Wir überholen uns gerade selbst…

Medientage vorbei, Zukunft ungeklärt: So wie es aussieht, war der Branchentreff in München nett zum – sich treffen. Die wirklichen Entwicklungen dagegen sind so radikal anders, wie es sich die meisten der Teilnehmer kaum vorstellen können. Der Medienwandel überholt sich gerade mal wieder selbst.

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Das Netz ist, in jeder Hinsicht, eine sehr große Sache. Man kann dort ungefähr alles finden. In der Theorie zumindest. In der Praxis ist das nicht so einfach. Es gibt zwar Suchmaschinen, aber die sind bei genauerem Hinsehen eher dumm. Es gibt Journalismus in allen möglichen Varianten, aber meistens muss man sich den immer noch selbst suchen, markieren, abspeichern. Es gibt Millionen von Webseiten, aber die stammen noch aus der Zeit, als man eine Webseite besuchte, wenn man etwas wissen wollte. Wollte man demnach richtig viel wissen, musste man auch richtig viele Webseiten besuchen.

Kurz gesagt: Das war das Web der unbegrenzten Seiten und dennoch sehr begrenzten Möglichkeiten.

Der Status Quo ist momentan bereits ein anderer: Es gibt Apps und es gibt soziale Netzwerke. Es gibt Angebote wie Buzzfeed et al. Der Inhalt kommt inzwischen also zum User. Vorsortiert, nach welchen Kriterien auch immer. Manchmal sind es Redaktionen, immer öfter ist es künstliche Intelligenz. Die ist noch nicht immer das, was man unter wirklich intelligent versteht. Aber sie wird es immer öfter.

UC_VorschaubildUnd sie ist eine Konsequenz daraus, dass niemand  in der Lage ist, das Internet leer zu lesen: Künstliche Intelligenz überlegt sich, was genau jetzt das Richtige für einen Nutzer sein könnte (in diesem Zusammenhang gerne ein wenig Native Advertising: Man könnte das auch auf die Formel „Content-Kontext-Endgerät“ bringen .).

Das ist das halb-personalisierte Netz, das aber immer noch ein bisschen dumm ist.

Wenn aber als nächstes ein intelligentes, mobiles, lernendes und vor allem personalisiertes Netz kommen soll – heißt das dann eben nicht auch, dass es ein völlig anderes Netz als das heutige sein müsste?

Heißt es. Genau das. Wir nennen es Medienwandel.

Zulieferer für eine neue Infrastruktur

Für uns Journalisten ist das erstmal eine Nachricht, die man ebenso gut wie schlecht finden kann. Gut ist sie, weil der Untergang des Journalismus noch mal verschoben werden muss. Weil es natürlich schön ist, wenn Software-Entwicklern und anderen Tüftlern regelmäßig was Neues einfällt, das aber ohne Inhalte eben doch nicht funktioniert. Und weil es ab und an auch mal eine gute Idee sein könnte, sich den Lauf der Dinge nicht nur von Bots oder Schreihälsen in sozialen Netzwerken zeigen zu lassen.

Auf der anderen Seite: Es werden nicht wir sein, die diese neuen Infrastrukturen des Netzes bauen. Die bauen gerade ganz andere. Und am immer wieder geäußerten Unbehagen in den diversen Veranstaltungen merkt man dann auch, dass es dem einen oder anderen dämmert, dass es sich was hat mit den eigenen Webseiten und den Usern, die sich dort ihren Content abholen. Homepage, Content? Das ist irgendwie so 2011.

Die neuen Gralshüter sind andere. Soziale Netzwerke, die als allererstes. Natürlich können wir uns jeden Tag über Facebook, Instagram, Snapchat auskotzen und darüber lamentieren, wie schön es doch früher war, als ein soziales Netzwerk bestenfalls eine Linkschleuder war, über die man noch ein paar Klicks mehr auf die eigene Seite gebracht hat. Das ist endgütig vorbei – realistisch betrachtet wird es tendenziell eher umgekehrt sein: Man streut seine Inhalte sonstwohin, die eigenen Angebote sind das Zusatzgeschäft. Homeless Media? Aber sowas von. Wir sind überall da, wo es irgendwas Digitales gibt.

Und ja, natürlich liefert diese neue Infrastruktur uns auch klare inhaltliche Vorgaben. Mindestens so wichtig wie das digitale Blattmachen wird künftig auch anderes sein: zu wissen, wie die Funktionsweisen von Algorithmen sind. Nach welchen Kriterien Geschichten in sozialen Netzwerken laufen und wie Personalisierung beispielsweise in Apps geht. Die Mengen an Inhalt werden mehr, die Netze dagegen immer enger gezogen. Das ist die unausweichliche Konsequenz von intelligenten und personalisierten Medien. Da ist es nämlich durchaus auch ein Kriterium, was man nicht zu sehen bekommt.

Dein persönlicher Assistent

Dazu gehört auch, dass wir uns von Algorithmen durch den (medialen) Alltag tragen lassen. Eine Idee, was das mittelfristig bedeutet, hat Google mit seinem Pixel, seinen Daydreams und seinem Assistenten bereits geliefert.

Bevor Sie jetzt als „Pfui!“ rufen, weil es Google ist: Es gibt auch andere, die genau in diese Richtung planen. Wenn man also wissen will, wohin die Reise geht: Dieses Gespräch mit Marco Maas anhören, sich mal schlau machen, was die App „XMinutes“ machen soll – und dann kurz mal darüber nachdenken, inwieweit sich künftig die Vorstellungen von Webseiten und Apps noch aufrecht erhalten lässt.

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Marco Maas. (Foto: Jakubetz)

 

Medienwandel: Die eigene Plattform verliert, die Marke bleibt

Müssen wir dann jetzt also alle sterben? Knechten in ewiger Verdammnis, als Content-Sklaven für Google, Facebook, Apple, Samsung? Weiß dann keiner mehr, was eigentlich so eine gute SZ ist oder die ARD und nicht mal mehr, wer früher RTL II war? Wird Journalismus nur noch in Häppchen und Bots so auf die Displays serviert, dass man weder mit anderen Weltbildern als dem eigenen konfrontiert wird noch auch nur eine Sekunde das Hirn anstrengen muss?

Auch hier gilt: Apokalypse leider erst mal abgesagt.

Wenn sich Vertriebswege ändern, heißt das nicht, dass damit auch alle Marken untergehen. Im Gegenteil: Marken sind wichtiger denn je. Gerade weil man, wenn schon die Vertriebswege immer unübersichtlicher werden, gerne eine Orientierungspunkt hat. Davon abgesehen sollten Journalisten die Wirkung einer Marke nicht unterschätzen: Von Samsung will niemand Nachrichten haben. Vom Spiegel, der FAZ oder der Zeit schon.

Schon klar: Die Gatekeeper sind künftig dann aber eben doch eher Samsung, Apple, Facebook und Google. Man wäre gut beraten, sich mit dieser Realität zu arrangieren.

Wer zahlt hier eigentlich für wen?

Das mit diesen Realitäten ist allerdings so eine Sache. Der Herr EU-Kommissar Oettinger und in seinem Gefolge ein beträchtlicher Teil der deutschen Verlage würden immer noch gerne die Spielregeln im Netz ändern. Das kann man irgendwie verstehen, ist aber trotzdem an allen Realitäten vorbei.

Das Motto „Haltet den Dieb!“ setzt ja immer auch voraus, dass es erstmal einen Diebstahl gegeben haben muss. Genau das aber ist der Nonsens, dem man bei den Verfechtern irgendwelcher europäischer Auswüchse des schon in Deutschland grandios gescheiterten Leistungssschutzrechts immer wieder feststellt. Der „Diebstahl“ von Google et al. bringt nämlich eine ganze Menge Traffic zu den bestohlenen Verlagen. Die Kollegen von „Zeit Online“ haben das sehr plausibel anhand des eigenen Beispiels dargestellt.

So weit wie der omnipräsente US-Professor Jeff Jarvis, den in Google vermutlich die Probleme ungefähr aller Weltprobleme sehe, muss man ja nicht gleich gehen – und Google den eigenen Abostamm übereignen. Man sollte generell nicht alles glauben, was Jarvis und andere Digital-Populisten zum Medienwandel erzählen. Bevor man aber sich an das Entwickeln neuer Geschäftsmodelle macht, muss man sich mit Realitäten arrangieren. „Wir lassen Google für unsere Inhalte bezahlen“ – das ist jedenfalls ziemlich weit von digitalen Realitäten entfernt.

Wir sehen uns dann mal alle bei den Medientagen 2017.

 

 

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