Tagesschau ist nicht das Problem

Ich hab mir Folgendes überlegt: Irgendjemand müsste mal die Zeitungsverleger verklagen, weil sie seit vielen Jahren rundfunkähnliche Angebote im Netz machen. Das ist aber vollständig überflüssig und zudem auch noch gefährlich, weil sie damit die von unseren Gebühren bezahlten Sender bedrohen. Soll also bitte jeder im Netz das machen, was er im echten Leben auch ist: Zeitungen machen Presse, Rundfunkanstalten machen Radio und Fernsehen. Und die Tagesschau macht die Tagesschau. Das Leben könnte viel einfacher sein, wenn sich alle an diese Regeln halten würden.

Eine groteske Idee, finden Sie? Natürlich. Schon alleine deswegen, weil Verlage private Unternehmen sind. Die können mit ihrem Geld machen  was sie wollen. Sogar jeden noch so großen Unsinn. Wie beispielsweise den hier: Die im BDZV organisierten Verlage haben jetzt ein Urteil, in dem die Tagesschau-App als unzulässig bezeichnet wird. Bevor Sie ein zufriedenes „Richtig so!“ von sich geben: Tatsächlich sagt das Gerichtsurteil lediglich aus, dass eine Ausgabe der Tagesschau-App aus dem Jahr 2011 in dieser Form unzulässig gewesen ist.

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Nun kann man lange darüber spekulieren, welche Auswirkungen dieses Urteil in der Praxis haben wird (vermutlich eher wenige). Man könnte auch darüber sinnieren, wie lebensecht ein Urteil über ein Digital-Angebot ist, das ein Gericht auf der Basis seiner ausgedruckten (!) Version erlässt. Ebenso könnte man sich lange darüber auslassen, wie realitätsnah ein Urteil ist, das ernsthaft definieren will, was im hypermedialen Netz als „Presse“ zu bezeichnen wäre. Und wie lebensnah der Glaube des BDZV ist, dass sich die Nutzerschaft in rauen Mengen auf Verlags-Angebote stürzen wird, wenn erst einmal die Öffentlich-Rechtlichen damit aufhören, so viele Texte in dieses Internet zu stellen.

Macht aber alles eher weniger Sinn. Weil dieser seit Jahren anhaltende Streit um die Nachrichten-Apps der Öffentlich-Rechtlichen ein Stellvertreterkrieg ist. Er lenkt, wie so viele Kriege seiner Art, von den eigentlichen Problemen ab. Von grundsätzlichen Problemen, die viele Verlage bis heute nicht gelöst bekommen haben. Da passt es prima, wenn man die Verantwortung beiseite schieben und mit dem Finger auf andere zeigen kann: Die da sind schuld!

Reden wir also mal über ein paar Themen, die man in Deutschland seit vielen Jahren hat und die immer noch dazu beitragen, dass der Medienwandel eher langsam vonstatten geht.

Die analoge Generation lässt nicht los

Da ist zum Beispiel die Sache mit denen, die in vielen Häusern das Sagen haben. In den meisten Fällen ehrenwerte Männer, die ihre Verdienste haben – die aber sehr häufig das Thema Digitalisierung in seiner ganzen Radikalität nicht erfasst haben. Klar, ziemlich häufig gibt es inzwischen in den Chefredaktionen und Verlagsleitungen meistens jüngere Menschen, die für das Thema Internet (steht hier bewusst so!) zuständig sind.  Aber sonst? Den Gedanken, dass natürlich die Zeitung immer noch das Wichtigste ist und alles andere hinten ansteht, spricht man nicht mehr ganz so häufig aus. Aber in der Praxis ist das immer noch zu beobachten:  Mit Leidenschaft ins Digitale investieren, das erlebt man eher selten. Müssen halt die Printredaktionen mehr machen und ab und auch mal was ins Netz stellen. Vieles von dem, was in Verlagen passiert, ist nicht völlig falsch. Es ist nur häufig inkonsequent und eher einer Pflicht als einer Lust geschuldet.

Man mag ja ansonsten von Angeboten wie „Zett“ oder „Bento“ halten was man mag. Aber einen unbestreitbaren Vorteil haben sie: Sie bringen idealerweise Expertise zu Themen in die „Zeit“ und in den „Spiegel“, die man ansonsten nicht bekäme. Nun kann, schon klar, nicht jede Regionalzeitung mal eben ein komplett neues Angebot für Digital Natives auf die Beine stellen. Aber ein paar kleine Labs und Spielwiesen kann man auch dann einrichten, wenn man keinen Großkonzern im Nacken hat. Und damit diese Sätze nicht so sehr im Vagen hängenbleiben: In Bayern beispielsweise fallen mir gerade mal vier Zeitungsverlage ein, bei denen sowohl gute Digitalisten rumlaufen als auch der nötigen Experimentierfreude Platz gegeben wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich diese Quote auch auf den Rest Deutschlands hochrechnen lässt.

 Es geht ihnen gut. Zu gut, immer noch.

 Das ist, betrachtet man das aus nur zu menschlichen Perspektiven, nur zu verständlich. Natürlich haben viele Zeitungen in den letzten Jahren Einbußen hinnehmen müssen.  Die eine oder andere Redaktion wurde geschlossen, ein paar Ausgaben zusammengelegt, Personal reduziert. Aber alles in allem sind die meisten Verlagshäuser immer noch weit entfernt davon, dass es ihnen schlecht ginge. Klar, 30 Prozent Umsatzrendite sind schöner als 10. Aber auch von 10 Prozent kann man ganz gut existieren. Nicht ganz wenige Unternehmen wären froh, kämen sie auf die Renditen einer Tageszeitung. Das gilt auch für Umsätze und Auflagen in vielen Häusern. Kleine Beispiel-Rechnung: Ein klassisches Regionalhaus wie die „Passauer Neue Presse“ kam noch vor 10 Jahren auf eine rund 15 Prozent höhere Auflage und verliert seither, wie viele andere auch, jedes Jahr zwischen einem und zwei Prozent dieser Auflage. Aber selbst wenn man unterstellen würde, dass es bei diesem Trend zunächst bleibt und sich erst in fünf Jahren die Verluste auf dann 5 Prozent im Jahr erhöhen würden: Man kann sich ausrechnen, wie lange ein solches Blatt immer noch genügend Luft hätte, um gegenzusteuern.

Genau das ist aber der Punkt: So schlecht, dass man schnell und radikal gegensteuern müsste, geht es vielen Verlagen nicht. Man kümmert sich also in erster Linie um sein Kerngeschäft, das ja immer noch auskömmlich genug ist. Kann man sogar verstehen – und mehr noch: Kann man es einem Verlag wirklich vorwerfen, wenn er keine ausgefeilte Idee für die digitale Zukunft hat und stattdessen zusieht, dass er mit seinem immer noch funktionierenden Geschäft solange Geschäft macht, wie man damit noch Geschäft machen kann?

Davon abgesehen: Bei den „Digital Natives“ sind Zeitungen konnotiert als etwas, was Oma und Opa gerne lesen. Schon alleine deswegen wird es schwer mit einer solchen Marke auf einem neuen Geschäftsfeld zu reüssieren.

Zu lang, zu oft und zu viel…

 Davon abgesehen: Zeitungsverlage sind es gewohnt, privilegiert behandelt zu werden. Bisher haben Politik und Gesellschaft ziemlich gut nach den Wünschen mächtiger Verlage funktioniert. Das Leistungsschutzrecht ist nur das aktuellste mehrerer Beispiele. Schon vergessen, dass man beispielsweise auch in den Genuss eines reduzierten Mehrwertsteuersatz kommt? Da ist es kein Wunder, wenn man jetzt dem Gesetzgeber (und der Gesellschaft) eine sehr eigene Definition digitaler Publizistik aufzuzwingen versucht. Dabei findet sich in keinem medienwissenschaftlichen Lexikon eine Definition des Begriffs „presseähnlich“. Nicht mal der Duden kennt dieses Wort. Lediglich Zeitungsverlage und Gericht versuchen sich an der Definition eines Begriffs, den die Medienwissenschaft aus guten Gründen bisher ausgespart hat.

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Was der Duden sagt…

 

Interessant also: Zeitungsverlage sind in der Lage, sich mal eben ein Gesetz maßschneidern zu lassen und die Definition dessen, wie Journalismus im Netz auszusehen hat.  Solange man sich derart auf Machterhalt konzentriert, ist nur wenig Zeit, sich selbst mal eben rundzuerneuern. Viele Häuser sind über die Jahre zu starren Gebilden geworden, die in erster Linie gerne alles so lassen würden wie es ist.

Fatale Fehleinschätzung der digitalen Lage. Die Tagesschau ist nicht das Problem.

 Und wenn sich doch mal ändern sollte? Dass dieses digitale Zeug Realität ist, bestreitet nicht mal mehr der konservativste Verlag. Trotzdem gibt es da immer noch einen weit verbreiteten Denkfehler. Man versucht einfach, die funktionierenden Modelle aus der analogen Welt in die digitale zu übertragen. Davon zeugt auch die neueste Pressemitteilung des BDVZ, der schreibt: „Eine öffentlich-rechtliche Zeitung im Netz darf es nicht geben.“

In diesem einem Satz spiegelt sich die gesammelte Hilflosigkeit des Verbandes, wenn es um den Umgang mit der Digitalisierung geht. Eine Zeitung im Netz? Im Jahr 2016? Den Begriff „Internetzeitung“ habe ich zum letzten Mal 1999 gehört. Danach war dann schnell klar, dass es weder eine „Internetzeitung“ noch ein „Internetfernsehen“ geben wird. Das Netz als völlig eigenes Medium, das seine ganz eigenen Formate hervorbringt: Auf die Idee ist man in Berlin und in Köln anscheinend noch nicht gekommen. Sonst würde man nicht etwas verbieten wollen, was ohnehin keiner will. Oder glaubt ernsthaft jemand, Ziel der „Tagesschau“ sei es, eine „Zeitung im Internet“ zu werden?

Aber auch die potenzielle Kundschaft schätzen die Verlage falsch ein, falls sie sich von dem Kölner Urteil ernsthafte Zuwächse erwarten. Die Prognose ist nicht sehr gewagt: Die Verlage würden keine einzige Zeitung, keine einzige App mehr verkaufen, gäbe es die öffentlich-rechtlichen Apps nicht mehr. Die Tagesschau ist nicht das Problem der Verlage, wirklich nicht.

Das ist im Übrigen eine der Gemeinsamkeiten zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern: Das Publikum im Kerngeschäft ist überaltert. Eine Feststellung, die mit Jugendwahn nichts zu tun hat: Tageszeitungen und ARD und ZDF, das ist im Regelfall inzwischen etwas für Menschen um die 60. Wollte man sich also ein Publikum verschaffen, das Optionen für eine längerfristige Zukunft bietet – man müsste Angebote machen, die den Bedürfnissen solcher Zielgruppen entgegenkommen. In dem Zusammenhang: Mich erstaunt, dass sich der BDZV beispielsweise beim neuen Angebot „Funk“ eher ruhig hält. Das nämlich ist mittelfristig für die Verlage bedrohlicher als eine Nachrichten-App.

Am Ende, so viel ist sicher, begegnen wir uns ohnehin alle wieder auf dem Smartphone. Oder in sozialen Netzwerken. Oder in sozialen Netzwerken auf dem Smartphone. Oder auf Geräten, die wir heute noch gar nicht kennen. Ganz sicher aber werden wir dieses digitale Publikum der Gegenwart nicht mit „Internetzeitungen“ irgendwo abholen können.

(Hinweis: Ich arbeite regelmäßig für diverse Einrichtungen und Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks).

 

 

 

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