Eine kleine App-Kritik (11):Dahinter stecken wirklich kluge Köpfe

Die Geschichte zwischen mir und der „Süddeutschen Zeitung“ ist eine lange. Das sollten Sie wissen, bevor Sie hier weiterlesen — weil diese kleine App-Kritik alles andere als klein sein wird und weil sie weit über die Besprechung einer App hinaus geht. Es wird eine ziemlich persönliche, hoffnungslos subjektive Geschichte. Aber vielleicht weiß man an deren Ende ein bisschen mehr darüber, wie Medien konsumiert werden, warum das sehr viel mit Gefühl und nur eingeschränkt mit Ratio zu tun hat. Und warum wir zwar im Kopf sehr genau wissen, warum sich Dinge verändern und auch verändern müssen, wir aber auch als treue Zukunftsgläubige im Grunde gerne hätten, dass alles so bleibt, wie es ist.

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Die SZ war immer meine Zeitung. Das hat eine ganze Reihe von Gründen, nicht alle sind rein journalistischer Natur. Für mich war die SZ immer auch ein Stück südliches/bayerisches Lebensgefühl, das alle anderen verständlicherweise nie transportieren können. Die SZ stand für mich immer für Bayern, für ein Bayern, das ich mag und das abseits ist von den dumpfbackigen Bildern, die man manchmal draußen von uns hat und die wir zugegeben leider auch oft genug selbst produzieren. Die SZ ist für mich ein intelligentes Bayern, das trotzdem zu sich und seiner Tradition steht. Das ist für mich München und nicht Berlin, das ist für mich Niederbayern und nicht Rhein-Main. Das ist aber auch: Biermösl Blosn statt Hansi Hinterseer, Sepp Daxenberger statt Horst Seehofer, Ringsgwandl statt Stefan Mross. Bis zu einem gewissen Grad ist die SZ ein durchaus strukturkonservatives und (Achtung, tiefstes Pathos!) heimatliebendes Blatt, ohne reaktionär oder heimattümelnd zu sein. Die SZ hat es über viele Jahre immer wieder geschafft, mich zum Lachen zu bringen, mich zu unterhalten, mich wohlzufühlen. Kurz, Zeitung lesen hat auch etwas mit Zugehörigkeit zu tun. Ich fühle mich der SZ und München und Bayern zugehörig. Die FAZ war für mich immer das Zentralorgan nörgelnder und gegenwartsverweigernder Oberstudienräte, deren Credo ist, dass früher alles besser war und wir schon sehen werden, wo wir mit diesem ganzen modernen Kram landen werden. Die „Welt“ brachte ich immer in Verbindung mit Menschen, die dunkelblaue Blazer mit Goldknöpfen tragen. Seit sie brachial versucht, dieses Image abzulegen, erinnert sie mich an Banker. Fachlich vermutlich schon irgendwie kompetent und auch bemüht, modern zu sein. Aber unterhalten Sie sich mal mit einem durchschnittlichen Banker, die meisten Gespräche sind so langweilig wie ihre Krawatten. Bei der SZ weiß ich im Regelfall schon vorher, was Heribert Prantl schreibt und ich bin auch keineswegs immer seiner Meinung. Ich lese ihn trotzdem jedesmal. Am Chefredakteur Kister mag ich dessen beißendem Spott, auch wenn ich ihn unter gar keinen Umständen als Chef haben wollen würde.  Die Reportagen von Gertz sind selbst dann lesenswert, wenn er ein Stuhlbein portraitieren würde. Und, ja, der Sport, ich kenne niemanden, der einen besseren Sport machen würde. Dafür verzeihe ich der SZ sogar, dass ihr Layout dringend, dringend, dringend (!) renovierungsbedürftig ist und die Seiten zwischen Meinung und Panorama Papierverschwendung ersten Grades sind. Ich glaube, ich habe noch nie eine Seite 7 der SZ gelesen.  Bevor ich es vergesse, auch über die Geschichten der Titelseite müsste man reden, so wie man vermutlich über vieles reden müsste, aber es ist eben die SZ und die SZ ist die SZ und kann meinetwegen auch auf serbokroatisch erscheinen. Solange Prantl Leitartikel schreibt und Kister ätzt, von mir aus.

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Seit einiger Zeit lebe ich nicht mehr in Bayern, nicht mal mehr in Deutschland, nicht mal in der EU. Die SZ würde mich hier pro Einzelausgabe 5 Franken kosten, was ich meistens in Kauf nehme, aber selbst für Prantl und Kister ist das viel Geld, zumal mir die Seite 7 angesichts von 5 Franken dann noch mehr weh tut. Deswegen warte ich, seit ich Besitzer eines iPad bin, auf den Tag, an dem es die SZ auf dem iPad gibt. Seit gestern ist es soweit und ich habe die App in einem ähnlich rekordverdächtigen Tempo geladen, mit dem ich früher zum Postkasten gegangen bin, um meine SZ rauszuholen. Ich freute mich auf die Zeitung auf dem Bildschirm — und bekam keine. Die SZ auf dem iPad ist keine Zeitung, obwohl sie zum größten Teil aus den Inhalten der gedruckten Zeitung besteht. Sie hat noch die Struktur der Zeitung, ist aber letztendlich ein multimediales Magazin. Nicht also das, was viele Tageszeitungen bisher anbieten, eine mehr oder minder bessere PDF-Lösung, sondern tatsächlich neu aufbereitet für die (vermeintlichen) Ansprüche eines Tablets.

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Ich habe über mich selbst gestaunt: Ich weiß nicht, wie oft ich gelesen und selbst geschrieben habe, was sich nicht alles verändert in einem digitalen Zeitalter. Und dann ist meine erste Reaktion: Hey…ich wollte die ZEITUNG! Ich will kein SZ-Multimedia-Magazin, ich will meine Zeitung. Ich will, dass links oben das Streiflicht steht und dass am besten das Papier noch wenigstens virtuell raschelt. Ich will keine grünen Überschriften und keine merkwürdigen Kästchen. Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist, nur virtuell. Ich konnte mir diese merkwürdige Haltung auch durchaus verzeihen. Wenn man 25 Jahre lang die selbe Zeitung liest, kann man kaum erwarten, sich innerhalb weniger Minuten umzugewöhnen. Ich habe also, zugegeben, die neue App erst mal mit einem gewissen Unwillen in die Hand genommen.

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Ein iPad ist keine Zeitung. Ein paar Zoll sind nicht vergleichbar mit dem Umfang einer Zeitungsseite. Möglicherweise wird also eine Zeitungsseite verkleinert auf ein paar Zoll nie so wirken wie eine Zeitungsseite. Ist es dann also wenigstens theoretisch nicht doch sinnvoll, die Zeitung so aufzubereiten, dass sie auf dem Bildschirm konsumiert werden kann? Tatsächlich ist unter diesem Gesichtspunkt der SZ eine ansprechende Lösung gelungen. Die Seiten sind übersichtlich und nachvollziehbar strukturiert, die Optik ist im Gegensatz zum gedruckten Blatt state of the art. Die Bildergalerien sind sehr schön in die Texte integriert, multimediale Applikationen sind meistens sinnvoll eingesetzt. Und ja, zugegeben, wenn man sich langsam an die Bildschirm-SZ gewöhnt, dann macht es plötzlich Spaß, sie zu lesen. Seite 7 habe ich allerdings auch auf dem iPad nicht gelesen. Dafür kostet die Einzelausgabe auch nur 1,59, da lässt sich das dann wieder verschmerzen.

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Ein paar Kleinigkeiten muss man aber dann doch noch anmerken (die allerdings angesichts des frühen Zustands alle verzeihbar sind). Über die Ladezeiten der heutigen Ausgabe reden wir lieber nicht. In der Zwischenzeit habe ich Zähne geputzt, ein halbes Buch im Bett gelesen, den Zustand der Welt analysiert und ein bisschen gedöst. Keine Ahnung, ob´s so einen Ansturm gestern gab, in jedem Fall aber wäre dieses Tempo auf Dauer absolut inakzeptabel. Und über das Produzieren eigener Videos sollten sie in München auch nochmal nachdenken. Zur Bayern-LB-Geschichte beispielsweise gibt es einen Dreiminüter, von dem ich mir überlege, ob ich nicht künftig in allen meinen Videoseminaren zeigen soll. Weil er so wunderbar zeigt, dass man Bewegtbild nicht ohne bewegtes Bild machen soll. Und dass man fehlende Bewegung nicht dadurch kompensiert, in dem man dem ganzen Standbilder aus dem SZ-Archiv animiert. Jedenfalls fliegen jetzt an mir gefülte hunderte animierte Standbilder eines ehemaligen BayernLB-Vorstands an mir vorbei, außerdem Bernie Ecclestone in 53 animierten Portraits. Im Hintergrund hechelt sich eine Off-Sprecherin in 3.30 durch einen extrem komplexen Sachverhalt und außerdem treten auf in Nebenrollen: Hans Leyendecker und sein Investigativressort. Achja, ne Infografik haben sie auch noch untergebracht und am Ende fühlt man sich leicht matschig. Sieht irgendwie so aus, als wenn sich jemand gedacht hätte, dass so ne App dringend auch Videos braucht. Ich kann jedenfalls auf  Videos gut verzichten, wenn der Stoff keine Videos hergibt.

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Trotz alledem, am Ende dachte ich mir: well done. Ich fände es zwar immer noch schön, wenn es die SZ auch als Reproduktion dazu gäbe, aber alles in allem ist die jetzige Lösung eine Idee von dem, wie wir künftig (vielleicht) Zeitung lesen. Ihren Zeitungs-Konkurrenten jedenfalls ist die SZ mit dieser App ein gutes Stück voraus. Nur das bayerische Heimatgefühl, das stellt sich auf der Glasplatte noch nicht so richtig ein. Abonniert habe ich die digitale SZ trotzdem. Es ist die erste Zeitung, die ich auf dem ipad abonniert habe.

 

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