Journalismus des Jahres: Online

Zugegeben, die Wahl der Journalisten des Jahres im „Medium Magazin“ fand ich früher ungefähr so spannend wie die Kür eines „Mitarbeiter des Monats“. Das war zwar immer alles ganz amüsant zu lesen und wirklich protestieren wollte man bei den meisten Wahlen auch nicht. Aber alles in allem waren es dann doch meistens die üblichen Verdächtigen und weil so eine Wahl ohnehin eher folgenlos bleibt, hatte man zwei Tage später schon wieder vergessen, wer da eigentlich gewählt worden war. In diesem Jahr war das anders. Weil zum ersten Mal seit langer Zeit nicht einfach nur Journalisten für ihre Arbeit ausgezeichnet wurden, sondern ein eindeutiger Trend erkennbar ist. Gäbe es diese Kategorie, dann hieße es in diesem Jahr „Online“ sei der „Journalismus des Jahres“.

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Es ist noch nicht so rasend lange her, da mussten sich Journalisten, die in eine Onlineredaktion wechselten, fragen lassen, was sie eigentlich angestellt haben. Oder ob sie denn gar nix anderes gefunden haben. Richtig ernst genommen wurden Onlinejournalisten von ihren analogen Kollegen lange Zeit nicht. Wenn man sich die Arbeitsbedingungen vieler ansieht und die gelegentlich immer noch vorhandene Herablassung, mit der man auf die Onliner schaut, dann kommt man zu dem Schluss, dass es bis heute noch ein paar Unverbesserliche gibt, die Onlinejournalisten nicht für Journalisten, sondern Pixelschubser halten. Man hört immer wieder mal die Ansicht, dass das alles ja schön und nett sei mit diesem Internet, aber das wirkliche Geld immer noch mit dem Kernprodukt verdient wird. Und mal im Ernst: Wie viele Redaktionen gibt es, in denen der Onlinechef so bedeutend ist, wie die Print/Senderchef?

Womit wir schnell zu einem kommen, der in diesem Jahr einer der „Journalisten des Jahres“ gewählt worden ist: Wolfgang Blau ist „Chefredakteur des Jahres“ geworden, was nicht nur ohnedies schon eine Leistung ist. Sondern umso bemerkenswerter, weil Blau damit alle Zeitungs-, Radio- und Fernsehchefredakteure hinter sich ließ, sogar den „Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo. Und es ist erwähnenswert, weil man damit nicht nur Blaus Arbeit gewürdigt hat, sondern auch „Zeit Online“ als ein eigenständiges, journalistisch geprägtes Medium akzeptiert, das eben sehr viel mehr ist als nur der Ableger der gedruckten „Zeit“. Blaus Arbeit und die von „Zeit Online“ ist beispielgebend. Dafür, was man aus einem Onlinemedium machen kann, wenn man erst mal nur bereit ist, das Selbstverständnis zu ändern. Das finde ich an dieser Wahl (bei allem großen Respekt vor Wolfgang Blaus Arbeit) das eigentlich Ermutigende: dass die „Zeit“ ihre Onlineseite eben nicht nur als Ableger betrachtet, den man eben irgendwie haben muss. Wie wenig selbstverständlich das ist, zeigt mir die Tatsache, dass ich erst mal eine ganze Zeit überlegen muss, um vergleichbares zu finden. Die SZ mit Stefan Plöchinger  befindet sich unter den großen Blättern da noch auf einem ganz guten Weg, „Spiegel Online“ (auch wenn man dessen Inhalt nicht wirklich mögen muss) hat ohnedies seit vielen Jahren eine Ausnahmestellung. Aber sonst? Online ist eben doch noch bei vielen eine eher lästige Pflichtaufgabe.

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Wenn man durch die Redaktionsräume der Rhein-Zeitung in Koblenz geht und es nicht besser wüsste, man könnte auch meinen, man sei in einer klassischen Onlineredaktion gelandet. Die Twitter- und sonstigen Fenster sind dauerhaft offen, der Onlinechef ist mitten im Geschehen und der Chefredakteur vom Janzen ist ohnehin omnipräsent im Netz. Man kommt kaum auf die Idee, dass man sich bei einer mittelgroßen Regionalzeitung befindet, zumal dann nicht, wenn man schon mal andere mittelgroße Regionalzeitungen besucht hat. Christian Lindner als ihr Chefredakteur ist vermutlich der experimentierfreudigste seiner Gattung und deshalb völlig zurecht „Chefredakteur des Jahres regional“ geworden. Man beachte auch hier: Lindner ist nicht primär für seine Arbeit am Blatt gewählt worden, sondern dafür, dass er seinem Verlag einen gangbaren Weg in die Zukunft aufzeigt. Dafür, dass er ein Blatt zukunftsfähig macht, ganz praktisch, Tag für Tag, keineswegs nur in irgendwelchen theoretischen Ansätzen. Lindner und die Rhein-Zeitung begreifen ihr Blatt eben nicht einfach nur als Zeitung mit angehängtem Onlineaufritt. Sondern als eine journalistische Einheit, die sich den jeweils am besten geeigneten Kanal zunutze macht. Und mit ihrem Leser ständig kommuniziert.

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Zugegeben, als ich das eine oder andere Projekt verfolgt habe, dass Richard Gutjahr in diesem Jahr gemacht hat, habe ich mir  das eine oder andere Mal gedacht: Jetzt spinnt er, der Richie. Natürlich in einem überaus positiven Sinne, ehrlich gesagt war es mehr eine stille Bewunderung für jemanden, der nicht lange fragt und palavert, sondern sich auf nach Kairo macht und von dort aus authentisch, schnell und pointiert berichtet. Mit einer Ausrüstung, die in jeden Rucksack geht. Ich habe es als unglaublich wohltuend empfunden, wenn sich jemand von diesem ganzen „Das geht nicht“-Genöle abhebt und einfach macht. Oder von den Dauerkritikastern, die zwar ständig den Mund offen haben und ihn vor lauter Schaum davor kaum geschlossen bekommen, selber aber seit Jahren außer raunzendem Genörgel nicht sehr viel auf die Kette kriegen. Gutjahr macht das, was gute Journalisten machen sollten: Er recherchiert gründlich, erzählt gute und fundierte (und multimediale) Geschichten, ist unmittelbar vor Ort — und ja, auch das, er ist ein begnadeter Selbstvermarkter. Ich saß dieses Jahr mal auf einem Panel mit ihm und wusste zwischendrin nicht, was ich eigentlich mehr bewundern sollte: die Fähigkeit, einen nicht ganzen kleinen Saal prächtig zu unterhalten oder die Fähigkeit auch mal zu wissen, wann es gut ist. Gutjahr kennt seine Grenzen, während andere auf diesem Panel noch quatschten, als die ersten murrenden Tweeds angesichts einer offenbaren Selbstverliebtheit aufkamen.

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Aber reden wir nochmal von dieser „Das geht nicht“-Haltung. So unterschiedlich Blau, Lindner und Gutjahr auch sein mögen, ihre größte Gemeinsamkeit ist die Tatsache, dass sie jeweils in ihrem Umfeld und ihrem Job geschafft haben, dieses „Das geht nicht“ zu widerlegen. Dass es nicht geht, ein journalistisch profiliertes, eigenständiges und trotzdem tragfähiges Onlineangebot zu machen, hat Wolfgang Blau widerlegt. Dass sehr wohl möglich ist, auch mit den eingeschränkten Möglichkeiten einer Regionalzeitung das Netz mit gutem Inhalt zu füllen, zeigen Lindner und Freunde jeden Tag. Und dass man eben doch auch als One-Man-Show reüssieren und auf Basis eines Blogs und mit einem iPhone und ein bisschen Equipment gute Inhalte macht, zeigt Gutjahr. Das ist mehr wert als jede akademische Debatte und deshalb ist diese Wahl des „Medium Magazins“ die beste und richtungsweisendste bisher.

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Nein, Onliner sind auch nicht per se die besseren Journalisten. Es gibt grandios gute Printleute und nicht so gute Onliner und manche, die sich Blogger nennen, sind einfach nur reaktionäre Pfeffersäcke. Das Medium ist nicht die Message und auch nicht der Qualitätsmesser. Entscheidend ist, was man daraus macht. Alles andere sind — Scheindebatten.

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