehe, muss ich noch ein Gespräch aus der vorletzten Woche zitieren:
    „Ich kann das nicht machen, ich muss noch das Online-Tagesthema für übermorgen vorbereiten.“
    „Und was wird dann morgen der Print-Aufmacher?“
    Und dann zitiere ich noch meinen Chefredakteur: „Wir machen jetzt online to print. Aber vergessen Sie nicht, dass wir mit Print unser Geld verdienen.“
    Ich konkretisiere meine Frage also zu: Wie soll die Umverteilung aussehen, solange viele Zeitungen noch mit Print das meiste Geld verdienen, und nicht wünschen können, dass die gedruckte Ausgabe nur noch zehn Seiten hat?

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