Sonderformen des Irrsinns

Im Letzten handelt es sich nämlich um eine gruppentherapeutische Sitzung, die aber interessanterweise in vierfacher Hinsicht verändert wird. Zum einen ist der Zeitraum der Sitzung abnorm lang. Mehrere Wochen verbringen die Kandidatinnen und Kandidaten zusammen, sodass es zu abnormem Verhalten kommen muss, statt dass hier ein heilendes Geschehen überhaupt einsetzen könnte. Zum Zweiten ist ein solch heilsames Geschehen von den Machern der Sendung von vornherein gerade nicht intendiert. Während es in der Psychologie darum geht, Menschen aus dem reinen Agieren von Symptomen und Emotionen zu einem mitmenschlichen Verhalten und Sprechen zu führen, geht es beim Dschungel-Camp um das gegenteilige Muster: Je mehr und hysterischer vor allem die Kandidatinnen sich gebärden, umso besser für die Quote. Zum Dritten gibt es gerade keinen erfahrenen Gruppenleiter, der für Disziplin und Ordnung sorgt und mit seiner Autorität das Geschehen anleitet. Vielmehr ist jeder Kandidat zugleich Opfer und Täter, Sprechender und Besprochener, Mächtiger und Machtloser, Analysand und Analytiker; und viertens natürlich ganz entscheidend: Das intime Geschehen eines gruppendynamischen Prozesses wird bewusst aus seiner Intimität in die Öffentlichkeit gestellt, sodass es beim Zuschauer dessen voyeuristische Sehnsüchte bedient.

Was Sie schon immer über den RTL-Dschungel wissen wollten, sich aber nie zu denken trauten. Achtung: Das ist keine Satire. Glaube ich zumindest. Der Rest der Sonderformen des Irrsinns – hier.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Heike Rost

    Alle Öffentlichkeit ist Gruppentherapie. Oder vereinfacht: Sind wir nicht alle ein wenig … *Schleichwerbung off*, gaga, was auch immer? 😉

  2. Peter Jebsen

    Klasse Fundstück! Herrlich ist auch die Antwort auf die Frage: „Weshalb also schauen die Menschen das an?“

    Antwort: „Sie schauen es deshalb an, weil es bei vielen den eigenen emotionalen und geistigen Möglichkeiten so passgenau entspricht. In ihrem persönlichen Entfremdungsgeschehen sitzen sie seit Jahren mit denselben Menschen in denselben Büros in derselben Langeweile. Aber ausbrechen können sie nicht – wie die im Dschungel-Camp, die Abläufe sind streng reglementiert, und wer die Regeln verlässt, der wird entlassen. Ein Agieren der verkümmerten Gefühle ist nicht erlaubt, und dass die guten Gefühle verkümmern, das haben sie im Alltagstrott längst nicht mehr bemerkt.“

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