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Zeitungsboykott!

Schaltet die Smartphones ab und werft die Kreditkarten weg! Was Hans Magnus Enzensberger in der FAZ an Ratschlägen für ein besseres Leben im digitalen Zeitalter gibt, ist nicht nur eine publizistische Bankrotterklärung. Es offenbart auch, dass es in diesem Land eine erstaunliche Neigung gibt, radikal gegen alles Digitale zu sein.

Hans Magnus Enzensberger hat die Lösung unserer Digitalprobleme gefunden. In der FAZ gab er zehnTipps, die sich auf einen Punkt bringen lassen: Totalverweigerung. Smartphones abschaffen, das Netz meiden, wo es geht, keine Kreditkarten mehr verwenden. Kurz gesagt: Alles, was in irgendeiner Weise Daten und Spuren hinterlässt, von der persönlichen Agenda nehmen und schon ist alles gut. Das lässt sich ganz prima auch auf alle anderen potentiellen Probleme des Lebens anwenden: nicht mehr Auto fahren – und schon gibt es keine Verkehrsunfälle und keine Luftverschmutzung mehr. Nix mehr essen, das wäre das Ende aller Lebensmittelskandale und auch gleich noch aller Figurprobleme. Wenn man dann noch aufhören würde, Zeitungen zu drucken, würde das dem Baumbestand gut tun und somit irgendwann auch mal das Waldsterben verlangsamen, falls es das überhaupt noch gibt.

Man könnte also, kurz gesagt, den Enzensberger-Text als Nonsens abtun. Weil er keine wirklich ernsthaften Alternativen bietet und weil er sich erstaunlich hartnäckig weigert, sich mit den unbestritten vorhandenen problematischen Seiten der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Trotzdem hat der Text eine andere Dimension: Er ist ein Beleg dafür, wie sehr wir im Lande D. eine erstaunliche Neigung dazu haben, radikal gegen neue, digitale Technologien zu sein. Und wie sehr es an der Differenzierung fehlt. Neue Technologien, digitale zumal, die machen bei uns immer gleich dement, sorgen für die Verdummung, für die Versklavung und nebenbei auch noch für einen totalitären Staat.

Das lässt außer Acht, dass es keine Technologie gibt, die von Grund aus gut oder böse ist. Jede Technologie, digitale zudem, kann in beide Richtungen ausschlagen. Natürlich ist es beispielsweise unbestritten, dass Daten in den Händen von Geheimdiensten eine potentielle Bedrohung sind. Niemand, nicht mal Enzensberger, wird allerdings auf der anderen Seite bestreiten können, dass sich aus großen Datensätzen auch ausgesprochen viel Gutes machen lässt. Natürlich ist Google eine potentielle Datenkrake. Auf der anderen Seite ist Google aber eben auch ein hoch innovatives Unternehmen, das an etlichen Dingen forscht, die die Welt erheblich besser machen könnten. Der “Spiegel” hat das in seiner aktuellen Titelgeschichte ausführlich beschrieben.

Man muss das ja nicht gleich von Enzensberger erwarten, aber womöglich von Menschen, deren beschäftigung mit dem Thema weiter geht, als es einfach nur für eine Bedrohung des Weltfriedends zu halten: Die großen Themen, um die es in den nächsten Jahren der Digitalisierung gehen wird, sind nicht die, die sich darum drehen, die Welt wieder in den analogen Zustand zurückzuversetzen. Die Frage ist eher: Wie lässt sich digitale Technologie beherrschen? Welche Regeln gelten im Umgang mit ihr?

Und bevor wir soweit gehen, wäre es eine Idee, die Rückstände aufzuholen, die es in Deutschland infrastrukturell immer noch gibt. Global gesehen, ist Deutschland immer noch auf einem Stand knapp überhalb eines digitalen Entwicklungslands. Es gibt zwar immer wieder mal ein paar Ankündigungen in Politik und Wirtschaft, das Netz endlich mal ein bisschen ernster nehmen und zudem für einen Ausbau der Netze sorgen zu wollen. Tatsächlich dümpeln netzpolitische und digitalwirtschaftsliche Themen irgendwo rum, ohne dass sie mit sonderlichem Nachdruck verfolgt werden. Vom neuen Digitalminister Dobrindt beispielsweise hat man noch nicht sehr viel mehr gehört, als dass er vereidigt wurde. Auf der Agenda der GroKo haben sich digitale Themen bisher ebenfalls nicht gefunden.

Und auch die deutsche Publizistik tut sich bisher nicht gerade mit differenzierten Beiträgen hervor. Solange jedenfalls das FAZ-Feuilleton nichts besseres weiß, als die Totalverweigerung als Lösung aller Dinge zu propagieren, sollte man sich dort nicht über mangelnde Digitalkompetenz einer Gesellschaft beklagen.

(Foto auf dieser Seite: Marvin Siefke/pixelio.de)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Moki

    Es wirkt fast wie das wirre Geplapper eines alten Mannes. Das beginnt mit der ersten Aussage: „Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg. Es hat ein Leben vor diesem Gerät gegeben, und die Spezies wird auch weiter existieren, wenn es wieder verschwunden ist.“ Enzensberger geht also davon aus, dass das Mobiltelefon irgendwann wieder verschwinden wird. Also genauso wie die Dampfmaschine, der Verbrennunsmotor, die Elektrizität, das Telefon und das Fernsehen oder was? Bittere Ironie an: Es ist ja bekanntlich das Wesen bahnbrechender Erfindungen, die sich bereits um die ganze Welt verbreitet haben, irgendwann wieder zu verschwinden. Ironie aus: In dem Text stecken auch ein paar nict völlig weltfremde Aussagen. Aber aufgrund des eingangs angeschlagenen Tones bin ich geneigt, das als Zufallstreffer abzutun.

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