Südafrika, 2010 (9): Der Morgen danach

Man ahnt erst, was der Satz bedeutet, dass Menschen für den Fußball leben, wenn man in (Süd-)Afrika war. Hätten wir gestern abend nulldrei verloren, es hätte eine fürchterliche Diskussion getobt unter mindestens 80 Millionen Bundestrainern. Man möchte auch lieber nicht so genau wissen, was, sagen wir, „Bild“ getitelt hätte. Hier ist das anders. Natürlich schreiben die Zeitungen von einem „Alptraum“, aber der Grundtenor auch der Fans ist deutlich gelassener als bei uns. Gestern abend allerdings habe ich mir um ein paar Menschen ernsthaft Sorgen gemacht. So tieftraurig, so enttäuscht sieht man Menschen eigentlich nur ganz selten. Das ist vermutlich der Unterschied zu uns: traurig, enttäuscht, das ja — aber keine Spur von Aggression. Gesehen habe ich das Spiel in einer Sportsbar in Johannesburg, was mit unserem Public Viewing oder unseren Kneipenabenden nicht sehr viel zu tun hat. Eine Stunde vorher laufen sich die Vuvuzelas warm, die Fans gleich mit dazu und wenn die Nationalhymne kommt, wird wie selbstverständlich aufgestanden und inbrünstig mitgesungen. Auf die Idee, das irgendwie komisch zu finden, kommt hier niemand. Im Gegenteil, man wundert sich hier eher über deutsche Nationalspieler, die die eigene Hymne nicht mitsingen. Eben im Moment bibbert das halbe Land, dass sich Frankreich und Mexiko unentschieden trennen. Zum einen, weil man nicht eben als erstes Gastgeber-Land seit 1930 nach der Vorrunde verabschieden will. Und zum anderen, weil man hier in Südafrika gerne auch nach der allerletzten Chance greift.

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Welcome to Africa, this is not Europe: Diesen Satz habe ich in den ersten drei Tagen hier mindestens so oft gehört, wie Sie ihn gelesen haben. Heute morgen beispielsweise, als um ziemlich genau Punkt 10 Uhr der Strom ausfällt. Kein Malheur, denkt sich der blasshäutige Mitteleuropäer, holt sich erst einmal einen Kaffee, weil in ein paar Minuten ja alles wieder gehen wird. Aus den Minuten werden Stunden, daraus wird ein geschlagener Tag, bis es schließlich dunkel ist in unserem Seminarraum. Kein Strom und folglich auch kein Netz. Man bekommt dann wieder ein Gefühl dafür, wie verwöhnt man im kuscheligen Europa doch ist, zumal sich hier niemand über eine solche Sache aufregt, dazu kommt sie zu häufig vor. Wenn vor allem wie jetzt in Spitzenzeiten die Kapazitäten der Stromversorgung nicht ausreichen, dreht man sie statteilweise kurzerhand ab. Am Abend geht sie dann irgendwann wieder, dafür liegt ein anderer Stadtteil Johannesburgs im Dunkeln. Südafrikanische Realitäten. Das, was Sie derzeit an grellbuntem Spektakel am Fernseher sehen, hat mit diesen Realitäten jedenfalls nicht sehr viel zu tun.

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Überhaupt ist das Arbeiten auch für andere hier eine ziemlich mühsame Sache. Man setzt Texte und Bilder ab, kann sich aber keineswegs sicher sein, ob und wie alles ankommt. Auch für die Redaktion am anderen Ende der Welt ist das ein wenig schwer zu disponieren, wenn man nicht mal im Ansatz weiß, wann der Kollege in Johannesburg mal in die Gänge kommt. Oder besser gesagt: das ihn umgebende Equipment. Kollegen und Freunde seien also an dieser Stelle schon mal um eine Art Generalabsolution gebeten. Ich würde ja gerne mehr mit euch kommunizieren, aber das ist hier wirklich nicht so einfach. Und mein Rechner passt sich südafrikanischen Lebensumständen sofort an, so viel merkwürdige Systemabstürze und bizarre Fehlermeldungen habe ich sonst in einem halben Jahr nicht. Was alles zur Folge hat, dass man sich völlig neue Arbeitsweise angewöhnt, beispielsweise die, Mails oder auch diesen Blogeintrag erst einmal auf Word vorzuschreiben, dann in den Editor reinkopiert und dann versucht, das ganze auf die Online-Reise zu schicken. Meine Güte, gut, dass das hier niemand sieht.

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Man bekommt dann auch eine Ahnung davon, warum die Kollegen aus Afrika (u.a. aus Simbabwe, Ghana, Kenia und Uganda), die mit bei diesem Seminar dabei sind, sich nur so mittelstark für Onlinethemen interessieren. Wenn jedes Einloggen zur Lotterie wird und zudem keine akzeptable Bandbreite zur Verfügung steht, verliert man schnell den Spaß an der ganzen Sache. Und man macht nur noch das Notwendigste. Twitter und Facebook beispielsweise habe ich seit Tagen nicht mehr besucht, weil mir einfach jede Minute, die ich ins Netz komme, zu wichtig ist, als sie mit Tweets zu verbringen. Dinge relativieren sich schnell, lerne ich gerade. Twitter und Facebook brauche ich jedenfalls momentan so gar nicht zum Leben.

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Und zum Schluss noch das Wetter. Es ist einen kleinen Tick wärmer geworden, heute mittag in der Sonne war es sogar für ein paar Minuten halbwegs angenehm. Komischerweise gibt´s hier auch im Hotel nichts, was sich mit gutem Gewissen Heizung nennen dürfte. Egal. Noch eine gute Woche, dann geht´s wieder in den warmen deutschen Sommer, heureka!