Münchner Realitätsverweigerertage

In München waren in dieser Woche wieder die Medientage — eine Veranstaltung, die in erster Linie zum Visitenkartentausch und zum geschäftsmäßigen Verbreiten von Platitüden dient. Aber auch wenn man das weiß, staunt man dann doch immer wieder, wenn man hört, welche erstaunlichen Unsinnigkeiten vor allem die Printbranche im Vorfeld (und auch wärend der Veranstaltung) so loslässt.

Von Andreas Scherer beispielsweise, Geschäftsführer der „Augsburger Allgemeinen“ und Vorsitzender des bayerischen Zeitungsverlegerverbands, hat man jetzt eine interessante Begründung für die Einführung von „Paid Content“ gelesen. Schließlich böten, so Scherer, insbesondere die Regionalzeitungen  „gute und umfangreiche Qualitätsauftritte“ — und: „Deshalb müssen wir versuchen, das Ganze jetzt zu refinanzieren“. In der Konsequenz soll das bedeuten, dass nicht etwa Bezahlen einzelner Artikel das System werden soll. Stattdessen denkt Scherer an eine Flatrate, ein Premium-Abo sozusagen, das etwas mehr kostet als das normale Abo, dafür aber Zugang zum sicher atemberaubend guten Qualitätsjournalismus-Portal der Ausgburger Allgemeinen bietet.

Der Qualitätsauftritt führt übrigens direkt in sentimentale Erinnerungen an 2001 und sieht derzeit so aus:

allgemeine

Von aktuell 17 auf der Startseite sichtbaren Meldungen sind momentan neun reines Agenturmaterial, der Rest stammt aus der Region (nicht auszuschließen, dass das auch schon mal im Blatt erschienen ist). Ausweislich des Impressums wird das Online-Angebot von sechs Menschen gemacht, geht man von zwei Schichten am Tag aus und realistischerweise davon, dass einer oder zwei ja immer irgendwie in Urlaub oder krank oder sonstwie nicht verfügbar sind, dann ergibt sich mathematisch und theoretisch eine Zahl von stolzen zwei Mann, die das Qualitätsangebot irgendwie über den Tag retten. Das ist in etwa die Größe einer durchschnittlichen Lokalredaktion in einer niederbayerischen Kleinstadt.

Das Erstaunliche daran ist ja dann doch die Realitätsverweigerung, die in den Verlagen immer noch betrieben wird. Man kann über den Begriff „Qualität“ ganz bestimmt trefflich streiten, aber Onlineportale, die sich aus ein paar Agenturmeldungen und einigen Zeitungstexten zusammensetzen; die sich optisch schwer an den 90er Jahren orientieren und deren Höchstmaß an Interaktion es ist, dass man eine Mail an die Redaktion schreiben oder einen Kommentar hinterlassen kann – das ist dann die inhaltliche Qualität, die man gerne mit einer Flatrate bereit zu bezahlen ist? Welch ein bizarrer Gedanke. (Übrigens hat mir eine Kollegin aus Österreich unlängst mal den schönen Satz gesagt, dass Mails irgendwie so 90er-like seien. Erschüttert habe ich dann festgestellt, wie viel Kommunikation bei mir inzwischen tatsächlich außerhalb von Mailaccounts stattfindet).

Tatsächlich ist die Auffassung Scherers vor allem für eines bezeichnend: dass die Zeitungen immer noch nicht begriffen haben, was im Netz überhaupt passiert. Sie glauben häufig immer noch, es reiche aus, neben der Zeitung (die selbstverständlich immer noch als das eigentliche Hauptprodukt, als das „Muttermedium“ begriffen wird) eine Internet-Seite, einen (ha, alleine schon dieses wunderbare Wort) einen „Online-Auftritt“ in die Landschaft zu stellen. Eine erschütternd hohe Zahl dieser „Auftritte“ vegetiert lieblos gepflegt vor sich hin und wenn man ab und an die Starseite von Burdas Aggregator nachrichten.de anschaut bemerkt man erst, woran es in vielen deutschen Onlineredaktionen hakt: Sie verpacken dpa neu. Das ist ganz prima für dpa, für den Nutzer dagegen weitgehend ohne jeden Belang. Und spätestens da stellen sich für ihn auch zwei ebenso einfache wie essentielle Fragen. Erstens: Für dpa-Feed bezahlen? Und zweitens: Warum dann nicht gleich zu einem der großen Anbieter, dem man möglicherweise zum einen mehr Kompetenz zubilligt und zum anderen (bei allem, was man über SPON et al so sagen kann) dann noch um einiges mehr bietet als beispielsweise die 6-Mann-Truppe aus Augsburg?

Und möglicherweise kommt man damit auch zu einem ganz entscheidenden Faktor, warum die meisten Blätter mit ihren Angeboten nicht so richtig auf die Beine kommen. Vielleicht ist es ja ganz einfach so, dass die Masse der potentiellen Leser so etwas ähnliches wie guten, spannenden, originellen Inhalt von ihren Regionalzeitungen gar nicht mehr erwartet. Vielleicht hat man sich abgefunden damit, dass dort nicht selten Journalismusattrappen hergestellt werden, die man mit nicht sehr viel anderen Methoden ins Netz verlängert. Mit dem geringstmöglichen personellen, inhaltlichen und technischem Aufwand, weil man sich inzwischen in einer kaum zu bremsenden Spirale befindet. Natürlich gibt es inzwischen Umsatzrückgänge, Sparzwänge, gibt es einen Kommunikationsabriss mit einem jüngeren Publikum, kurz gesagt: Natürlich gibt es all das, was kluge und ein wenig vorausdenkende Menschen schon vor zehn Jahren prophezeit haben (und dafür belächelt wurden). Nur kann man das jetzt nicht mehr so einfach machen. Zu rein analogen Zeiten haben die Leser das mehr oder weniger klaglos hingenommen. Nicht aus Überzeugung, nicht mit Begeisterung, sondern wegen purer Alternativlosigkeit. Jetzt aber gibt es diese Alternativen, kein Mensch braucht mehr die Regionalzeitung althergebrachter Form.

Bei der Medientagen in München hingegen hört man momentan viel Lamento und nebenbei etliche Belege, dass die Branche den Entwicklungen schon wieder hinterherhinkt. Oder wie sonst soll man es verstehen, dass dort Panels darüber laufen, ob das Internet nun der Freund oder der Feind von Zeitschriften sei? Wie will man das anders bewerten, wenn man es tatsächlich schon für die Krönung des Fortschritts hält, ein Podium zum Thema „Twitter“ zu veranstalten (garniert mit der selten schwachsinnigen Fragestellung, ob die „Zwitscherei“ nun die Zukunft des Journalismus darstelle; als ob das irgendein halbwegs ernstzunehmender Mensch jemals behauptet hätte.) Aus den Medientagen 2009 lässt sich allenfalls eines ablesen: Sie haben es immer noch nicht begriffen.

Hätte man es verstanden, dann wäre schnell klar, warum diese unselige Paid-Content-Debatte aus Sicht der Tageszeitungen schnell beendet sein müsste. Nicht nur, weil es keinen werthaltigen und letztendlich verkaufbaren Inhalt bei ihnen gibt. Sondern auch, weil ein solcher Gedanke, sich Inhalte quasi im Abo bezahlen zu lassen, dem Nutzungsverhalten einfach nicht mehr gerecht wird. Konventionelle Webseite, mobile Plattformen, personalisierte Seiten, Twitter, Facebook, Audios, Videos – es gibt inzwischen derart viele Kanäle, dass eine Abo-Flatrate irgendwie wie ein ulkiger Anachronismus daherkommt. Wenn man sich also über neue Geschäftsmodelle Gedanken macht, wäre sinnvoll, die Tatsache in die Überlegungen mit einzubeziehen, dass es eben inzwischen enorm viele unterschiedliche Nutzungsvarianten gibt. Für jede einzelne von ihnen mag ein bestimmtes Geschäftsmodell ein gangbarer Weg sein. Das Modell hingegen, pauschal für die Nutzung einer Webseite zu zahlen, ist so erledigt wie die gute alte Tageszeitung selbst.

Dass es jetzt übrigens vielerorts zu ziemlich fantasielosen Spar- und Personalabbauaktionen kommt, ist letztendlich auch eine Folge dessen, dass man die (durchaus absehbaren) Entwicklungen auf dem Medienmarkt über Jahre hinweg schlichtweg negiert hat. Inzwischen ist es vielerorts zu spät, es bleibt kaum mehr ein anderer Weg, als irgendwie Kosten zu senken um jeden Preis. Das allerdings wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Der Leser wird es schnell merken, wenn er für mehr Geld ein schlechteres Produkt vorgesetzt bekommt. Und in dem ganzen Schlamassel ist dann Paid Content für magerere Online-Angebote die Lösung? Manchmal fragt man sich ja schon, wie einige von denen die letzten Jahrzehnte am Markt eigentlich unfallfrei überstanden haben…

(Mehr zum Thema und dem Interview Scherer gibt´s an der Blogbar.)

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Marian Semm

    Oh, der Server hat noch Sommerzeit…

  2. Hugo E. Martin

    Ich denke, dass ist der fatale Irrtum dem viele (frühere) KollegenInnen anhängen, man könnte am Markt den Preis erzielen, den die Herstellung und Bereitstellung seines Produktes / seiner Dienstleistung „halt“ kostet.

    Die wahre Herausforderung aber ist doch, seine ‚Ware‘ zu dem Preis herzustellen, welcher der Wertschätzung der Kunden entspricht und diese bereit sind dafür zu zahlen … (und gleichzeitig für den Eigner lohnenswert ist).

  3. Sascha Borowski

    Lieber Kollege Jakubetz,

    schade, dass Ihre Recherchen zu augsburger-allgemeine.de sich offensichtlich auf einen Blick auf unser Impressum und unsere Startseite beschränkt haben. Ich meine, wer die Qualität und Innovationskraft eines Online-Angebots beurteilen möchte, sollte etwas genauer hinsehen.

    Tatsächlich wird der Online-Auftritt der Augsburger Allgemeinen nicht nur von sechs Menschen gemacht. Hinter unserem Portal stecken 160 crossmedial arbeitende Kolleginnen und Kollegen, die aus 16 Lokalredaktionen und einer Mantelredaktion heraus aktuell berichten – in Texten, Bildern und Videos, für Print ebenso wie für Online und Mobile. Gerade die lokalen und regionalen Inhalte generieren wir nicht aus Agenturen; dahinter steckt journalistische Handarbeit vor Ort.

    Crossmediales Arbeiten heißt bei der Augsburger Allgemeinen, dass wir online Inhalte anbieten, die bereits in Print erschienen sind – umgekehrt aber viele Inhalte auch zuerst online vermelden und erst
    anschließend für die Zeitung des kommenden Tages weiter aufbereiten.

    Mit „Onlineportale, die sich aus ein paar Agenturmeldungen und einigen Zeitungstexten zusammensetzen“ kann Augsburger Allgemeine online also nicht gemeint sein.

    Auch den Vorwurf der fehlenden Interaktion halte ich für verfehlt. In unserer Foren-Community sind mittlerweile über 14.000 Mitglieder registriert – auch, weil die Nutzer wissen, dass wir sie und ihre rund 1000 Beiträge täglich sehr ernst nehmen. Unter dem Dach von augsburger-allgemeine.de bloggen mittlerweile 180 Leserinnen und Leser über das Geschehen in unserer Region – Inhalte, die wir ebenso wie die Forenbeiträge gerne und regelmäßig in unserer journalistischen Arbeit aufgreifen.

    In unserem Mitmach-Portal „Servus“ stellen sich Vereine in Texten und Bildern vor und Hobby-Fotografen präsentieren ihre besten Bilder. Über twitter.com/AZ_Augsburg informieren wir unsere derzeit 670 Follower minutenaktuell über das Geschehen in der Region und in der Redaktion – und reagieren dort auch auf Anregungen und Hinweise.

    Gleiches gilt übrigens für unsere Facebook-Seite http://www.facebook.com/AugsburgerAllgemeine, auf der die Redaktion nicht nur informiert, sondern bei Bedarf auch aktiv mit seinen derzeit 300 Fans diskutiert.

    Zusammengefasst meine ich, dass Sie zu kurz springen, wenn Sie unsere (Online-)Aktivitäten auf ein – Ihrer Meinung nach – nicht mehr zeitgemäßes Layout und Personenzahlen reduzieren. Wir arbeiten und denken längst crossmedial und nutzen Online als spannenden und zukunftsträchtigen Kanal, um noch enger mit unseren Lesern/Usern/Kunden zu interagieren.

    Dass man hier sicher noch Vieles optimieren kann, ist klar. Aber dabei helfen konstruktive Vorschläge mehr als plattes Drauflos-Schlagen im Rahmen einer notwendigen Debatte über Finanzierungswege der Zukunft.

    Viele Grüße aus Augsburg,

    Sascha Borowski
    Leiter Onlineredaktion
    Augsburger Allgemeine

  4. Katharina Borchert

    @Sascha Borowski Also das wüsste ich jetzt doch gerne noch mal etwas genauer. Es fällt mir nämlich nicht ganz leicht zu glauben, dass bei Ihnen wirklich schon 160 Kollegen (=alle?) richtig crossmedial arbeiten. Sie wären damit die einzige TZ in Deutschland, die dieses Kunststück hinbekommen hat. (Und nein, einen Printtext 1:1 ins Netz zu stellen ist aus meiner Sicht noch nicht crossmedial.)

  5. Sascha Borowski

    Liebe Frau Borchert,

    weder bei der WAZ noch bei der AZ arbeiten hundert Prozent der Mitarbeiter „richtig“ crossmedial. Aber das ist auch nicht weiter schlimm. Es genügt, wenn die (Denk-)Richtung in den Redaktionen schon mal stimmt – und dann auch im Tagesgeschäft umgesetzt wird. Bei uns klappt das schon sehr gut. Und ich bin mir sicher: Es wird in Zukunft noch besser klappen.

    Und nein: Einstellen eines Printtextes ins Online-Angebot hat auch für mich nichts mit crossmedialem Arbeiten zu tun. Crossmedia bedeutet für uns, alle uns zur Verfügung stehenden Kanäle zu nutzen, um sie – je nach ihrer Beschaffenheit – für unsere journalistische Arbeit und/oder die Kommunikation mit unseren Lesern und Nutzern einzusetzen.

    Aber da dürfte ich Ihnen ja eigentlich nichts Neues erzählen 😉

  6. C. Kaelber

    Sorry, aber geht es beim Bezahlen nicht darum, dass man für den Transfer eines bestimmten Geldbetrags eine Art „Gegenleistung“ erwarten darf? Soll für das, was viele Regionalzeitungen im Netz (und nicht nur dort) als Lokaljournalismus verstehen und anbieten, allen Ernstes noch Geld transferiert werden? Hey, auf welchem abgedrehten Planeten leben diese Leute eigentlich?

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