Der hyperlokale Heile-Welt-Onkel

Kann es sein, dass unser Verständnis von Lokaljournalismus jahrzehntelang ein einziges, großes Missverständnis war?

Die Anfrage kam von einer Passauer Studentin: Sie schreibe ihre Masterarbeit zum Thema „Hyperlokaler Journalismus“, ob ich ihr ein paar Fragen zum Thema beantworten könne? Und so saßen wir heute eine gute Stunde zusammen und plauderten über die Zukunft des Lokalen und des Hyperlokalen und irgendwann kam natürlich auch die Frage nach den Perspektiven; den wirtschaftlichen wie natürlich auch den inhaltlichen. Natürlich bräuchte, auch wenn das per se widersprüchlich ist, auch ein hyperlokales Projekt erst einmal so etwas wie Reichweite. Vielleicht nicht ganz so viel wie eine große Lokalzeitung, aber um wahrgenommen zu werden und möglicherweise auch Werbung zu verkaufen, muss man schon ein paar Leute erreichen. Das schafft man…wie genau?

Kann es sein, dass man es mit den klassischen Tugenden, die wir von uns und unserem Beruf verlangen, gar nicht schafft? Dass im (hyper)lokalen Metier weder das Kommentieren noch das Analysieren geschweige denn das investigative Aufdecken von Geschichten und Skandälchen gar nicht so sehr gefragt ist? Weil es  ja im eigenen kleinen Mikrokosmos nicht geben kann, weil es nicht sein darf. Weil man möglicherweise genüsslich jedes einzelne Detail eines Kachelmann-Prozesses oder einer mutmaßlichen Vergewaltigung eines Bankers irgendwo in New York verschlingt und es auch für die Aufgabe von Journalisten hält, solche Dinge ans Tageslicht zu bringen. Umgekehrt legt man solche Maßstäbe im eigenen Mikrokosmos ungern an.  Hinter den eigenen Isolierglasscheiben darf passieren was will, solange nach außen hin der Schein gewahrt wird.

Im Laufe unseres Gesprächs fielen mir dann noch die einzigen beiden mini-investigativen Geschichten ein, die ich in meiner Zeit als Lokalredakteur gemacht hatte. Beide hatten alle Bestandteile des klassischen kleinen Lokalskandals: Honoratioren einer Kleinstadt beispielsweise, die sich bei einer hübschen kleinen Mauschelei die Bälle selber zuspielen (und nicht nur die Bälle), mehr oder minder gedeckt von einer bekannten Kommunalpolitikerin, die mit resoluter Art schon mal ihre Opposition zum Schweigen brachte. Oder in einer anderen Geschichte ein Bediensteter eines Landkreises, der öffentliche Räume verwanzte und aus der öffentlichen Kasse schon mal ein paar Groschen abzweigte, um das eigene Auto zu finanzieren. Beides Geschichten, die nach unseren theoretischen Maßstäben klassische lokaljournalistische Top-Aufgaben gewesen wären.

Ich habe selten so viel Feuer bekommen wie nach diesen beiden Geschichten. Nicht, weil sie falsch gewesen wären. Nicht, weil Fakten nicht gestimmt hätten. Und übrigens auch keineswegs nur von den Betroffenen, da hätte ich das sogar noch verstanden. Sondern von ganz normalen Leuten aus der Stadt. Im Fall des wanzenlegenden Bediensteten wurde mir sogar vorgeworfen, ich hätte ihm und seiner Familie das Weiterleben in der Stadt unmöglich gemacht. Dass er es war, der über Jahre hinweg Straftaten begangen hatte, wurde als Argument nicht gelten gelassen. Das hätte man schon intern geregelt, das hätte ja nicht gleich in der Zeitung stehen müssen (zumal beide Geschichten dann auch von großen Münchner Blättern gemacht wurden; die größte Sorge war: Wie stehen wir denn jetzt da?). Bigotterie hat eine lange und weit verbreitete Tradition, das ist nun mal so.

Vermutlich hatte ich nicht mal das Pech, in irgendwelchen besonders verbohrten Gegenden gearbeitet zu haben. Möglicherweise wäre mir das überall in Deutschland passiert, in Niederbayern genauso wie im Ruhrpott oder an der Nordseeküste. Vielleicht ist es demnach also so, dass wir mit unserem journalistischen Verständnis von Lokaljournalismus schlichtweg falsch liegen. Vielleicht ist es ja so, dass Lokaljournalismus in erster Linie eher das chronistische Dokumentieren eines Alltags ist, der in seiner Gleichförmigkeit schon wieder etwas beruhigendes hat. Natürlich, man hört dann in einem Blatt so ganz ohne Skandale und ohne Aufreger schnell mal: In dem Käseblättchen steht nix gescheites drin. Aber wer sich als (Lokal-)Journalist mal an heikleren Geschichten versucht, steht schnell als Nestbeschmutzer da.

Denkt man sich das dann in noch kleineren publizistischen Einheiten, redet man also nicht mehr von Städten oder Landkreisen, sondern möglicherweise von Dörfern und Stadtteilen, wo also dann tatsächlich sprichwörtlich jeder jeden kennt – kann man da als hyperlokales Projekt wirklich überleben, wenn man gefühltes Salz in die Wunden streut und klassischen Journalismus betreibt? Oder kann hyperlokaler Journalismus, wenn er wenigstens wirtschaftlich erfolgreich sein soll, letztendlich nur heile Welt spielen und eine Chronik des täglichen Lebens abliefern?

Natürlich: Es gibt Stefan Aigner und es gibt Hardy Prothmann und die machen alles andere als handzahme Heile-Welt-Berichterstattung. Gespannt bin ich nur darauf, ob beide (und andere) es schaffen werden, auf Dauer mehr als eine vermutlich in jedem Ort der Welt vorhandene Gruppe von Unzufriedenen, von tatsächlich kritischen Geistern zu erreichen. Ob sie und der hyperlokale Journalismus es schaffen, mehr als „nur“ die Ergänzung der großen lokalen Medienstimme zu werden. Ob sie irgendwann mal eine echte Alternative werden.

Nach meinem Gespräch mit der Studentin – war ich mir auf einmal alles andere als sicher.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. FS

    Ebenfalls interessant: schneidet man sich mit zu kritischem Lokaljournalismus nicht irgendwann die eigene Finanzierung ab? In lokale Skandälchen ist notwendigerweise auch die lokale Wirtschaft verwickelt, die aber als Anzeigenkunde dringend gebraucht wird. Je mehr dieser Leute man ans Bein pinkelt, desto weniger Geld wird man einwerben können.

  2. Jörg

    1) Stefan Aigner lebt in Regensburg, da ist die Chance, mit kritischem Journalismus eine ausreichend große Zielgruppe zu erreichen, die die Arbeit anerkennt und honoriert, wohl größer als in einem Dorf oder einem Stadtteil.
    2) Hyperlokale Projekte leben wohl nicht vom Projekt und der Werbung alleine. Eher dürften da noch Zusatzeinnahmen hinzukommen – zum Beispiel Erstellen von Webseiten oder ähnliches.
    3) Kann es sein, dass es eine Abstufung gibt? Journalismus ist ja nicht nur Chronistenpflicht oder Skandale Aufdecken. Es ist auch Erklären, Einordnen, Hinweise geben. Also kritisch, hinterfragend, erklärend, ohne gleich an den Pranger zu stellen. Einen Gemeindehaushalt zum Beispiel transparent zu machen, indem Fragen gestellt werden, ist doch auch schon eine nicht zu verachtende journalistische Leistung.

    Wie es weiter geht? Es kommt auf die Verleger an. Verleger, die eine publizistische Idee haben, und dafür Geld erwirtschaften wollen, um diese Idee zu verwirklichen. Die werden eine Chance haben – egal ob print, online oder on Air. Verleger, die nur Verlegen, um damit Geld zu verdienen, denen es egal ist, ob sie eine Zeitung oder Kernseife verkaufen, die werden keine Chance haben.

  3. Peter Stawowy

    Also wenn diese Position, hyperhyper Blogs könnten den Lokaljournalismus revolutionieren, mal nicht vorher schon naiv war. Hyperlokale Blogs können ihn vielleicht ergänzen, an der einen oder anderen Stelle verbessern, ja. Aber sobald man in seinem Blog mal eine kritische Geschichte schreibt, hat man doch auch gleich eine Rolle oder eine Funktion übernommen. Dann wird man umgarnt oder gemieden oder kriegt Sprüche an den Kopf genknallt – man hat dann eine Rolle, ob man sie will oder nicht.
    Bleibt das Fazit: Den neutralen Journalismus gibt es doch sowieso nicht.
    Was hyperlokale Blogs aber dem Lokaljournalismus bringen: die öffentliche Diskussion über die Berichterstattung. Früher ließ sich in der Zeitung jeder Mist schreiben und stand dann fest – heute gibt es zumindest eine Möglichkeit, dass darüber öffentlich diskutiert wird. Das ist doch schon mal was.

    Was ich für den falschen Ansatz halte: Als Blogger auf Werbung über Reichweite zu setzen. Das ist dauerhaft nicht realistisch. Statt sich am Geschäftsmodell der Lokalzeitung zu orientieren, halte ich das Geschäftsmodell der Stadtmagazine (und übertragen auch von kleinen Radiostationen oder TV-Sendern) für viel spannender. Was die monatlich beweisen ist, dass man im lokalen auch ohne Reichweite Werbung verkaufen kann.

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