Ich schau dir auf den Hintern, Kleines

Was tut man, wenn man sich mit etwas nicht so richtig auskennt? Wahlweise verurteilt man es unreflektiert. Oder man malt sich einfach sein Paralleluniversum, in dem die Dinge sind, wie sie sein sollen. Hans Leyendecker beispielsweise, der berühmteste Investigativjournalist aller Zeiten, hat sich jetzt in Tübingen ein bisschen über das Internet ausgelassen. Von allzu viel Recherche zeugten seine Auffassungen nicht, dafür aber schlug Leyendecker ordentlich drauf: „Ein Großteil der Sachen, die ich dort lese, sind böse, zynisch, verachtend und zum Teil höchst antidemokratisch“. Das plauderte er in Tübingen so aus und fügte hinzu, es gebe immer mehr Menschen, die etwas in Facebook, Twitter oder anderen sozialen Netzwerken publizierten, und das sei meist kritiklos und unqualifiziert. Das Netz ist also großteils böse, sagt Leyendecker und ist mit dieser Auffassung unter uns Journalisten vermutlich gar nicht so alleine, wie man als halbwegs netzaffiner Mensch denken könnte. (Lieber Herr Leyendecker, die kommenden Zeilen werden Sie übrigens in ihrer Auffassung bestätigen, das wird jetzt etwas böse, etwas zynisch, aber keineswegs etwas antidemokratisch.)

Und damit kommen wir zum Rest der Kollegen und dem sozialen Netz.

Während Leyendecker sich für die Draufschlag-Variante entschieden hat, neigt der größte Teil der Journalistenschaft zum Bau des Paralleluniversums.  In dem ist beinahe alles gut, man ist bestens gerüstet, man kann Erfolg oder Misserfolg leicht zählen, in dem man einfach schaut, wie viele Freunde und Follower man angesammelt hat. In dieser Parallelwelt sind Journalisten irgendwie genauso wichtig und relevant wie in der echten Welt, schon alleine deswegen, weil sie anwesend sind. Die Geschichten und Abenteuer von Journalisten gibt es demnach jetzt auf mehreren Kanälen zu lesen, was an sich ziemlich prima ist, weil man sich nicht wirklich darum kümmern muss. Einfach kopieren und dann Freunde und Follower zählen. So schwer ist das ja dann doch nicht mit diesem Social Media, wie man immer gehört hat.

Satire, sagen Sie? Wenn man sich den neuen Social Media Trendmonitor von news aktuell anschaut, dann ist das leider die (zugegeben) zugespitzte Zusammenfassung, wie deutsche Journalisten die Welt sehen. 45 Prozent der Befragten des Trendmonitors 2012 sehen sich und ihre Redaktionen sehr gut oder wenigstens für den Umgang mit sozialen Medien gerüstet, während gerade mal 18 Prozent eher der Auffassung sind, sie seien schlecht oder sehr schlecht vorbereitet. Besonders optimistisch sind übrigens, dies am Rande und ohne lange Kommentierung vermerkt, die Kollegen der Tageszeitungen. 40 Prozent sagen dort: Jawoll, wir haben das drauf mit dem sozialen Zeugs. Dabei führen die Kollegen, die sich gerade eben noch so gerüstet fanden, ihre eigene Meinung gleich wieder ins Absurde. Über die Hälfte der befragten Journalisten glaubt nämlich, dass Social Media für die eigene Arbeit wenig oder gar keine Relevanz habe. Wie aber kann man sich ernsthaft für dieses Thema gewappnet halten, wenn man ihm gleichzeitig keine Relevanz zuspricht? Das kann man, aber nur dann, wenn man unter Social Media die RSS-Befütterung von Facebook und das gelegentliche Posten bei Twitter versteht, dass man jetzt dann mal ins Wochenende gehe.

Endgültig absurd wird es dann, wenn man Journalisten danach fragt, ob Social Media Auswirkungen auf ihre Arbeit habe. 46 Prozent sind bei dieser Frage der interessanten Auffassung, dass ihre Arbeit dadurch besser geworden sei. Wie das mit der anscheinend überwiegenden Meinung zusammengeht,  dass Social Media ja gar keine oder nur wenig Relevanz hat, wird man vermutlich wissenschaftlich klären müssen, einleuchtend ist das erst jedenfalls nicht: Es hat zwar keine Relevanz, die Ergebnisse der Arbeit haben sich aber unbedingt verbessert? Man könnte diese irre Formel auch als Beleg für das ausgeprägte Wunschdenken von Journalisten bezeichnen.

Was also machen Deutschlands so wunderbar gerüstete Journalisten, deren Arbeitsergebnisse durch Social Media so viel besser geworden sind, mit diesen neuen Netzen? Reden sie mit ihrem Publikum, interagieren sie, bauen sie womöglich sogar kleine Communitys auf? Sehr wenig von alledem. Stattdessen geht es ihnen mit ihren Präsenzen dort um anderes: um Imagepflege und Traffic für die eigene Seite, um die Nutzer/Leserbindung zu erhöhen (was auch immer das sein und wie auch immer das gehen soll). Immerhin kommen dann doch mal 34 Prozent auf die Idee, dass der Dialog mit diesen Nutzern auch eine ganz gute Idee sein könnte. Gratulation, damit haben Deutschlands Journalisten bei dieser Idee immerhin schon die magische Grenze von einem Drittel überschritten. Was umgekehrt übrigens bedeutet, dass zwei Drittel der Journalisten, die im sozialen Netz vertreten sind, den Dialog für irgendwie unwichtig halten, von denen, die erst gar nicht dort anzutreffen sind, reden wir erst gar nicht. Blöd aber auch, dass es Menschen gibt, die der Meinung sind, das Netz sei so eine Art dialogisches Medium. Müssen wir mit denen da draußen jetzt auch noch reden?

Nebenher stellen wir dann laut Trendmonitor auch noch fest, dass die lieben Kollegen neuerdings auch noch unter die begeisterten Blogger gegangen sind. 43 Prozent der deutschen Redaktionen führen demnach Blogs, weitere 10 Prozent sagen von sich, Blogs seien in Planung. Man müsste sich also schnellstens auf die Suche nach diesen ganzen Redaktionsblogs machen, deren Start man anscheinend irgendwie übersehen hat. Oder man hat sie bisher vielleicht auch nur deshalb nicht so wahr genommen, weil sie nicht ganz so relevant und großartig sind, wie die euphorisierten Kollegen vielleicht denken mögen.

Wenn man dann noch einen letzten Beleg für die eigenwilligen Sichtweisen von Journalisten auf ihre Social-Media-Welt benötigt, dann gerne noch diesen: Fragt man sie nach den aus ihrer Sicht entscheidenden Kriterien für Erfolg oder Misserfolg im sozialen Netz, dann nennen sie zuvorderst lauter Dinge, die mit Quantität zu tun haben. Die Anzahl der Follower beispielsweise.  Die Anzahl der Erwähnungen. Die neuen Kontakte. Klar, und Boris Becker mit seinen knapp 87.000 Followern bei Twitter ist quasi die größte Erfolgsgeschichte bei Twitter, direkt gefolgt vom hyperaktiven und irre erfolgreichen Oliver Kahn. Das ist so intelligent, als würde man die Intelligenz einer Frau herausfinden wollen, um ihr dafür erstmal auf den Hintern zu schauen (ok, zugegeben, auch das soll´s geben).

Aber vielleicht ist diese Geschichte vom twitternden Kahn und dem ZDF bezeichnend für das, was Journalisten unter sozialen Netz verstehen. Man ist irgendwie anwesend — und hält alleine das schon für einen Erfolg.

Dieser Beitrag hat 19 Kommentare

  1. ThomasW

    Stark.
    Sehr.
    Stark!
    Es könnten meine Worte sein, wenn ich sie denn so gut formulieren könnte…
    Stark!

  2. Christian Faltin

    Amüsant, treffend und lustig, dass wir uns gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven des Themas Social Media-Know How angenommen haben. Bei den Unternehmen sieht es lt. Studie ähnlich aus.

  3. Stephan

    Der Text zitiert im wesentlichen eine Forschung von Anderen und garniert diese mit Ironie und Zynismus.

    Wo aber ist der übergreifende Zusammenhang. Am Anfang wird mit Leyendeckers These vom bösen Web aufgemacht, der Artikel endet mit dem twitternden Kahn.

    Was ist die Schlussfolgerung? Wo ist der Ausblick oder eine Idee? Was sollten Journalisten stattdessen tun? Wo ist der Zusammenhang zwischen Leyendeckers Sicht und den Paralleluniversen?

    Kurz: Was will der Autor eigentlich sagen?

    Oder geht es am Ende nur um das blinde Draufschlagen auf die bösen Journalisten?

  4. Stephan

    „Müssen wir mit denen da draußen jetzt auch noch reden?“ – offensichtlich nicht, da mein Kommentar seit 5 Stunden noch nicht freigeschalten ist.

    Sorry, aber wenn man so einen Rant verfasst, sollte man vielleicht auch am Ball bleiben und diskutieren.

  5. cjakubetz

    Ich diskutiere natürlich gerne, bitte aber um Verständnis: Ich bin Einzelkämpfer und habe die letzten Stunden in einem Zug verbracht, in dem es so gut wie kein Netz gab. Das war der einzige Grund für die verspätete Freischaltung. Und diese „Warteschleife“ legen Kommentare auch nur ein, wenn jemand das erste Mal kommentiert. Ab sofort dürfen Sie nach Lust und Laune dagegenhalten, ganz ohne manuelle Freischaltung.

  6. cjakubetz

    Was der Autor sagen will? Dass Journalisten mit dem (sozialen) Web immer noch sehr häufig etwas eigenartig umgehen und sich damit nur widerwillig beschäftigen. Und ja, da gibt es einen Zusammenhang zwischen dem das Netz verteufelnden Leyendecker und den unbeholfenen Twitterversuchen im ZDF (und natürlich auch bei einer ganzen Reihe anderer).

  7. Stephan

    „Was der Autor sagen will? Dass Journalisten mit dem (sozialen) Web immer noch sehr häufig etwas eigenartig umgehen und sich damit nur widerwillig beschäftigen.“

    Danke. So knapp kann man obigen Text auf den Punkt bringen: Dazu braucht es weder Ironie noch Zynismus. Vieles ist ansonsten Interpretation des Autors, die sich so nicht belegen lässt. Er stachelt auf, statt zu informieren und zu einer ausgewogenen Meinungsbildung beizutragen.

    Beispiel aus dem Text:
    „Nebenher stellen wir [nicht „wir“, sondern „Sie“] dann laut Trendmonitor auch noch fest, dass die lieben Kollegen neuerdings [wieso „neuerdings“? Es gibt Redaktionen, die seit langem Bloggen und welche, die es bereits wieder aufgegeben haben – aus welchen Gründen auch immer – und wo ordnen Sie da zum Beispiel Niggemeier ein? Ein bloggender Journalist? Vielleicht führen viele angestellte Redakteure ein privates, gutes Blog, das nicht mit der Redaktion zu tun hat? Ich tue es übrigens …] auch noch unter die begeisterten [suggestiv, vielleicht sind die gar nicht „begeistert“] Blogger [nicht die befragten Journalisten sind unter Blogger gegangen, sondern die Redaktion gesamt führt ein Blog. Es kann sein, dass die befragten Journalisten im gros da gar nicht beteiligt sind.] gegangen sind. 43 Prozent der deutschen Redaktionen führen demnach Blogs, weitere 10 Prozent sagen von sich, Blogs seien in Planung. Man müsste sich also schnellstens auf die Suche nach diesen ganzen Redaktionsblogs machen [Exakt das hätte die erhellende Komponente des Textes sein können: Eine Recherche! Wie viele Blogs gibt es, wer bloggt da, snd diese Blogs gut oder schlecht … ], deren Start man anscheinend irgendwie übersehen hat [Sie haben übersehen! Stellen Sie doch erstmal eine Recherche an, ehe Sie suggerieren – es kann sein, dass es stimmt, aber belegen Sie es doch bitte. Meinetwegen mit einem SEO-Sichtbarkeitsindex oder irgendwas]. Oder man hat sie bisher vielleicht auch nur deshalb nicht so wahr genommen, weil sie nicht ganz so relevant [kann sein, kann auch nicht sein, ist Ihre Meinung] und großartig sind, wie die euphorisierten [suggestiv, wer sagt, dass die Journalisten von der Idee begeistert sind?] Kollegen vielleicht denken [aber auch nur vielleicht!] mögen.“

    So kann man nun den ganzen Text auseinander nehmen. Insofern dürfte manch „lieber Kollege“ seine journalistische Arbeit – selbst wenn es sich nur um eine Meinung handelt – eben tatsächlich – auch in Blogs – mit einer solideren Recherche belegen, als der hier kurz ausgekotzte Text, der uns Journalisten einen unausgegorenen, pauschalisierenden Vorwurf macht. Vermutlich sollten die Journalisten den Blogeintrag gar nicht zu Gesicht bekommen – blöd nur, dass sehr viele „liebe Kollegen“ auf Twitter und Co. unterwegs sind.

    Ich stimme absolut nicht mit Leyendeckers Satz überein. Dieser Text leistet ihm aber leider Vorschub – was ja seltsamerweise sogar so gewollt ist. Und lustigerweise (hahaha) scheine ich der Journalist zu sein, der sich in Blogs mit anderen unterhält. So total social irgendwie.

    Ich zitiere Sie noch einmal: „Was tut man, wenn man sich mit etwas nicht so richtig auskennt? Wahlweise verurteilt man es unreflektiert. […]“

  8. Moki

    Alles in allem kann ich dem Tenor des Textes zustimmen, auch wenn ich den Autor davor warnen will, Statistisches allzu leichtfertig zu vermischen. Beispiel? Wenn 40 Prozent der Befragten behaupten, sie seien für Social Media gerüstet und mehr als die Hälfte im Gegenzug sagt, Social Media sei weniger relevant für die eigene Arbeit, muss das nicht zwingend absurd sein.

    Beispielrechnung: 40 Prozent sagen, sie sind für Social Media gerüstet. Dann sind es 60 Prozent nicht. Mehr als die Hälfte (angenommen 60 Prozent) sagen, Social Media ist für die eigene Arbeit nicht relevant. Umkehrschluss: 40 Prozent sagen dann, Social Media ist sehrwohl relevant. Im Extremfall könnte die Verteilung so sein, dass die 40 Prozent die Social Media für relevant halten, auch die 40 Prozent sind, die sich gut dafür gerüstet wähnen. Es ist unwahrscheinlich, dass es genau so ist. Aber tendenziell wird es wohl so sein. Daran sehe ich dann nur wenig Absurdes. Ich habe noch nicht allzu genau in den Trendmonitor geschaut. Aber ein flüchtiger Blick legt die Vermutung nahe, dass der Datensatz – in der Form in der er hier ausgewertet ist – die Aussagen kaum zu stützen vermag. Auch wenn, wie bereits gesagt, die Vermutung nahe liegt.

  9. Moki

    Mit „Aussagen“ im vorletzten Satz meine ich die im Blog-Text gemachten statistischen Aussagen.

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