Kein schöner Tag für Zeitungen

Tageszeitungen müssen sich inhaltlich ändern, neu ausrichten – heißt es. Sie müssten sich mehr auf Hintergründe konzentrieren, mehr analysieren, kommentieren, während das aktuelle Tagesgeschäft online abgefeiert würde. Das klingt ziemlich einleuchtend und naheliegend, weil damit jeweils die Stärken der einzelnen Medien ausgenutzt werden.

Was aber – wenn das gar nicht mehr so hingeht? Was, wenn Onlinemedien plötzlich zeigen, dass sie zu dieser hintergründigen Analyse, zur schnellen und kompetenten Kommentierung durchaus fähig sind?

Wenn das so sein sollte, dann war gestern kein wirklich schöner Tag für Zeitungen. Weil Onlinemedien zu einem beträchtlichen Teil gezeigt haben, zu was sie in der Lage sind, wenn sie sich wirklich mal auf originären Journalismus und nicht auf Copy&Paste konzentrieren. Der Besuch von Barack Obama jedenfalls war schon gestern abend schneller abgehandelt und analysiert, als es gedruckte Medien jemals schaffen könnten. Spiegel Online beispielsweise (das sind die Jungs, auf die viel und gut und gerne geschimpft wird) hatte schon am späten Abend die ganze Klaviatur geboten, die man sich von einem journalistischen Medium wünscht: Nachricht, Reportage, Bilder, Videos, Analyse – und eben auch einen Kommentar.

Dass es übrigens Gerhard Spörl war, der den SPON-Kommentar schrieb, zeigt sehr schön den Paradigmenwechsel, der gerade vor sich geht. Dass der Chef eines ziemlich wichtigen Ressorts für die Onliner am Abend einen Kommentar schreibt, wäre vor ein paar Jahren noch ziemlich undenkbar gewesen, nicht nur beim Spiegel.

Analyse und Kommentierung und Hintergründe als die originäre Stärke der Tageszeitung? Wenn wir dann mal nicht einem frommen Wunsch aufsitzen. Denn auch die FAZ betreibt das Meinungsspiel in ihrer Onlineausgabe munter weiter. Nachrichtendurchlauferhitzer? Nicht die Spur. Bei der FAZ sieht der Morgen-Aufmacher heute so aus:

 

Und bei anderen ist ebenfalls nichts von klassischen News zu sehen:

 

Umgekehrt könnte das aber auch anderes bedeuten: dass Onlinejournalismus nämlich mehr sein kann, als dröges Tickerlesen. Dass Onlinemedien eben nicht nur zum schnellen Synchronisieren mit der Welt gelesen werden. Und, mit Verlaub: dass es keinerlei Imageverlust für Journalisten bedeutet, wenn man nicht den Letartikel in der gedruckten Ausgabe, sondern den Kommentar für das Onlineangebot schreibt.

Insofern war gestern vielleicht doch kein so schlechter Tag.

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