Streifzug durch die Journalismus-Woche: IHK, DAK, blablabla

Interessante Unterhaltung diese Woche mit einem Chefredakteur einer mittelgroßen Tageszeitung: Eigentlich sollte es ja nur um die Zukunft der Blätter auf dem iPad gehen.  Aber irgendwann meinte er (zurecht), dass alle Strategien und Ideen für das iPad letztlich sinnlos seien, wenn die Zeitungen nicht langsam mal begönnen, sich auch inhaltlich komplett neu auszurichten. Und dass man ansonsten langsam anfangen könne, die Blätter geordnet abzuwickeln. Ich war gleichermaßen erstaunt wie dankbar. Erstaunt, weil Chefredakteure von Tageszeitungen so etwas ja eher selten sagen (und auch noch ernst meinen). Dankbar, weil ich es nicht sagen musste. Man steht ja schnell in der Kassandra-Ecke in diesen Tagen.

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Man könnte jetzt mal wieder hierhin schreiben: Der Journalismus muss sich ändern. Das klingt wohlfeil und schreibt sich so schön schnell und leicht dahin. Man müsste dann allerdings auch sagen, wie er sich ändern soll. Und da wird es dann gleich eine ganze Ecke schwieriger und ziemlich oft landet man dann bei sehr theoretischen Diskussionen. Für´s erste fände ich es nach einer ganzen Menge Journalismus-Konsum schon mal ganz gut, wenn er weniger langweilen würde. Wenn er nicht ständig am Bedarf der Menschen vorbeischreiben oder Geschichten wiederholen würde, die man in dieser oder leicht abgeänderter Form schon tausendmal irgendwo gelesen hat.

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Ein kleiner Streifzug durch die Journalismus-Woche, wahl- und planlos herausgegriffen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht darauf, wissenschaftlich repräsentativ zu sein. Trotzdem bin ich mir sicher, dass es sich um eine ganz stinknormale Woche handelt und dass Beispiele wie die folgenden tagtäglich irgendwo passieren.

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Fangen wir in Saarbrücken an. Die „Saarbrücker Zeitung“ meldet Erstaunliches, nämlich dass „die Saarländer“ sich 2010 Vorsätze fassen. Im Wesentlichen sind das Vorsätze, die sich „die Saarländer“ ebenso wie die Nordhessen, Ostwestfalen, Niederbayern und Südschleswiger (gibt´s sowas?) jedes Jahr zu Herzen nehmen wollen. Sie wollen Stress abbauen und nicht mehr rauchen, gesünder leben und sich mehr Zeit für die Familie nehmen.

Das kann man als Lückentext bis ins Jahr 2032 vorproduzieren und vermutlich gibt es kaum Widerspruch, wenn man feststellt, dass das eine dieser Meldungen ist, die jedes Jahr wiederkommt, obwohl sie kein Mensch braucht. Praktischerweise hat die „Saarbrücker Zeitung“ mit der DAK auch noch jemanden, der ihr diese wunderbaren Lokalaufmacher  vorproduziert, zum Dank dafür darf der DAK-Landeschef noch anmerken, wie man solche Vorsätze einhält (unnötig zu erwähnen, dass die Quelle dieses herausragenden Journalismus nicht etwa die Redaktion, sondern selbstverständich das weltberühmte „DAK-Gesundheitsbarometer“ ist). Die ganze Meldung, die die DAK praktischerweise auf einen Presseserver stellt, findet man hier. Immerhin aber hat die „Saarbrücker Zeitung“ aus „die Deutschen“ wenigstens noch „die Saarländer“ gemacht. Und auch die Überschrift hat man noch verändert, aus „Deutschen wollen weniger Stress“ wird bei der SZ dann „Saarländer hoffen auf weniger Stress“. Journalismus im Jahr 2010: Man nimmt Pressemitteilungen einer Krankenkasse und bläst sie weitgehend unverändert zum Lokalaufmacher auf. Fällt die eigentlich auch unter das Leistungsschutzrecht?

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Ein paar hundert Kilometer weiter in Passau haben sie vor gefühlten 100 Jahren mal ein Ressort namens „Niederbayern“ gegründet, was eine gute Idee ist, wenn man in Niederbayern erscheint. Am Donnerstag demonstrierte uns das Niederbayer-Ressort der PNP dann, was ihrer Meinung nach in Niederbayern so passiert: nämlich nichts. Das kann man allerdings auf einer Zeitungsseite schlecht schreiben, weswegen man es vorzog, eine kleine Lektion in Termin- und Verlautbarungsjournalismus zu geben. Aufgemacht wurde die Seite mit einer atemberaubenden Geschichte darüber, dass die IHK jetzt eine Broschüre herausgibt, in der sie die neue bayerische Schulform der Mittelschule bewirbt. Dafür trafen sich in München einige gesichtslose Anzugträger, um im Wesentlichen ein Gruppenfoto aufnehmen zu lassen, auf dem sie die Broschüre ins Bild halten und so etwas ähnliches wie ein Lachen versuchen. Immerhin nimmt die PNP ihre Aufgabe deutlich ernster als die „Saarbrücker Zeitung“: Man lud Foto und Text zu diesem Großereignis nicht schnöde von einem Server, sondern schickte den stellv. Chefredakteur vorbei. Zugemacht wurde die Seite dann mit einem Bericht über die Sitzung einer charmanten bayerischen Besonderheit, die sich Bezirkstag nennt. Der Bezirkstag ist eine prima Entsorgungsanstalt für ambitionierte oder ausrangierte Lokalpolitiker vorzugsweise der CSU, denen man irgendwas geben muss, die man aber mit einer Hinterbank im Landtag oder gar in Brüssel für doch etwas überfordert hielte. Deswegen darf der Bezirkstag ab und an tagen und Politik spielen, wirklich entscheiden darf er aber nichts. Weil aber der Mandatsträger als solcher in Journalistenköpfen immer noch für per se bedeutsam gehalten wird und man es sich ja mit DAK, IHK und Bezirksräten nicht verscherzen will, klatscht man die Seite damit zu und stopft dann das letzte kleine zweispaltige Löchlein mit einer Geschichte darüber, dass irgendwo irgendein Unterausschuss von irgendetwas Europäischem getagt hat und die Kernaussage getroffen hat, dass die Donau blau und schön und irgendwie erhaltenswert sei. Auch das ist Journalismus 2010: Wenn kein Presseserver für irgendwelche Downloads zur Verfügung steht, arbeitet man sich an Terminen ab, die dann die Pressemappen von Behörden, Parteien und Krankenassen füllen, dummerweise aber außerhalb dieser Pressemappen ungefähr niemanden interessieren.

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Wenn Magazinen mal so gar nichts einfällt, schreiben sie entweder über Hitler (alle), Singles (Spiegel) oder über die Geliebte als solche (Stern). Der Erkenntniswert hält sich zwar meistens in Grenzen, weil man über Hitler, Singles und Geliebte schon so ziemlich alles von Relevanz gelesen hat, von Hitler sogar, dass er schwul und jüdischer Abstimmung gewesen sei. Der „Stern“ macht in dieser Woche dennoch mit einer Geschichte über eine „Geliebte“ auf, was neben einem Cover aus der  Abteilung „Lass den Prakti heute mal ans Photoshop“ auch noch eine weitere Variante journalistischer Recherche offenbart. Neben dem Downloadserver und der Terminmappe einfach ein Buch nehmen, die Autorin interviewen und eine Geschichte draus machen. Dass man mit dem Buchverlag nebenher auch noch irgendwie ein bisschen via Bertelsmann verbandelt ist, ist sicher nur Zufall, in jedem Fall aber ein netter Nebeneffekt. Da freuen sich Verlag, Buchautorin und Redaktion und am Ende ist allen irgendwie geholfen, außer dem Journalismus, der zwischen IHK, DAK und blablabla versickert. Da hilft dann nicht mal mehr das iPad.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Heike Rost

    Fehlt noch das „Damenprogramm“ – Modetrends und Weihnachtsküchenartistik, Dekotipps und Frisurenvorschläge. Eins zu eins aufs iPad gehoben, dort entweder gratis via App zu haben oder zum Schleuderpreis von 79 Cent verramscht. Nur vordergründig hochwertiger Inhalt, das meiste davon Produktplazierung, Kooperationen, um drei Ecken finanziert. Trotz der nötigen Portion Realismus („Kohle muss irgendwie reinkommen“) gähnt on- wie offline der gleiche Brei den oder die Leserin an. Noch dazu mit aberwitzig langen Ladezeiten, die selbst bei fixem WLAN jenseits der Spaßgrenze liegen – von mobilem Netz inkl. Datenmengenbegrenzungen mal ganz zu schweigen. Irgendwelche Kaufargumente gesichtet? Nö, das gleiche Drama wie am Kiosk meines Vertrauens. Und schon gar nicht, wenn eine Zeitungs-App der Klon der anderen ist, ein paar klitzekleinwinzige Unterschiedchen in Farbigkeit, Layout und ein paar marginale, inhaltliche Differenzierungsbröckchen davon abgezogen.
    Gut, dass ich gerade von Berufs wegen zu den Test- und Vergleichslesern und -käufern gehöre. Freude macht’s nicht wirklich, sondern eröffnet bestürzende Einblicke in … Redaktionskonzepte. Mal so dahingenörgelt, muss schließlich auch mal sein.

  2. thorsten k.

    Es ist ganz einfach: Schreibt über das, was euch interessiert!

    Eigentlich ist ja alles interessant, wenn man neugierig ist. Neugierig auf Menschen.

    Diese Neugier ist den so genannten Journalisten leider völlig abhanden gekommen. In den Redaktionskonferenzen sitzen Honks, die sich nur für den eigenen Nabel interessieren – und jede PK und jeden anderen Termin „aufgedrückt“ bekommen müssen.

    Gott, wie oft hab ich irgendwann entvert gesagt: Scheiße, dann mach ich das eben! Und festgestellt, dass auch (gerade) ein Sperrmüll-Thema toll sein kann, weil es für die Betroffenen direkt relevant ist.

    Deshalb erachte ich auch lokale Berichterstattung als die wirkliche Königsdisziplin; nicht das salbadern über globale Wolkenkuckkucksheime, die nur für diejenigen von Belang sind, die sich in diesen Kunstwelten verhaftet fühlen.

  3. Peter Mock

    @“thorsten k.“ Danke. Unterschreib 🙂

  4. Nai

    Ach, dieser Beitrag ist doch genauso billig wie das, was er kritisiert. Warum wird eigentlich jeder erwartbare Journalismus durch genauso erwartbaren Blogismus gespiegelt? Bloggen aus dem Stehsatz, I guess.

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