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Evidero: Rettet die Welt und holt mir einen Nachhaltigkeitsfisch

Vermutlich leide ich an irgendeinem merkwürdigen Beschützerinstinkt.  Oder an einem anderen Defekt. Aber immer dann, wenn eine große Meute auf jemanden gesammelt losgeht, macht mich das stutzig. Und es nervt. Weil es die einfachsten und billigsten Erfolge sind, auf jemanden einzuprügeln, der ohnehin schon am Boden liegt  (dass es dafür ja auch eine Vorgeschichte gegeben haben muss, blende ich gelegentlich gerne aus). Ich ertappe mich ja sogar dabei, die Sache mit Wulff grenzwertig zu finden, wie sie da jetzt alle aus den Löchern kommen und schreien: Ich weiß auch noch was. Dabei sollte mir Wulff wirklich nicht leid tun, sonst fange ich demnächst noch an, Sympathien für Maschmeyer zu entwickeln und spätestens dann sollte ich mal einen Arzt aufsuchen.

Ich habe es aufgrund dieses kleinen genetischen Defekts mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen, als ziemlich genau vor einem Jahr eine ganze Meute über Konstantin Neven DuMont hergefallen ist. Ich habe keine Ahnung, ob er es wirklich war, der in Stefan Niggemeiers Blog all jene wüsten Kommentare losließ und hielt seine Begründung, es seien andere Menschen gewesen, die an seinem Rechner saßen, für etwas abenteuerlich. Auf der anderen Seite hatte ich damals das Gefühl: Wenn es einen Menschen auf dem Planeten gäbe, dem ich das zutrauen würde, dass andere ein bisschen von seinem Rechner Blogs mit Kommentaren fluten, dann KNDM. Ich bin ihm später einmal persönlich begegnet und mein Eindruck hat sich nicht geändert.

Jedenfalls fand ich es tendenziell unschön, wie man sich vielerorts einen Spaß daraus machte, KNDM zu einer Art Lachplatte der Medien zu machen. Am Ende hatte man den Eindruck, dass sich jeder Praktikant in einer Redaktion ungestraft über KNDM beömmeln durfte. Das Dumme daran ist, dass es mir vermutlich den Blick auf ihn als auch auf das, was er als Verleger/Unternehmer/Whatever macht, verstellt. Das geht mit auch mit seinem Projekt evidero.de so. Ich habe selbst nach intensivem Klicken und Schauen absolut keine Ahnung, was ich davon halten soll. Mein Reflex sagt mir: nicht einfach auf KNDM einprügeln, weil das billig ist und wahrscheinlich heute und morgen alle (oder wenigstens: viele) machen. Auf der anderen Seite sitze man dann mal vor solchen Überschriften:

Mein erster Reflex ist: KNDM anrufen und ihn fragen: Meinen Sie das ernst? Ich soll nachhaltig essen und die Welt retten? Oder ist das Satire und ich verstehe sie nicht? Zu befürchten ist, dass Evidero eine weitgehend ironiebefreite Zone ist (sagen Sie es mir, wenn ich mich täusche…).  Man kann das zumindest aus den Texten schließen, die sich schon mal so lesen:

Fisch ist gesund und liegt im Trend. Doch leider bedenken nur wenige, dass der Konsum von überfischtem Meerestier zu Lasten der Natur geht.Thunfisch steht kurz vor dem Aussterben. Doch allein im Jahr 2010 wurden in Deutschland mehr als 128 Tausend Kilo Thunfisch. Auch drei der anderen fünf beliebtesten Fischsorten der Deutschen – Seelachs, Lachs und Pangasius – sind bedroht. Aber, welcher Fisch darf dann noch auf den Tisch?

Wenn das erst gemeint ist, dann ist es eine löbliche Idee auf merkwürdige Weise umgesetzt. Es hat einen tendenziell pastoralen Unterton, kommt merkwürdigend mahnend des Wegs und ist trotzdem allein in diesem Absatz voller Plattheiten. Fisch ist lecker, aber es gibt nicht mehr so viel davon…tja. Die meisten Texte lesen sich wie Besinnungsaufsätze, für die es vermutlich auch ein Publikum geben wird, aber das dürfte dann ein Publikum der wortschwallenden Dauerentrüsteten sein, die sich in ihrer Empörung selbst genug sind. Ihnen vermittelt Evidero das Gefühl, dass es schon irgendwie ok ist, entrüstet zu sein. Es wimmelt vor artverwandten Begriffen der Nachhaltigkeit, die am Ende für ein krudes Lebensgefühl sorgen: alles Irrsinn, alles ganz furchtbar, rettet die Welt und holt mir vorher ein Bier.

Wäre es nicht sinnvoll, deutlichere Warnhinweise auf nicht-nachhaltige Nahrungsmittel zu schreiben? So wie auf Zigarettenschachteln vor dem Rauchen gewarnt wird? Stattdessen prangen bunte Gütesiegel auf vielen Verpackungen: Ampeln, CO2-Fußabdrücke, Biolabels, Fischereilabels bis hin zu Phantasiesiegeln. Eine einheitlich europäische Absprache steht in weiter Ferne, die Verbände sind untereinander zerstritten, die Verbraucherzentralen verzweifeln. Wer blickt da noch durch? Das schlimmste Durcheinander herrscht jedoch in der Luft und auf den Straßen.

Dem ambitionierten Käufer ist klar, dass auf einem Markt in Köln das Obst aus den Benelux-Staaten einen deutlich kürzeren Transportweg hat als „einheimische“ Früchte aus Hamburg oder Bayern. Und dass regionales und saisonales Einkaufen eine wichtige Regel bei der Nachhaltigen Ernährung spielt. Vollkommen irrsinnig für jeden klar denkenden Menschen ist die Tatsache, dass Deutschlands größter Exportschlager unter den Früchten die Banane ist. Transportwahnsinn findet sich auch bei dem am meisten abgebauten Obst in unserem Land: dem Apfel. Eigentlich gäbe es genügend heimische Früchte für alle, doch ein Teil wird exportiert, damit der so entstandene Mangel wieder importiert werden kann. Oder muss. So wird gewinnbringend spekuliert und billiges Obst kreuz und quer durch die Nationen gekarrt. Solange die Folgeeffekte nicht in die Transportkosten eingerechnet werden, sind und bleiben die Klima-Ziele der Kyoto-Protokoll nur leere Worte.

Der Betroffenheits-Wortschwall zieht sich leider auch durch die Videos, der Grundton klingt ein bisschen nach VHS-Seminar („Wie wir mit nachhaltigem Irgendwas auch vielleicht irgendwas erreichen können“). Was ein bisschen schade ist, weil der gute KNDM tatsächlich nicht ganz wenig Geld für das Projekt in die Hand genommen hat; er selbst spricht von 200.000 Euro alleine für die technische Ausstattung. Die Seite und die Videos sind sauber und stellenweise auch aufwendig produziert, auch wenn es vielleicht erwartbar ist, dass ein nachhaltiges Grün auch die Farbgebung der Seite maßgeblich mitbestimmt.

Man weiß, er meint es gut, der KNDM. Man muss trotzdem insgeheim lachen, wenn ein Video über den Karpfen mit dem schönen Satz „Evidero über einen Fisch mit einem Imageproblem“ angekündigt. Kurz darauf wird der Karpfen der „Nachhaltigkeitsfisch überhaupt“ bezeichnet. Das erinnert ein wenig an Edmund Stoiber und den „Problembären“, der ja ganz eindeutig ein „Schadbär“ war. Wie es mir mit Evidero und KNDM überhaupt ein bisschen wie mit Stoiber geht: Man kann ja an der berühmten Zehn-Minuten-Hauptbahnhof“-Rede oder am Schadbären nicht wirklich ernsthaft Kritik üben und irgendwie ist diese Unbeholfenheit ja dann fast schon wieder sympathisch. Aber eben doch: unbeholfen. Dass ich ab morgen die Welt rette, indem ich Nachhaltigkeitsfische esse, glaube ich aktuell weniger.

Aber vielleicht verstehe ich das alles ja auch einfach nur furchtbar falsch.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Stefan Münz

    Ich glaube nicht, dass du das alles falsch verstehst. Aber vielleicht solltest du einfach mal bedenken, dass nicht alle Menschen so allwissend und abgebrüht sind wie du und bereits alle ökologischen Zusammenhänge und Zahlen kennen, die uns von Industrie und EU nur zu gerne vorenthalten werden. Mir ist auch noch nicht klar, wer letztlich die typische Zielgruppe von Evidero sein wird. Am liebsten wäre mir fast, wenn es keine typische Zielgruppe gäbe, aber wenn man, gerade auf Google-Suche nach einem Begriff wie „feinstes Beefsteak der Stadt“ sucht, auch mal auf einen Evidero-Artikel stößt, der einem ein paar „feine Zahlen“ zu dem Thema serviert. Anders hat Aufklärung noch nie funktioniert. Und es wurde immer schon gelacht über Aufklärer.

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