Nachruf auf die Blogosphäre

Glaubt man der FAZ und ihren Quellen, hat die Rumbloggerei bald wenn schon nicht ein Ende, dann aber doch wenigstens ihren Horizont demnächst überschritten. Und dann fliegen sie wild durch den Raum, die Millionenzahlen: x-Millionen inaktiv, x-Millionen uninteressant, x-Millionen weniger Zuwachs als in den Jahren zuvor. Karteileichen also, Langeweiler und sinkende Zuwachsraten, das also muss das Ende sein, schlussfolgern Researcher und FAZ gemeinsam.

Alles andere ist leider ein bisschen unsinnig resp. liest es sich so, als sei der Wunsch der Vater des Gedankens. Mit der nackten Zahl der existierenden Blogs haben schon immer nur die argumentiert, die sich dem Phänomen Weblogs nur von der Zahlenseite her nähern können, weil sie den Rest nicht verstanden haben. Dass der größte Teil der Blogs inaktiv und ein bisschen irrelevant ist, hätte die FAZ in den vergangenen Jahren an so vielen Stellen nachlesen können, dass sich die Links nicht lohnen. Niemand, der sich halbwegs ernsthaft mit Blogs beschäftigt, wird allen Ernstes behaupten, die Qualität dieses Phänomens definiere sich über deren Quantität. Dass man ein Blog schnell auf- und ggf. genauso schnell wieder zumacht, das ist systemimmanent. Man kann es ja mal ausprobieren: kostet nix, bedeutet nix, macht nix kaputt, ein Blog mehr auf der Welt und dann halt wieder eines weniger. Auch wenn ich mich wiederhole: Ich dachte immer, dies sein ein Teil des Grundverständnisses neuer Medien. Jeder kann, niemand muss.

In meinen Augen sind Blogs erst einmal etwas ganz Nüchternes: ein Produktionsmittel, ein Publishing-Tool. Steht für jedermann zu erreichen rum, jeder darf es ausprobieren. Möglicherweise schreibt der eine darin sein gutes altes Tagebuch, der andere macht dafür ein richtiges Medium mit allen Bestandteilen  des konventionellen Journalismus daraus. Ich vermute, die allermeisten der 43-Tage-2-Einträge-Blogger stellen schnell fest, dass erstens Schreiben nicht so einfach ist, wie man sich das vorstellt und dass zweitens das regelmäßige Bloggen irgendwie sowas wie Selbstdiziplin erfordert.

Aber das ist auch nicht der Punkt. Für mich zieht die Blogosphäre ihre Relevanz aus den Leuten die dabeibleiben – nicht aus denen, die dann mal wieder weg sind. Insofern kann es meinetwegen 500 Millionen Blogleichen geben, irgend etwas über die Relevanz von Blogs sagt das nicht aus. Möglicherweise wird sie professioneller, die Blogosphäre, vermarktungsaffiner, kleiner, zentralisierter. Aber so lange es Leute gibt, die etwas zu sagen haben, wird auch gebloggt. Und die, die nix zu sagen haben, sagen auch im echten Leben auf Dauer gesehen – nix.

(via jepblog

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Horst

    na, so ganz unrecht haben die nicht…ich lese am tag 10 -15 blogs, wenn ich aber immer wieder feststellen muss das 5 blogs das gleiche schreiben und 5 blogs sich nur gegenseitig verlinken, finde ich dies als gestohlene zeit, meiner zeit.
    es reicht dann das ich nur noch 5 blogs lese.
    gruß horst

  2. cjakubetz

    Schon wahr, aber die 5 Blogs liest du ja auch dann, wenn statt 80 Millionen nur noch 70 Millionen weltweit online sind. Oder wenn statt 10.000 nur noch 5000 neue am Tag hinzukommen.

  3. Sven Wallmann

    Es gab ein Leben vor dem Internet und es gibt ein Leben neben dem Internet, auch wenn es um das sich äußern geht.
    Es gibt zigtausende von Deutschen, die sich als Pop-Interpreten sehen. Es gab und gibt Verlage, die suchen Leute, die gern schreiben. Und genügend geben Geld, damit sie gedruckt werden.
    Nun gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit, billig etwas ins Internet zu stellen, das theoretisch jeder an das Netz angeschlossene auf der ganzen Welt lesen könnte.
    Früher kaufte man sich als junger Mensch ein dünnes oder dickes Heft und nannte es Tagebuch. Wurde man im Laufe des weiteren Lebens aus irgendeinem Grunde berühmt, konnte man seine Kladden kurz vor oder nach dem Tode als echtes Buch drucken lassen.
    War ein Mensch sehr berühmt oder berüchtigt, hatte aber vergessen, während seines echten Lebens Tagebücher zu verfassen, schrieb man sie nachträglich, wie Herr Hitler.
    Es gibt wenige Fälle, wo man durch seine Tagebücher berühmt wurde. Der bekannteste Fall hat auch mit Herrn Hitler und uns Deutschen zu tun: das Tagebuch der Anne Frank.
    Kein Wunder also, das die meisten Netz-Tagebücher keinen interessieren, weil deren Verfasser nichts zu berichten haben.

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