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Das Medienjahr 2023 – was kommt, was geht, was bleibt

Zugegeben: Die letzten Jahre hat mich die Disziplin der “Predictions” nicht sonderlich gereizt. Weil sich zwar jedes Jahr das eine oder andere getan hat. Aber so richtig aufregend war das alles nicht. 2023 dürfte das anders werden, es stehen einige Dinge vor der Tür, von denen ich sage: Sie haben das Potential zum grundlegenden Gamechanger. Am Ende des Jahres dürfte sich unsere kleine Medienwelt so stark verändert haben wie seit einigen Jahren nicht mehr. Kleiner Spoiler: Nein, AR und VR werden immer noch nicht in nennenswertem Umfang wachsen. Aber der Reihe nach…

  1. Raus aus der Abhängigkeit von den Plattformen

Bei Twitter herrscht Chaos? Facebook wirft Leute in rauen Mengen raus und will außerdem künftig viel lieber ein Metaversum sein? Insta ändert mal eben den Algorithmus und weiß selbst nicht so genau, ob es nicht lieber TikTok sein will? Das alles sind Ereignisse aus den letzten Monaten. Die uns eigentlich egal sein könnten. Wäre da nicht ein Haken: Für fast alle, die irgendwas mit Medien und Kommunikation machen, hat das Auswirkungen. Weil wir uns wie die Lemminge auf Social Media gestürzt haben und dem Mantra glaubten, das immer wieder vor sich hin murmelte: Es gibt kein Leben ohne Social Media, es gibt kein Leben…

Sowas kommt von sowas: Das Man-muss-Mantra hat in Sachen Social Media dazu geführt, wovor Skeptiker schon seit einigen Jahren warnen. Wer dort publiziert, ist in einer fatalen Abhängigkeit. Die Spielregeln gibt der Eigentümer vor, nicht der Mieter. Diese Spielregeln sind für die Publisher ungünstig, um es mal vorsichtig zu sagen. Rechte hat er de facto keine, dafür viele Pflichten. Zudem zahlt er einen vergleichsweise hohen Preis, wenn er alle Userdaten abgibt und zudem den gesamten Traffic aus einer Art Anschluss-Kommunikation. Dagegen kann er bestenfalls dumm schauen, wenn beispielsweise Facebook ohne Vorwarnung beschließt, den Algorithmus so zu ändern, dass Medien-Content nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und dann plötzlich mal eben der Traffic auf der Seite spürbar zurückeht.

Also, liebe Leute – geht mal besser davon aus, dass 2023 das Jahr wird, in dem wir uns allmählich wieder auf unsere eigenen Stärken besinnen und in dem Social Media, wie wir es bisher kannten, seinen Peak überschritten hat. Sollen wir uns das wirklich trauen, wird sich der eine oder andere fragen. Wo doch die Leute nach wie vor massiv dort unterwegs sind. Aber erstens wird umgekehrt ein Schuh daraus – sie sind dort, weil sie ja wissen, dass sie alles Relevante dort ebenfalls lesen können. Und zweitens: Twitter ungewiss, TikTok auf dem gnadenlosen Vormarsch, Insta und Facebook als potentielle Wackelkandidaten. Angesichts einer solchen Situation sollte man ohnehin nicht allzu viel Sicherheit erwarten (dazu später nochmal mehr).

  1. Es ist Audio, stupid!

Es ist ja immer wieder eine lustige Debatte: Hat der Podcast-Boom seinen Höhepunkt überschritten? Es gibt ernsthaft Leute, die diese Frage mit “ja” beantworten. Ich vermute allerdings, dass das Menschen sind, die an der Börse auch grundsätzlich antizyklisch handeln würden. Tatsächlich spricht nicht nur nichts dafür, dass es mit Podcasts langsam wieder abwärts ginge. Vielmehr geht die Debatte am eigentlichen Thema vorbei. Weil dieses eigentliche Thema Audios ganz generell und Podcasts dabei nur eine von mehreren Spielarten sind.

Aber bleiben wir erstmal noch bei den Podcasts. Es gibt eine ganze Reihe von Zahlen, die ich Ihnen hier um die Ohren hauen könnte. Aber weil sowas eher eine Übung für Nerds ist, nur soviel als Zusammenfassung: Ich habe keine einzige gefunden, die auf ein Abflauen des Booms hindeutet. Zahlen kann man bekanntlich in viele Richtungen interpretieren und dass es keinen Boom gibt, der endlos ist, geschenkt. Trotzdem wird es weiter Podcasts geben. An Podcasts als fester Bestandteil des Mediamix sowohl für Konsumenten als auch Publisher wird kein Weg vorbeiführen.

Inzwischen haben sich die Gewohnheiten vor allem junger Menschen eindeutig in Richtung Audio verlagert. Smartspeaker stehen in Millionen Haushalten. Sie können weitaus mehr, als nur Musik abzuspielen oder simple Suchanfragen beantworten. Schon klar, selbst bei Amazon reduziert man inzwischen das Alexa-Team. Das hat aber viel damit zu tun, dass man Dinge ausprobiert und dann wieder verworfen hat. An Audio-Shopping beispielsweise habe ich nie geglaubt, das wird auch nicht mehr kommen. Trotzdem: Zu Smart-Homes gehören smarte Speaker und dazu wiederum: Audio. Weil künstliche Intelligenzen immer besser werden, werden es auch die “smarten” Anwendungen. Lasst euch also schon mal was einfallen für 2023 ff. Weil Audio so viel mehr ist als Podcast. Die, das noch als letztes, werden sich weiter professionalisieren. Podcasts sind in inhaltlichem Anspruch und in ihrer Produktion das neue Radio. Schwere Zeiten für Laber-Podcasts und alle, die immer noch der Mär auf den Leim gehen, dass man Podcasts vor allem schnell und billig produzieren kann.

  1. KI als der neue Gatekeeper

Weil hier gerade von KI die Rede war: Sie verdient allmählich den Begriff “Intelligenz”. Die Fortschritte auf diesem Gebiet waren in den letzten Jahren atemberaubend. Wo die Ergebnisse teilweise noch vor 5 Jahren kurios und unbrauchbar waren, kommen jetzt richtig gute Sachen raus. Über Fluch und Segen der KI kann ich in diesem Newsletter alleine aus Platzgründen nicht philosophieren. Sicher ist nur: Die Rolle, die sie schon jetzt spielt und künftig in Medien und Kommunikation einnehmen wird, kann man kaum groß genug einschätzen.

Heißt aber auch: KI nimmt zunehmend mehr die Rolle des Gatekeepers ein. Sie wird darüber entscheiden, was User zu sehen, zu lesen, zu hören bekommen. Das Super-Monstrum TikTok zeigt, wie das im Extremfall aussehen kann: Zwar auf der einen Seite sehr effizient und schnell lernend. Auf der anderen Seite aber im schlimmsten Fall eine Höllenmaschine, eine Echokammer, ein Ding mit Suchtpotenzial. Wie gesagt: Der Umgang mit der KI wird auch künftig eine Gratwanderung sein.

Und wir alle, die wir produzieren? Werden uns mit der KI beschäftigen und arrangieren müssen. Und uns wieder auf eigene Kanäle konzentrieren, siehe Punkt 1.

  1. Die Welt wird TikTok

Ich habe es 2022 des Öfteren geschrieben, man kann es aber nicht oft genug sagen: TikTok ist ein stetig weiter wucherndes Monster. Noch nie ist ein Netzwerk in einem solchen Tempo gewachsen. Noch nie hat ein Netzwerk derart heftige Auswirkungen darauf gehabt, wie wir Content konsumieren. Von den politischen Dimensionen TikToks reden wir da noch nicht mal.

TikTik stellt uns vor zwei Herausforderungen. Zum einen die Vertrauenswürdigkeit. Die Gen Z, die sich dort hauptsächlich tummelt, sieht stärker als jede andere Generation ihre Freunde, ihre Influencer und viele andere, die nicht aus dem klassischen Medienbetrieb sind, als glaubwürdig an. Sie will die (gefühlte) Interaktion mit denen, sie will eine andere Ansprache. Zum anderen ist die Darstellungsform radikal anders (ich sage nicht besser oder schlechter, nur anders). Vertikale Kurzvideos haben ihren Siegeszug angetreten, angereichert mit anderen Gimmicks dominieren sie jetzt schon das Netz und werden mutmaßlich bald zu einer der wichtigsten Standard-Darstellungsform. Sogar der “Spiegel” bietet inzwischen prominent platziert auf seiner Startseite Nachrichten im vertikalen Story-Format an.

Kleiner persönlicher Einschub: Ich kann mit dem Format und der Idee “Story” ungefähr nichts anfangen. Das ist mir alles zu flüchtig, zu grell, zu viel Zeug aus der Kategorie “will ich eigentlich wissen”. Davon abgesehen, es ist wie Popcorn: Wenn du einmal mit dem Zeug anfängst, kannst du nur schwer wieder aufhören. Der Erkenntniswert, auch das ist wie beim Popcorn, ist meistens bei null, man hört höchstens auf, wenn einem schlecht wird. Trotz meiner persönlichen Abneigung: Die Welt interessiert sich mit gutem Recht nicht für meinen Geschmack und jede Zeit hat ihre eigene Mediennutzung; die Welt endet nicht in den 80erJahren (obwohl ich es da schon sehr nett fand, aber das ist wieder was anderes). Beschäftigen muss man sich also aus professioneller Sicht damit. Und das kann man ja ganz gut auch ohne es zu mögen. 

  1. Storytelling: Gute Geschichten über alle Kanäle

Können Sie sich noch an das Schlagwort “Crossmedia” erinnern? Lange ist es her, ich habe mal ein Buch zum Thema mit gleichem Namen geschrieben, das war vor rund 15 Jahren war. Seitdem finde ich es immer rührend antiquiert, wenn jemand von “Crossmedia” spricht. Nicht, dass es nicht weiterhin wichtig wäre, verschiedene Plattformen zu bespielen. Trotzdem trifft es der Begriff “Storytelling” inzwischen deutlich besser. Weil damit auch ein weiterer Aspekt abgedeckt wird, der zunehmend wichtiger wird: Personalisierung. Storytelling und Personalisierung haben viel miteinander zu tun, weil sich gute Geschichten natürlich von und mit Personality weitaus besser erzählen lassen als von anonymen Redaktionen oder Konzernen. Und gutes Storytelling, siehe die Kapitel davor, das geht über viele Kanäle und viele Darstellungsformen hinweg, vom Audio über das Vertikal-Video bis hin zum Tweet oder dem langen Textstück. Storytelling ist also Vielfalt plus Personality plus Authentizität und damit mal was ganz anderes als das schnöde Crossmedia.

  1. Verlage werden digital (oder sie gehen unter)

Wie geht’s eigentlich dem guten, alten Print? Wäre man Fatalist, man würde sagen: passt schon. Ein Großteil der Verlage hat sich mit dem digitalen Wandel insofern halbwegs arrangiert, als dass sie sich in eine Komfortzone des Nötigsten begeben haben, in der es sich halbwegs aushalten lässt. Es ist nach wie vor nur ein kleiner Teil, der verstanden hat, dass in den kommenden ein, zwei Jahren die Zeiten, in denen Print das verlässliche Kerngeschäft ist, zu Ende gehen. Man müsste also (oh Gott, ich hasse diese Formulierung ja eigentlich!) mal langsam dazu übergehen, das Digitale zum Kerngeschäft zu machen. Nachdem ich da immer noch relativ wenige Ansätze sehe und mir über die Jahre zu dem Thema die Finger wund geschrieben habe, belasse ich es dabei: Last Exit 2023. Wer danach immer noch keine brauchbare Digitalstrategie hat, kann sich bald Gedanken über seine Beerdigung machen. 

Wie sowas gehen kann, haben in den letzten Jahren Tageszeitungen in Bayern gesehen. Der “Donaukurier” in Ingolstadt und die “Mittelbayerische Zeitung” in Regensburg, zwei traditionsreiche und große Titel, haben die Grätsche gemacht und gehören jetzt der “Passauer Neuen Presse”. In Ingolstadt und Regensburg hat das beispielsweise zur Folge, dass sie sich einen Chefredakteur teilen, der Druckbetrieb in Regensburg eingestellt wird und dass man alles in allem zu zwei vergleichsweise billigen Zweigstellen der PNP geworden ist. Und dabei war insbesondere die “Mittelbayerische” digital wenigstens halbwegs gut aufgestellt.

Ein Tageszeitungsabo, so viel als Letztes, kostet inzwischen in Deutschland im Schnitt irgendwas um die 500 Euro, eine einzelne Wochenend-Ausgabe beispielsweise der SZ kratzt an der 5-Euro-Grenze. Das ist ein Hochpreis-Produkt und was der Student im zweiten Semester schon weiß: Für einen hohen Preis wird ein entsprechender Gegenwert erwartet.

  1. Das Metaverse lässt auf sich warten

Facebook heißt jetzt Meta und auch sonst ändert sich – vieles. Erkennbar setzt Mark Zuckerberg nicht mehr auf das althergebrachte Netzwerk. Stattdessen sind in seiner Vorstellung künftig virtuelle Welten das neue Netzwerk. Viel VR und AR, irgendwas mit Avataren, das “Second Life”, der Digitalgott hab es selig, soll von den Toten wieder auferstehen. Was man bisher gesehen hat, sorgte eher für Spott im Netz und das völlig zurecht. Der Zuckerberg-Avatar sah aus wie eine Corel-Draw-Grafik eines Elfjährigen, die für dieses Leben nötigen Brillen sind immer noch kiloschwere und vor allem teure, klobige Monster und alles in allem hat man jetzt noch nicht wirklich viele zwingende Gründe für eine Übersiedlung ins virtuelle Reich des Zuckerberg gehört, außer, dass es irgendwann vielleicht mal ganz lustig werden soll.

Braucht man das also? Stand heute würde ich sagen: So schnell wird das alles nicht kommen, schon alleine, weil die Technik in den Kinderschuhen steckt. Und schließlich dazu noch ein schöner Songtext:

Now the light fades out

And I wonder what I’m doing

In a room like this

There’s a knock on the door

And just for a second I thought

I remembered you

Der Song heißt übrigens “Are Friends Electric?” – und stammt aus dem Jahr 1979.

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