Viel zu spät, um zu früh zu sein

In dieser Woche habe ich eine Mail erhalten. Mit einer sehr, sehr spannenden Frage. Im Kern ging es darum, dass eine junge, offensichtlich sehr gut ausgebildete Journalistin wissen wollte: Bin ich mit dem, was ich tue, zu früh dran? Ich fand diese Frage so interessant, dass ich mir erlaube, hier öffentlich zu antworten. Weil diese Frage vermutlich alle betrifft, die jetzt als junge Journalisten in einen Beruf einsteigen wollen, dessen Zukunft so offen ist wie noch nie zuvor.

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Eigentlich hatte ich gerade begonnen, eine Antwort auf diese Mail zu tippen. In dieser Antwort wäre sinngemäß das Folgende gestanden: Man ist nie zu spät mit irgendetwas dran. Besser jetzt noch diese ganzen neuen digitalen Techniken erlernen als nie. Schließlich werden sie unser Werkzeug der Zukunft sein, und das über sehr lange Zeit. Es ist nicht absehbar, dass es irgendwann mal einen Rückzug zu den analogen Techniken und in den analogen Journalismus geben wird. Und während ich all das gerade eintippen wollte, fiel mir auf, dass ich die richtige Antwort auf die falsche Frage geben wollte. Ein Reflex, sozusagen: Normalerweise bekomme ich die Frage gestellt, ob es dennoch Sinn mache beziehungsweise ob es nicht zu spät sei, sich all dieses neue Zeug  jetzt noch anzueignen. Man wisse ja, dass man etwas spät dran sei. Dann las ich mir die Frage nochmal genau durch und stellte fest: Das war es ja gar nicht, was die junge Kollegin wissen wollte. Ihre Frage war explizit, ob sie zu früh dran sei. Und während ich also meine bereits vorgefertigte und schon ziemlich weit fortgeschrittene Antwort wieder gelöscht hatte, musste ich ernsthaft überlegen: Was soll ich darauf dann antworten? Wie könnte man denn mit irgendetwas zu früh dran sein? Seit 20 Jahren erkennen wir nunmehr, mitten drin zu sein in einer digitalen Revolution (ein selten blöder Begriff, ich weiß). Und dann soll ich ernsthaft auf die Frage antworten, ob man zu früh dran sei?

Bevor die jungen Kollegin, die sich per Mail an mich gewendet hat, nun furchtbar erschrickt und denkt, eine dumme Frage gestellt zu haben:  nein, das hat sie nicht. Im Gegenteil, die Frage ist mehr als berechtigt. Und sie ist überaus interessant. Weil sie nämlich, ob nun freiwillig oder nicht, ein interessantes Licht auf den Zustand unserer Branche wirft. Im Jahr 2012 fragen sich Journalisten also allen Ernstes, ob sie mit dem Erlernen digitaler Werkzeuge zu früh dran sind? Man muss den Hintergrund dieser Frage kennen, um sie verstehen zu können: Natürlich, so beschrieb die Kollegin, wisse sie darum, dass diese Werkzeuge unerlässlich sein. Sie habe in ihrem Studium  oft genug erlebt, wie wichtig es ist, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Nur jetzt, wo sich das Studium dem Ende nähert und der Schritt in den Beruf bevorstehe, frage sie sich: Wer will das überhaupt? Wer braucht das überhaupt? Habe ich etwas gelernt, was zwar theoretisch toll, in der Praxis aber völlig nutzlos ist? Die Frage stellte sich ihr beim Blick auf die Realität des deutschen Online -Journalismus. Da könne sie nun so viel. Slideshows. Webvideos. Multimediale Geschichten erzählen. All das eben, was sie an Universitäten und an Journalistenschulen und überall da, wo man glaubt, den modernen Journalismus mit zu gestalten,  so erzählt bekommen habe. Nur in der Praxis, auf den Webseiten von vielen deutschen Medien, da entdecke sie all das eben nicht: Webvideos. Multimediale Geschichten. Slideshows. Stellt sich dann also nicht tatsächlich die Frage, für etwas ausgebildet worden zu sein, was kein Mensch braucht?

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Als ich dann meine ursprüngliche Antwort endlich gelöscht hatte, begann ich, ihr eine neue Antwort einzutippen. Und in der wäre dann sinngemäß ungefähr das hier gestanden: Erhalten Sie sich Ihren Optimismus. Lernen und üben Sie einfach immer weiter. Weil wir nicht nur technisch in einem Bereich sind, in dem sich momentan so ziemlich alles ändert. Wir werden auch den Journalismus neu gestalten müssen. Ich kann Ihnen nicht mit Bestimmtheit sagen, welches Ergebnis am Ende stehen wird. Ich halte nicht sehr viel von Propheten und Theoretikern, die genau wissen wollen, wie Journalismus zu sein hat im Zeitalter des Digitalen. Aber ich halte sehr viel von Menschen, die es ausprobieren. Ich halte noch sehr viel mehr von Menschen, die bereit sind, alles bisher Bekannte über den Haufen zu werfen und beim experimentieren auch in Kauf zu nehmen, damit glorreich zu scheitern. Sie können demnach gar nicht früh genug dran sein, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Sie können sich bestenfalls zu wenig damit beschäftigen.

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Aber das wäre nur, zugegeben, ein Teil der Antwort gewesen. Weil ja nicht von der Hand zu weisen ist, dass ich mit dieser Antwort sehr theoretisch geblieben wäre. Weil jeder von uns, der schon einmal mit einem experimentellen Projekt in einem Sender oder in einem Verlag zugange  war weiß, wie groß sind die Widerstände in der Praxis immer noch sind. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Auch und ganz besonders unter uns Journalisten. Ich erinnere mich, dass es eine der Hauptdebatten rund um die „Rundshow“ des Bayerischen Rundfunks  war, ob das denn jetzt wirklich richtiges Fernsehen sein. Was auf der einen Seite amüsant war. Weil diese Frage am Kern der Sendung völlig vorbeiging. Wir wollten ja gar kein „richtiges“ Fernsehen machen. Trotzdem hat uns dann ein Medienjournalist wie Stefan Winterbauer allen Ernstes empfohlen, doch einfach richtiges Fernsehen zu machen. Frappierend fand ich bei den ganzen Diskussionen aber immer, dass diese Frage nach dem richtigen Fernsehen eines implizierte: Wenn es kein richtiges Fernsehen, im Sinne von konventionell, erprobt, bewährt, ist, dann kann es auch nicht richtig oder gut sein. Diese Denkweise zieht sich erstaunlicherweise wie ein roter Faden durch den ganzen Journalismus. Über Experimente und Innovationen wird inzwischen auf jedem Panel in dieser Medienwelt diskutiert. Aber immer dann, wenn es um die Umsetzung geht, dann hakt es. Mit einer ganz erstaunlichen Palette von unterschiedlichsten Ausreden wird das begründet: zu wenig Personal, zu wenig Geld, zu wenig Erfahrungen, das haben wir noch nie so gemacht, das will der Leser nicht. Es ist wirklich ganz erstaunlich, wie kreativ Journalisten  sein können, wenn es darum geht, neue Formate oder Ideen nicht auszuprobieren.

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Und dann fiel mir noch eine andere Geschichte ein. Diese Geschichte handelt von einem sehr jungen, sehr begabten und sehr ambitionierten Journalisten. Der junge Kollege hatte sich in einer Redaktion beworben, von der ich mir dachte, dass sie sich die Finger danach lecken müsste, einen solchen jungen Mann in ihren Reihen zu haben. Zufällig traf ich dann irgendwann mal den Redakteur, der für die Ausbildung in diesem Haus zuständig war. Und der auch die Plätze für ein Volontariat zu vergeben hatte. Ich erinnere mich, dass ich beinahe rückwärts umgefallen bin, als mir dieser Kollege sagte, den jungen Mann leider nicht eingestellt zu haben. Ich fragte dann nach, sehr ernsthaft, wie gut denn dann die anderen Bewerber erst hätten sein müssen, damit man auf diesen jungen Mann verzichten kann. Die Antwort der Gegenseite: Nein, es sei nicht eine Frage der Qualität gewesen. Eher im Gegenteil. Der junge Mann sei schlichtweg zu gut gewesen. Er habe zu vieles an diesem ganzen neuen Digital-Kram beherrscht. Nun mache man sich Sorgen quasi um den Redaktionsfrieden.  Wenn einer so gut ist, den anderen so weit voraus, dann müsste man eben den Guten opfern, um den Mittelmaß weiter seinen Raum zu geben. Zugegeben: Ganz so hat der Kollege diese Begründung natürlich nicht formuliert. Aber im Endeeffekt lief sie darauf hinaus.

Ja, tatsächlich: Jeden Tag passieren in deutschen Redaktionen immer noch Dinge, die man mit guten Recht als absurd bezeichnen kann. Trotzdem, liebe junge Kollegen: lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Letztendlich ist das ein Reflex, der jeden Tag und überall auf der Welt zu beobachten ist. Natürlich behaupten wir alle, neuen Dingen gegenüber stets aufgeschlossen zu sein. In Wirklichkeit fürchten die meisten nichts mehr als: das Neue. Deswegen armselig nur zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Sie lassen sich von Angstmacherei, Pessimismus, Lethargie und ähnlichen unschönen Eigenschaften anstecken. Dann aber wären Sie mit ihren neuen digitalen Techniken nicht zu früh dran. Sondern sie brauchen sie erst gar nicht zu erlernen. Oder aber Sie entscheiden sich für Möglichkeit zwei. Diese Möglichkeit sieht vor, dass Sie sich für Ihren Beruf begeistern. Dass Sie die Chance erkennen, Journalismus tatsächlich neu mit zu gestalten. Das bedeutet aber auch, sich nicht entmutigen zu lassen von den Pessimisten und Jammerern.

Und sie sollten stets ein Taschentuch bei sich tragen, damit Sie sich den Mund abwischen können, wenn Sie mal hingefallen sind.

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Epilog: Wenn mir jemand vor einem Jahr prophezeit hatte, dass ich einen kompletten Blogeintrag über die Sprachsteuerung meines Computers machen könnte, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Hier ist der Beweis: es geht. So, wie vieles andere auch gehen wird.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Anonym ohne Pseudonym

    Multimedialer Jouranlismus – was mache ich nun damit? Diese Frage habe ich mir am Ende meines Journalismus-Studiums auch gestellt. Mein frustriertes Fazit damals: keiner will es. Nun habe ich fünf Jahren, ein Volo und ein paar Berufsjahre hinter mir. Angestellt bin ich in einer überregionalen Online-Redaktion. Mein Fazit heute: noch immer will es niemand – und das wird wohl noch sehr lange so bleiben.

    Das liegt in meinen Augen daran, dass
    … die Leser den Internet-Journalismus nur als Tempo-Medium wahrnehmen.
    … die Redaktionen das Internet nur als Tempo-Medium bedienen.
    … Multimediale Inhalte oft dem Leser schlecht verkauft werden. In einem Umfeld, in dem Artikel wie auf dem Straßenstrich über eine billig-geile Zeile locken, muss sich Multimedia entsprechend auch so verkaufen. Ist das Umfeld ein anderes, dann geht es auch niveauvoller.
    … Multimediale Inhalte für den Normalkonsumenten oft zu aufgeplustert sind. Für Journalistenpreise reicht das, doch welcher Leser beschäftigt sich mit einem Multimedia-Paket, das eine inhaltliche Tiefe bis zur Erdkruste besitzt, deswegen keinen Pep aufweist und dessen Steuerung ich erst verstehen muss. Weniger ist viel mehr.
    … (manche) multimediale Werkzeuge gefeiert werden, die nicht überzeugen. Ein Beispiel: Storify. Jeder Nerd-Journalist hat es kurzzeitig gehypt, es wurde viel geschwafelt, wie toll und hach. Inhaltlich überzeugt hat es schon damals nicht. Und für den Leser war es eh viel zu kompliziert.
    … die sogenannte „Erfolgskontrolle“, sprich: „es muss klicken“, den Online-Journalismus zum Artikel-Bordell macht.
    … mit dem Online-Journalismus viele Redakteure zu Fließbandarbeitern (Agenturtexte produzieren) geworden sind. Freiräume gibt es keine mehr.

  2. cjakubetz

    Gut beobachtet – ich glaube, das trifft es an vielen Stellen schon ganz gut.

  3. Jörn Hendrik

    Vielen Dank Herr Jakubetz das sie die Frage der Journalistin hier teilen. Ich bin zwar kein Journalist, aber als Blogger und Berater für das Personalmanagement in Unternehmen für Social Media Recruiting ähnlich gebeutelt wie die jungen Journalisten in ihrer Branche.

    Mein Glück ist, dass der Handlungsbedarf bei den Unternehmen die ich berate dann doch etwas größer ist, als bei den schwergängigen Redaktionen dieses Landes, die wie Diplodocus Horden ihre Uhrzeitblätter zu kauen scheinen.

    Es ist irgendwie doof so etwas zu schreiben, aber solange der Meteorit die Erde auf dem die alten Dinosaurier wandeln nicht unbewohnbar gemacht hat, kauen sie weiter. Ich habe so die Befürchtung, wenn die Beispiele in Sachen Einstellung und Mitarbeiter Einstellung so weiter gehen, dann werden diese jungen und hochbegabten Online-Journalisten einfach ihr eigenes Ding machen und ein wenig warten bis die Plätze an den Sendern und Redaktionen frei geworden sind. Wahrscheinlich warten sie ein wenig länger, damit sich die Arbeitsverträge besser verhandeln lassen. Oder sie kaufen die Sender und Redaktionen einfach…who knows..

  4. Ulf J. Froitzheim

    Schade, dass #1 nur anonym aus dem Off spricht. In dem kleinen Kommentar steckt so vieles drin, über das unsere Branche dringend nachdenken muss.
    Und der Kollege/die Kollegin muss sich da nun wirklich nicht verstecken. Oder doch? Weil überqualifiziert? Ist es am Ende der leider nicht Eingestellte aus Christians Blogpost?

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