Eine kleine Debatte in der „Drehscheibe“

Wie ist das eigentlich mit diesen Sozialen Netzwerken? Manchmal wird man ja den Eindruck nicht los, als ob das Verständnis vieler traditioneller Redaktionen immer noch so ist, dass es völlig ausreichen würde, ab und an mal ein paar Links zu Facebook oder twittern zu schleudern und dann ist es auch wieder gut. Dabei könnte es ja auch inhaltliche und strukturelle Auswirkungen haben, wenn plötzliche Facebook und andere zu potentiellen Inhalte- und Diskussionsplattformen werden. Die „Drehscheibe“ hat Joachim Braun (Chefredakteur Nordbayerischer Kurier) und mich zu einer kleinen Pro- und-Contra-Debatte eingeladen, die in der nächsten Ausgabe veröffentlicht wird. Joachim Braun hat die Texte ebenfalls auf seinem Blog veröffentlicht und im Übrigen darauf hingewiesen, dass wir zwar aus dem selben Jahrgang stammen, ansonsten aber selten einer Meinung seien. Das würde ich gar nicht mal so sehen. Braun ist in meinen Augen einer der angenehmeren Erscheinungen in der Szenerie der deutschen Chefredakteure von Regionalzeitungen. Und letztlich zeigen auch unsere (nicht abgestimmten) Beiträge für die „Drehscheibe“, dass wir inhaltlich gar nicht so auseinanderliegen.

Lösen also die sozialen Netzwerke bald die Lokalzeitungen als wichtigste Diskussionsplattform im Lokalen ab? Hier sind unsere Meinungen:

Pro (Christian Jakubetz):

Wenn man so will, dann haben die Befürworter von Stuttgart 21 knapp gewonnen. Sie bringen es auf gut 120.000 Anhänger, während es die Gegner „nur“ auf rund 100.000 Unterstützer bringen. Man erkennt an diesem knappen Ausgang, wie umstritten dieses Projekt immer noch ist (und vermutlich bleiben wird). Und man kann sich vorstellen, wie sehr immer noch heftig debattiert wird.

Nein, die Rede ist nicht von etwaigen Foren in den Zeitungen vor Ort, auch nicht von Leserbriefen, Anrufen oder Voting-Clicks auf den Webseiten der Blätter. Sondern von Facebook. Und den Mitgliedern, die die jeweiligen Seiten dort zählen. Steht eine Mitgliedschaft in einem Netzwerk für Relevanz, für Haltung, Meinung, Diskurs? Nein, nicht per se – aber schon ein kleines Beispiel wie dieses zeigt, wo die Reise hingeht. Öffentlichkeit wird inzwischen wie automatisch über soziale Netze hergestellt, Diskussionen werden dort ebenfalls geführt. In einer Schnelligkeit und in einer Wucht, bei der die gute alte Lokalzeitung zumeist hoffnungslos überfordert ist.

Ein hoch aktuelles wie bezeichnendes Beispiel dafür: Als unlängst Manuel Neuer bekanntgab, seinen Verein Schalke 04 verlassen zu wollen, da tat er dies nicht in einer Pressekonferenz, auch nicht in einer Pressemitteilung. Er postete eine knappe Mitteilung einfach auf seiner Facebook-Seite. Und ehe die Redaktionen vor Ort sich versahen, war ihnen auch die Diskussion über den Fall Neuer entglitten. Innerhalb von 20 Minuten waren hunderte Kommentare unter Neuers Mitteilung gepostet, inzwischen sind es über 16.000. Eine Menge, ein Tempo, eine Relevanz, zu der eine (Lokal-)Redaktion aus den unterschiedlichsten Gründen gar nicht mehr in der Lage ist.

Innerhalb weniger Jahre hat ein atemberaubender Paradigmenwechsel stattgefunden (und man kann vielen Lokalredaktionen nicht mal einen großartigen Vorwurf daraus machen): Was sagen und denken die Menschen bei Facebook, bei Twitter, bei VZ? Das ist die Frage, die sich viele Firmen, Sportler, Vereine und Politiker inzwischen als erstes stellen. Wenn 200.000 Menschen bei Facebook in irgendeiner Weise zu Stuttgart 21 aktiv sind, wenn 16.000 Menschen einen Kommentar zu Manuel Neuer abgeben – was ist dann noch die Leserbriefspalte in den Stuttgarter Nachrichten oder in der WAZ?

Böses Internet, mal wieder? Mag sein, aber auch den Trend zu den sozialen Netzwerken haben viele Redaktionen schlichtweg nicht sehen wollen. Die Stuttgarter Nachrichten bringen es bei Facebook inzwischen auf knapp 4000 Freunde. Es gibt Privatleute, die haben mehr.

Contra (Joachim Braun):

Sommer 1995: Die Stadt Bad Tölz stellt in der Fußgängerzone einen Brunnen auf. Das zeitgemäße Kunstwerk löst in der Lokalzeitung Tölzer Kurier eine Protestwelle aus. Nach Dutzenden erboster Leserbriefe lässt die Stadt das strittige Kunstwerk entfernen.

Weihnachten 2008: Eine Jury aus Bayreuther Künstlern, Stadträten und Architekten entscheidet sich nach einem Wettbewerb für den Entwurf des Tristan-Brunnens (was sonst in der Wagner-Stadt?). Er soll in der Fußgängerzone aufgestellt werden. Wochenlang bombardieren aufgebrachte Bürger die Lokalzeitung Nordbayerischer Kurier mit Leserbriefen. Am Ende gibt der Stadtrat dem Druck nach und entscheidet gegen den Brunnen.

Zwei ähnliche Ereignisse im Abstand von 300 Kilometern und 13 Jahren, und zwei Mal spielte die Zeitung vor Ort die entscheidende Rolle – als ob in der Zwischenzeit nicht das Internet zur Weltmacht geworden wäre. Kann das trotz Facebook, Twitter & Co. überhaupt sein? Es kann. Dabei ist der Nordbayerische Kurier von denselben Problemen geplagt wie fast alle Zeitungen in Deutschland. Die Leserschaft ist in der übergroßen Mehrheit deutlich jenseits der 60 und damit nicht unbedingt im Alter von Revolutionären.

An den Leserbrief-Protesten indes beteiligten sich alle Altersgruppen. Was zeigt, dass die Zeitung immer noch nicht nur das Informationsmedium Nummer 1 ist, sondern auch das wichtigste Debattenmedium auf der lokalen Bühne. Noch immer schaffen wir vor Ort Community. Was in der Zeitung steht, ist wichtig. Diese Kraft zu behalten, ist zweifellos eine der schwierigsten Aufgaben.

Soziale Netzwerke im Internet sind aber nicht der Feind. Wir müssen sie zu unseren Verbündeten machen und mit ihnen Reichweite, Einfluss, vor allem aber die Kommunikation mit unseren Kunden, den Lesern, verbessern. Das geht nicht von selbst. Dafür sind Verlagsgeschäftsführer nötig, die bereit sind, auch mal ins Risiko zu gehen und zu experimentieren, statt beim Personal zu sparen. Wir brauchen Chefredakteure, die neugierig sind auf neue Medien, vor allem aber Redakteure, die so kompetent sind, dass sie die lokalen Debatten auf allen Kanälen führen können.

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(*) Die Drehscheibe ist ein monatlich erscheinendes Magazin, das vom Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben und von der Berliner Agentur Raufeld-Medien produziert wird. Hauptzweck ist die Vernetzung von Lokalredaktionen und eine Ideenbörse für Themen zu bieten. Rund die Hälfte aller deutschen Lokalredaktionen haben die Drehscheibe abonniert.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Grünschnabel

    Für die anhaltende Relevanz der Lokalzeitung in öffentlichen Debatten ein Beispiel von 2008 zu nennen und daraus zu schlussfolgern, „dass die Zeitung immer noch nicht nur das Informationsmedium Nummer 1 ist, sondern auch das wichtigste Debattenmedium auf der lokalen Bühne“ finde ich mehr als merkwürdig.
    Ohne es genau zu wissen, würde ich mal vermuten, dass der Einfluss von Facebook, Twitter und Co in den letzten drei Jahren doch deutlich gewachsen ist.

  2. Kristian Laban

    Jakubetz vs. Braun 1:0.
    Übrigens wird der Tageszeitungsleser niemals von diesem Meinungsaustausch erfahren.

  3. Joachim Braun

    @ Grünschnabel: Sie mögen Recht haben, aber ein aktuelleres Beispiel war mir nicht präsent. Wir sind aber bestrebt, Facebook-Diskussionen zu Bayreuther Themen in der Zeitung zu spiegeln (wogegen der OB auf seinem Blog protestiert und auf meinem Blog gescholten wird). Keine Frage: Es geht nicht um Facebook vs. Lokalzeitung, wie ich getitelt habe, sondern darum, beide Kanäle zusammenzuführen – und da bin ich mir mit Christian Jakubetz sicherlich einig. Demnächst werden wir am Newsdesk die Aufgabe des (im Zentrum platzierten) Onliners um die Aufgabe erweitern, dass er/sie Social-Media-Diskussionen in das gedruckte Produkt erweitert. Ein Anfang …
    @Kristian Laban: 1:0 ist ok, aber dieses Pro & Contra würde ich tatsächlich gerne ins Print-Produkt ziehen, leider weiß ich nicht wie. Aber mir fällt bestimmt noch was ein. Ich nutze Facebook inzwischen, um (in einem aktuellen Fall) CSU-Politiker anzumachen, die zu Guttenberg (lokaler Held) keine Kommentare abgeben wollen. Diesen Dialog können die Zeitungsleser morgen bei uns lesen. Also bitte nicht urteilen, ohne uns zu kennen.

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