Selbstenthauptung im Lokalen

Es gibt mal wieder eine neue Studie aus Dortmund. Eine, die sich mit der aktuellen Lage der Regionalzeitungen beschäftigt. Und das, was aus dieser Studie hervorgeht, müsste eigentlich alle Verlagsmanager tief beunruhigen. Nein, nicht wegen Auflagen und Umsätzen. Sondern wegen dem, was sich am Ende aus dieser Studie über ihre Zukunftsfähigkeit herauslesen lässt…

Es ist schon ziemlich lange her, genauer gesagt fast 30 Jahre, dass mir mein erster Chef immer und immer wieder eingetrichtert hat: Die Lokalzeitung wird wegen des Lokalteils gelesen. Schluss, aus. Das leuchtete mir durchaus ein. Und das, obwohl es damals sehr viel weniger Möglichkeiten für die Leser gab, an journalistischen Stoff außerhalb des Lokalen zu kommen. Ein paar Zeitungen, eine Handvoll Fernseh- und Radiosender und abends die „Tagesschau“, das war´s dann auch schon wieder. Trotzdem: Es konnte in der weiten Welt passieren was wollte, wirklich heftig und intensiv waren Leserreaktionen immer nur dann, wenn es irgendwas Aufregendes im Lokalteil gab (oder wenn wir mal wieder Fotos vertauschten oder irgendjemanden aus der Ehrengästeliste vergaßen zu erwähnen).

Ich erzähle solche Geschichten übrigens heute noch gerne Studenten oder Volontären. Und sie hören sie deutlich lieber als meine anderen Geschichten, glaube ich. Weil man mit solchen kleinen Episoden ganz einfach den Stellenwert des Lokalen aufzeigen kann. Sehr viel besser jedenfalls als mit irgendwelchen Zahlen, Studien oder, noch schlimmer, kommunikationswissenschaftlichen Theorien. Menschen wollen wissen, was daheim los ist, dann erst kommt alles andere. So einfach ist Journalismus manchmal.

Das heißt – so einfach könnte er sein. Man könnte eigentlich denken, dass beispielsweise Lokalzeitungen dieses ganz besondere Prunkstück, ihre eigentliche Daseinsberechtigung nämlich, nicht so einfach aus der Hand geben. Das tun sie aber zunehmend öfter. Kein Bauchgefühl (das natürlich auch), sondern auch in Zahlen nachweisbar. Das Dortmunder FORMATT-Institut hat in seiner zweijährlichen Untersuchung einen eindeutigen Trend festgestellt. Nämlich den, dass die deutschen Tageszeitungen am ehesten im Lokalen sparen (mehr zu den Ergebnissen drüben beim Universalcode). Vor allem in NRW hat sich ja in den letzten Jahren eine merkwürdige Form des Lokaljournalismus entwickelt: Es gibt Lokalausgaben, die nur noch den Mantel selbst herstellen und sich den Lokalteil vom Mitbewerber vor Ort befühlen lassen. Immer noch besser, als wenn die Ausgaben ganz dicht machen, argumentieren Verlage wie die WAZ dann gerne. Was wiederum nicht bedeutet, dass es nicht auch Ausgaben gibt, die ganz dicht gemacht werden.

Das ist mindestens erstaunlich. Weil es einer journalistischen Selbstenthauptung gleichkommt. Abseits von allen Debatten über Digital-Strategien ist das womöglich noch sehr viel gefährlicher als eher lieblos gemachte Online-Präsenzen. Das Lokale ist der große Trumpf der regionalen Zeitungen und es gibt vermutlich auch keinen einzigen Verlagsmanager, der das ernsthaft bestreiten wollte. Aber wenn wir das mal mit der Realität abgleichen: Hat eigentlich schon mal eine Meldung gelesen, dass eine Regionalzeitung ihren Aufwand im Mantel zurückfährt und dafür die Lokalredaktionen erheblich stärkt? Hat jemand mal gelesen, dass die Zeitung XY einen echten Top-Journalisten holt, der sich ausschließlich um die Lokalredaktionen kümmert? Das klingt beim Lesen vermutlich wie ein schlechter Witz, soll aber gar keiner sein. Natürlich wäre es großartig, wenn es in jeder Zeitung einen Stefan Plöchinger gäbe; also einen, der das Digitale nicht einfach nur als einen Internet-Auftritt begreift, sondern neue Formen des digitalen Journalismus zur alltäglichen journalistischen Kultur in einem Verlag einführt. Aber mindestens genauso bräuchte es in jedem Regionalzeitungs-Verlag einen, der den Lokaljournalismus behutsam stärkt und weiterentwickelt. Wenn er das auch noch mit einer Digital-Expertise koppelt, dann wäre dieser Mensch jemand, nach dem sich sämtliche Häuser dieser Republik alle Finger abschlecken müssten.

Ich weiß nicht, ob es so jemanden gibt. Aber selbst, wenn es ihn gäbe: Die Prognose ist nicht sehr gewagt, dass er trotz dieser Fähigkeiten keine allzu guten Jobchancen hätte. Die Investitionsbereitschaft ins Lokale ist immer noch verblüffend gering. Daran hat sich in den fast 30 Jahren, die ich jetzt in diesem Job arbeite, nicht sehr viel geändert. Was es gibt, sind immer noch sehr viele Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden. Die Zahlen aus Dortmund sprechen eine andere und eine sehr deutliche Sprache.

Dazu kommt noch anderes: Der Beruf des guten, alten Lokalredakteurs bei einer Tageszeitung wird zunehmend unattraktiver. Es ist nicht nur der Kollege Ralf Heimann, der das sehr deutlich beschrieben hat. Es gibt inzwischen auch Chefredakteure und Geschäftsführer, die unverhohlen einräumen, dass es immer schwieriger wird, den Journalisten-Nachwuchs für einen Job in einer Lokalredaktion, womöglich noch irgendwo auf dem flachen Land zu begeistern.  Wer wirklich was drauf hat, vielleicht sogar noch im Netz fit ist, der wird vieles versuchen, aber nicht, auf Dauer als Lokalredakteur irgendwo zu arbeiten. Weil ihm klar sein dürfte, dass nicht nur der Job etwas fad sein könnte, sondern auch, dass die Zukunftsperspektiven nicht mehr unbedingt für ein ganzes Berufsleben tragen.

Wenn aber auf der einen Seite immer mehr gespart und reduziert wird und es auf der anderen Seite immer problematischer wird, gute junge Leute für diese Form des Journalismus zu begeistern – was soll dann aus den Regionalzeitungen mittelfristig werden? Vielleicht sollten wir darüber mal reden. Und nicht über das Internet, das Leistungsschutzrecht und überhaupt diese böse digitale Welt.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Dirk Hansen

    Lokal ist nicht egal – sehr wichtiges Thema. Nur kommen wir auch hier nicht darum herum, über Internet, Leistungsschutzrecht und digitale Welt zu reden. Denn Regionaljournalismus braucht einen verlässlichen Rahmen. Der alte wird zu eng, für Macher und Nutzer. Ein neues, finanziell plausibles Organisationsmodell Modell sehe ich gerade auf lokaler Ebene noch nirgendwo.

  2. Joachim Braun

    Das ist jetzt aber schon ein bisschen eindimensional, lieber Christian. Zeitungsdeutschland ist größer als NRW.

  3. cjakubetz

    Ich weiß, aber mein Beitrag bezieht sich ja keineswegs nur auf NRW. Da ist das momentan halt einfach am heftigsten ausgeprägt, siehe auch die heutige Meldung der Kooperation zwischen RP und WN. Aber das heißt ja nicht, dass die grundsätzliche Entwicklung in anderen Bundesländern nicht vergleichbar wäre. Und dass die Blätter schon seit Jahren massiv ins Lokale investieren, last sich ja nun wirklich behaupten, oder? Außer natürlich bei den berühmten Ausnahmen, die wie immer die Regel bestätigen.

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