Würde man behaupten, Deutschlands Journalisten interessieren sich nicht sonderlich für soziale Medien – es wäre glatt gelogen. In Wahrheit mögen sie sie einfach nicht.
Nein, nicht spekuliert und vermutet, sondern in Zahlen belegbar: Nimmt man den neuesten “Social Media Trendmonitor” von News Aktuell als Gradmesser, dann finden fast 40 Prozent wenig schmeichelhafte Worte. Sie nennen soziale Medien dann wahlweise “Nervkram” oder in der etwas freundlicheren Variante “notwendiges Übel”, wobei die Betonung vermutlich auf “Übel” liegt. Wenigstens sagt ein gutes Drittel, es handle sich um ein “professionelles Werkzeug”. Auf die vermutlich etwas abseitige Idee, der Umgang mit sozialen Netzen könnte auch Spaß machen, kommen gerade mal rund 25 Prozent der lieben Kollegen. Umgekehrt gerechnet: rund drei Viertel der deutschen Journalisten gehen bestenfalls mit einer professionellen (tendenziell aber doch eher ablehnenden) Einstellung ans soziale Netzwerken. Warum das so ist, darüber kann man spekulieren. Vermutlich ist das ein ganz generelles Problem mit der eigenen Vorstellung des Berufsbilds: Wenn man sich auf soziale Netzwerke tatsächlich einlassen würde, würde das in der Konsequenz auch eine Änderung der eigenen Position beinhalten. Gleichberechtigter Kommunikator statt Gatekeeper – ich glaube, das ist etwas, was viele in ihrem tiefsten Inneren schlichtweg nicht wollen, auch wenn sie das so natürlich nie zugeben würden (und dürften, weil natürlich politisch unkorrekt. Wer darf schon von sich sagen, dass er mit anderen einfach nicht reden will?) Die selbe Debatte hatte und haben wir ja schon bei Blogs. Die werden von Journalisten
Das eine zieht das andere zwangsweise nach sich: Rund zwei Drittel der Journalisten attestieren der eigenen Redaktion, bestenfalls “mittelmäßig” auf den Umgang mit den sozialen Netzen vorbereitet zu sein. Welch ein Paradox: Man weiß oder ahnt, dass diese Netze in ihrer Bedeutung auch in den kommenden Jahren wachsen werden. Gleichzeitig aber sagen ebenfalls rund zwei Drittel, dass sie diese Netze nur für wenig bis gar nicht journalistisch relevant halten. Merkt man übrigens immer dann, wenn Journalisten Sätze wie “Das ist doch kein Journalismus” sagen.
Womit wir zum eigentlich Kernproblem kommen, fernab der sinkenden Auflagen, der Debatten um Tagesschau-Apps – und sogar fernab tariflicher Auseinandersetzungen bei Tageszeitungen. Das eigentliche Problem im Journalismus sind Journalisten selbst. Solange sie nicht begreifen, dass es nicht einfach nur um ein bisschen neues Handwerkszeug und ein wenig Internet geht. Neuer Journalismus heißt nicht einfach nur: ein paar Videos drehen und ein wenig digitales Gedöns produzieren. Neuer Journalismus ist eine Frage der Geisteshaltung, die es zu verändern gilt. Die Frage bleibt allerdings. Wie soll das gehen mit der neuen Geisteshaltung, wenn man gar keine neue Haltung einnehmen will? Formulierungen wie “Nervkram” und “notwendiges Übel” zeigen sehr deutlich, dass wir es mit einem Kopfproblem zu tun haben.
Das zeigen mir – seit Jahren – auch meine eigenen Erfahrungen: Immer, wenn ich auf Seminaren und Veranstaltungen wie ein Staubsaugervertreter mit diesen Geschichten von den neuen Geisteshaltungen hausieren gehe, kann ich die Gegenargumente und Einwände auswenig aufsagen: Das sei kein Journalismus. Da stehe ja doch nur Unsinn drin. Journalismus sei eine ernsthafte Sache und kein unverbindliches Geschnatter. Es sind seit Jahren die gleichen ermüdenden Debatten – und manchmal wünscht man sich, jemand wäre so ehrlich und würde einfach mal sagen, dass er schlichtweg keine Lust auf das ganze neue Zeug hat.
Und ja, der Fisch stinkt auch von oben weg: Gerade mal 8 Prozent der Journalisten geben an, dass sich in ihrem Haus die Chefredaktion um das Thema kümmert. Wenn sich also demnach rund 90 Prozent der Chefredaktionen für das Thema de facto nicht interessieren, wie soll dann in diesem Leben nochmal was daraus werden?
Social Media – das bedeutet Viele-zu-Viele-Kommunikation, nicht gerade das, was Journalisten [früher] gelernt haben. Sie haben geschrieben und veröffentlicht, die Leser haben gelesen. Deren Reaktionen waren verglichen mit heute selten, meist selten dämlich oder unfreiwillig komisch und wurden durch eine Leserbriefredaktion säuberlich editiert in Rundablage P gehievt. Eine Handvoll erschien im Blatt, zur Belustigung oder weil da ‚So ist es!‘ stand.
Titanic hat das durch die Briefe an die Leser von Beginn an parodiert.
Was soll den so ein armer [das meine ich nicht mal sarkastisch], überarbeiteter Journalist machen, wenn plötzlich intelligente Menschen seine Texte zerpflücken? Natürlich ist das doof. Außerdem lernt er vielleicht, wie es außerhalb des inzestuösen eigenen Zirkels zugeht. Übel. Notwendig, aber Übel.
Den Satz „… das ist doch kein Journalismus…“ kann ich nicht mehr hören. Es ist eine penetrante Floskel, die nur dazu dient, die eigene Kommunikationsunwilligkeit im Elfenbeinturm des Denkens zu verschleiern. Das berühmte Archimedes-Zitat „Störe meine Kreise nicht“ ist für Journalisten allerdings bestenfalls … peinlich.
Läuft alles immer wieder auf eine Frage hinaus: Was ist Netzwerken? Solange die Meinung vorherrscht, man könne das mal eben wie eine Lampe anschalten und gut is‘, wird das nix. Dann darf man sich auch nicht wundern, wenn man nur Unfug zu lesen bekommt. Wer nicht von vornherein ein gutes halbes Jahr für den Aufbau zuverlässiger Timelines ansetzt, hat schon verloren.
@Vera … und wer (beispielsweise als Redaktion/Verlagshaus) zusätzlich nicht auf entsprechend kommunikative, dialogfreudige Kollegen und Mitarbeiter setzt, ebenfalls. Manche Timelines ähneln diesbezüglich eher stillen Gruften … 😉