Ein Buch – das Update (31): Die ersten Leseproben

Wenn Sie Lust auf langes Lesen haben, sind Sie hier ausnahmsweise mal richtig. Ich habe nämlich heute abend die ersten Leseproben für das angekündigte Widget fertig gestellt und an Euryclia geschickt. Und damit Sie als Blogleser nicht so lange warten müssen, bitte sehr, hier sind Sie. Ansonsten: BR-Interview absolviert, morgen kommt der BJV-Report dran. Wir freuen uns, hüstel, dennoch weiterhin über Vorbestellungen. Und bitte beachten Sie beiden Leseproben: Die Texte sind noch nicht lektoriert, können sich also ggf. im Buch in der endgültigen Fassung anders lesen. Über Anregungen und Kritik freuen wir uns deshalb jetzt noch so richtig – später ist es zu spät, sozusagen.

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Aus: Crossmediales Arbeiten, Christian Jakubetz:

Wenn man über den Journalismus der Gegenwart und vor allem den der Zukunft spricht, dann fällt der Begriff „Crossmedia“ nahezu zwangsläufig. Irgendwie soll alles crossmedial sein und natürlich müssen Journalisten jetzt in Zukunft crossmedial arbeiten. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es kaum einen Begriff gibt, der so inflationär und mit so viel begrifflicher Unschärfe verwendet wird wie Crossmedia. Gemeint ist sehr häufig etwas anderes, wahlweise wird entweder der Begriff Multimedia mit Crossmedia verwechselt oder man spricht gleich vom gesamten Internet als „Crossmedia“. Beides ist nicht nur irritierend, sondern schlichtweg falsch.

Zunächst also wäre es demnach sinnvoll, exakt zu definieren, von was überhaupt die Rede ist. Was ist Crossmedia, was ist Multimedia, was ist Online?

Definieren wir zunächst den Begriff „Crossmedia“. Von „Crossmedia“ sprechen wir dann, wenn es sich um Publikationen über mehrere Medienformen hinweg handelt, mindestens also zwei. Damit sind nicht die Darstellungsformen gemeint. Crossmediales Arbeiten kann also – theoretisch – auch bedeuten, dass man zwei Texte für verschiedene Plattformen schreibt, also beispielweise für eine Zeitung und für das Internet. Tatsächlich ist das aber ein theoretisches Konstrukt, das man in der Praxis kaum antreffen wird. Die Frage danach, wie man am sinnvollsten crossmedial arbeitet und welche Darstellungsformen sich wo am besten eignen, ist also ein wesentlicher Bestandteil crossmedialen Arbeitens. Dazu wird an späterer Stelle dieses Kapitels noch mehr gesagt.

Von Multimedia sprechen wir, wenn es um verschiedene Darstellungsformen geht, ebenfalls also mindestens zwei. Multimediale Darstellung eines Themas kann also beispielsweise bedeuten, dass ein Thema mit einem Text und einem Video aufgearbeitet wird. Dazu ist allerdings das Arbeiten über die verschiedenen Plattformen nicht notwendig. Multimedia passiert meistens auf einer Plattform und in den allermeisten Fällen wird es sich dabei um eine Online-Anwendung handeln. Dabei spielt es letztendlich keine Rolle, ob es sich dabei um eine klassische Webseite oder eine App oder um Darstellungen im mobilen Internet handelt.

Natürlich gibt es Schnittstellen zwischen den beiden Begriffen. Vor allem was die handwerklichen Anforderungen an Journalisten angeht, bringen Multimedia und Crossmedia gravierende Veränderungen mit sich. Wobei: Veränderung ist dafür nicht ganz der richtige Begriff. Korrekterweise müsste man von zusätzlichen Anforderungen sprechen – denn auch wenn noch niemand so ganz genau weiß, wie die mediale Zukunft aussehen wird, fest steht, dass Journalisten heute und in Zukunft deutlich mehr können müssen als noch vor wenigen Jahren. Ganz zu schweigen von den Zeiten, als in Zeitungsredaktionen noch mit der Schreibmaschine geklappert und am Leuchttisch Zeitungsseiten mühevoll zusammengeklebt wurden. Oder in denen in Rundfunk- und Fernsehredaktionen Beiträge noch buchstäblich geschnitten wurden.

Die entscheidende Frage für Journalisten der Gegenwart und der Zukunft lautet also: Was muss ich können? Es gibt Menschen, die auf diese Frage halb Spaß, halb Ernst die Antwort „alles“ geben. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, weil Multimedialität ja letztendlich „alles“ bedeutet. Auf der anderen Seite ist das allerdings nicht realistisch. Es gibt keinen Journalisten, der alles kann. Oder sagen wir: zumindest nicht alles gleich gut. Von der Illusion, man könne sich alles gleichermaßen gut beibringen (lassen), muss man sich also schnellstmöglich verabschieden. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass es keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage geben kann. Jeder wird für sich selbst herausfinden müssen, was ihn interessiert und was er eigentlich machen könnte. Und natürlich wird die Antwort für jeden Teilbereich unseres Journalistenberufs anders ausfallen. Für einen Fachredakteur auf dem Gebiet des Medizinjournalismus sind Kenntnisse der Flip-Kameras möglicherweise irrelevant. Ein Zeitungsredakteur muss nicht unbedingt eine App auf dem iPhone haben, mit der er O-Töne oder Minibeiträge sofort überspielen kann. Und ob ein Dokumentarfilmer beim Fernsehen unbedingt auch firm in der Produktion multimedialer Reportagen sein muss, das sei auch dahin gestellt.

Festhalten lässt sich aber auf jeden Fall eines: je generalistischer ein Journalist arbeitet, desto nützlicher ist es für ihn, mit möglichst vielen Geräten und Gattungen vertraut zu sein. Je breiter er aufgestellt ist, desto besser kann er seinen Job machen. Und desto eher wird er auch in der Lage sein zu beurteilen, wann welche Darstellungsform angemessen und überhaupt machbar ist.

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Leseprobe aus: Multimediale Reportagen, Simon Kremer

Wenn Reporter bislang von ihren Recherchen zurückkamen brachten sie meist einen vollgeschriebenen Notizblock mit und strickten anschließend aus dem Erlebten und Erfahrenen eine Geschichte zusammen, die den Leser – durch die Augen und die Worte des Reporters – mitnahm an die besuchten Orte und hinein in das Geschehen. Er liest dann, wie es vor Ort auszusehen hat, wie es dort rieche, wie sich einer der Protagonisten fahrig durch das Gesicht wischt und an einer Tasse Kaffee nippt. Der multimediale Reporter dagegen fängt diese Szenen vor Ort wirklich ein und bringt sie mit: In Fotos, Videos, Tonaufnahmen und Notizen. Er braucht keine langen und wortreichen Beschreibungen von Handlungen, weil er sie mit der Kamera gefilmt hat. Er sucht nicht nach Worten, um die Stimme einer Drogenabhängigen zu beschreiben, wenn sie von ihrem letzten Schuss erzählt, er hat die Stimme auf Band. Aus all dem mitgebrachten und recherchierten Material komponiert er seine Reportage, kommentiert wenn nötig mit eigenen Beobachtungen das Erlebte und ordnet es ein. Er wählt die jeweiligen Stilmittel aus, um damit genau die Geschichte zu erzählen, die er erlebt hat, um so den Leser noch anschaulicher als mit Worten an der Geschichte teilhaben zu lassen.

Dabei können wir drei Genres von Multimediareportagen unterscheiden: Audioslideshow, Video (s. Kapitel XXX) und interaktive Reportage, die den Leser selbst auswählen und entscheiden lässt, welche Aspekte einer Geschichte er sich anschauen möchte.

Grundlegend unterscheidet eine Multimediareportage wenig von einer klassischen Reportage im Print. Sie ersetzt nicht die Nachricht, sondern ergänzt sie und beleuchtet einen Aspekt eines bestimmten Themas. Sie braucht starke handelnde Protagonisten und geeignete Schauplätze und sollte dramaturgisch gestaltet sein. Die Beispiele im Verlauf dieses Kapitels verdeutlichen später, wie online eine Dramaturgie aufgebaut werden kann, nämlich z.B. durch einen Konflikt, durch Wendepunkte in der Geschichte, durch konträre Gegenspieler und die Fallhöhe des / der Protagonisten.

Mehr als in der Zeitung wird der Journalist für seine multimedialen Reportagen wohl im Team losgehen müssen, um mit hervorragenden Fotos und technisch sauberen Videos zurückzukommen. Dass es dafür jedoch nicht unbedingt ein teures Equipment braucht soll dieses Kapitel aber auch zeigen. Häufig reichen eine digitale Spiegelreflex, ein Audiorecorder und eine handliche Videokamera schon aus, um mit verwertbarem Material in die Redaktion zurückzukommen. Der Reporter sollte allerdings wissen, wann er welches Equipment wie und wofür einsetzt. Am Anfang sollte daher das Thema der Reportage klar umrissen sein. Für eine actionreiche Reportage im Sport bietet sich z.B. ein Video besser als eine Audioslideshow, die wiederum sehr gut für Portraits nah an den handelnden Personen geeignet ist. Eine interaktive Reportage bietet sich v.a. für klassische „Report-Themen“ an, wenn sich eine Geschichte in verschiedene Aspekte oder Kapitel aufteilen lässt. Diese Entscheidungen sollten nach der Vorrecherche getroffen werden, bevor der Reporter das Haus verlässt. Denn so weiß er, welches Material er letztendlich benötigt, welche Szenen er fotografiert haben muss, etc. und droht so nicht, in der Produktion in der Materialflut zu ertrinken – oder auf dem Trockenen zu sitzen. Und bei allem gilt: Es kommt zuallererst auf die Geschichte an, nicht auf die technische Umsetzung.

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Leseprobe aus: Fernsehen/Videos, Dr. Gerhard Rettenegger:

Die Überlegungen in diesem Kapitel richten sich an Journalistinnen und Journalisten, die bislang noch wenig Videos gemacht haben. Die sich jetzt aber mit dem Thema befassen müssen oder wollen. Die das journalistische Handwerk – wie Recherche und Themenaufbereitung – bereits beherrschen, sich bei den videospezifischen Kompetenzen aber noch nicht sattelfest sind.

Sie sollen in diesem Kapitel eine auf Webvideo fokussierte „Betriebsanleitung“ bekommen. Glaubt man der Bewegtbildstudie der Uni Leipzig aus dem Jahr 2008, dann herrscht großer Bedarf an solcher Unterstützung. Die Untersuchung, an der Deutschland weit 2400 Journalisten und PR-Leute teilnahmen, weist einen „klaren Mangel an Know-how, insbesondere bei Produktion und Nachbearbeitung“ [Leipzig, 2008] aus. Die Befragten bewerteten ihre Kompetenzen zum Beispiel in den Bereichen Beitragsdramaturgie oder Produktion als unterdurchschnittlich. Dieser Text versucht diesen Mangel zu beheben.

Die Basis der Ausführungen sind die Jahrzehnte langen Erfahrungen der Fernsehjournalisten, aus denen sich die „Grammatik des Fernsehens“ entwickelt hat. Ich habe daraus ein Substrat gezogen, von dem ich glaube, dass es für die Zukunft des Berichterstattens in bewegten Bildern, also in Form von Webvideos, wichtig ist.

Webvideos sind keine logische Fortsetzung von klassischen Fernsehbeiträgen im Internet. Soziale Netzwerke gehorchen anderen Gesetzmäßigkeiten als Rundfunkanstalten. Vor allem: die Produktion von Webvideos ist nicht mehr auf eine verhältnismäßig kleine Schar von professionellen Fernsehjournalisten, Kameraleuten und Cutter begrenzt. Kostengünstige digitale Geräte, Soft- und Hardware sowie leistungsstarke Smartphones mit Videofunktion erweitern den Kreis der Videoproduzenten exponentiell. Noch sind Videos im Web wie gesagt oft Fernsehbeiträge, die in einem zusätzlichen Vertriebskanal verfügbar gemacht werden. Zu Beginn des Fernsehens hat die Diktion der Kino-Wochenschauen die Nachrichten des jungen, neuen Mediums beherrschte. Erst nach und nach bildete sich eine eigene Gattung Fernsehjournalismus heraus. So wird es auch beim Webvideo sein: Es wird sich vom Fernsehen emanzipieren. Die Entwicklung ist im Gang, auch wenn sie manchem noch zu langsam geht.

Was immer sich auch im Bereich der Webvideos entwickeln wird, eines wird auch dort Geltung haben: Produktionen mit journalistischem Inhalt werden den anerkannten Kriterien des Journalismus folgen. So werden die Grundlagen der Recherche, wie das Absichern der Fakten durch mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen, auch weiterhin Gültigkeit haben. Auch wenn zusätzliche Formen der Recherche, wie etwa Crowdsourcing, das Inventar an Recherche-Instrumenten erweitern werden. Weiterhin gültig bleiben auch die Qualitätskriterien für die Aufbereitung der Themen, insbesondere Glaubwürdigkeit, Genauigkeit, Fairness, Transparenz, Trennung von Werbung und redaktioneller Berichterstattung, etc. Daher erachte ich es für legitim, lang erprobte Arbeitsweisen des Fernsehjournalismus auf die Produktion von Webvideos mit journalistischem Anspruch zu übertragen.

Abgesehen von den so grundsätzlichen Unterschieden, wie Information in sozialen Netzwerken und in klassischen Massenmedien verbreitet werden, und der Neudefinition der Produzenten- Konsumenten-Rollenbilder besteht noch ein gravierender Unterschied zwischen Fernsehbeiträgen und Webvideos: Im Fernsehen MÜSSEN alle Inhalte in bewegten Bildern transportiert werden. Bewegte Bilder sind (neben der Linearität, also dem Faktum, dass ich mir nicht selber aussuchen kann, was ich zu einem bestimmten Zeitpunkt anschaue) das bestimmende Merkmal für das Medium Fernsehen. Für das Leitmedium der vergangenen Jahrzehnte.

Im Nachrichtenalltag des Fernsehens ist es sinnvoll, ja geradezu notwendig, dass auch Geschichten in Videos verpackt werden, die in bewegten Bildern sehr schwer darstellbar sind. Weil es keine geeigneten Bilder dafür gibt; weil bei berichtenswerten Ereignissen keine Kamera an Ort und Stelle war. Dann greifen Gestalter und Sendungsverantwortliche zur Moderatormeldung, zum Aufsager (Reporter im Bild) oder eben zu Videomaterial, das den Text des Videobeitrags nur bebildert, aber für sich selbst genommen keine Information zu Geschichte vermittelt. Im Fachjargon heißen solche Beiträge „bebildertes Radio“.

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Und wie immer, wenn was vorwärts gegangen ist, darf ich mir ja Musik für die Party wünschen. Den hier hätte ich bitte gerne als Schlussnummer und als Rausschmeißer, Jochen Markett und ein paar andere wissen warum. Und nein, Frau Schwehr: Ich halte das nicht für orginell. Trotzdem.

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