Journalist, Blattkritik

Nachdem mich Kollege Thomas Mrazek in seinem jüngsten Kommentar dazu aufgefordert hat, meine Kritik am „Journalist“ etwas zu vertiefen – bitte sehr: Die neueste Ausgabe steckte gestern bei einem Bekannten im Briefkasten, eine wunderbare Gelegenheit, sich das Ding mal genauer anzusehen. Um es vorwegzunehmen: Ich würde von meinem letzten Eintrag nullkommanull zurücknehmen.

En Detail: Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, wie man mehrere Seiten im Heft als „News“, Meldungen oder was auch immer verkaufen kann, die mit Material bestückt sind, die jeder halbwegs interessierte 14-Tage-Praktikant schon mal irgendwo gelesen hat. Im aktuellen Heft lese ich also gestern abend, Springer hoffe auf eine Ministererlaubnis bei der Pro7-Übernahme (Guten Morgen, ausgeschlafen, liebe Kollegen?). Und ich lese, dass die Deutsche Bank und Herr Breuer eventuell Kohle an Kirch rausrücken müssen. Gut abgehangen, die Geschichte. Sehr schön: „Kurz vor Jahreswechsel“ habe Angela Merkel in „mehreren Zeitschriften und Zeitungen“ einen offenen Brief drucken lassen. Kosten: „knapp drei Millionen Euro.“ Spätestens jetzt, liebe Kollegen, nimmt bei jedem Wald-und Wiesenblättchen der Volontärsvater besorgt seinen Schützling beiseite und fragt ihn, ob er das mit dem präzisen Schreiben von Meldungen schon auch richtig verstanden hat. Wir sehen umständehalber dezent darüber hinweg, dass die Geschichte, die „kurz vor Jahreswechsel“ sich abspielte, im Februar im Blatt „von Journalisten für Journalisten“ erscheint.

Und so geht das mit diesen so genannten Meldungen in einem fort: Pro 7 macht demnächst Pay-TV? Hey…noch nie was von gehört. JobTV ist an den Start gegangen, RTL hat sich mit Kabel Deutschland über die digitale Verbreitung der Programme geeinigt? Journalist sei dank, ich hätte es sonst nicht erfahren.

Und dann gibt es da einen Leitartikel oder wie auch immer sich das Teil nennt. Der Bundesvorsitzende spricht. Es mah geschmäcklerisch sein, aber ich habe meinen Volos und Redakteuren immer gesagt, dass ein meinungsäußernder Beitrag, der mit der Superphrase „Bleibt zu hoffen“ zur Conclusio kommt, sofort aus dem Blatt/aus dem Programm fliegt. Herr Konken wirft mit dieser und anderen Phrasen fröhlich um sich, schreibt „bleibt zu hoffen und schreibt „mit dem Mainstream zu schwimmen ist einfacht und leicht“. Ach was?! Im Kommentar selber geht im Übrigen darum, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der „demokratischen Verpflichtung für Information und Kritik“ stehe. Liebe Kollegen, ich möchte seitens eures Verbandes wirklich nienienienie wieder irgendeine kritische Äußerung über „Sonntagsreden“ von Politikern hören. Ich fürchte, das „Neue Deutschland“ hat sich früher ähnlich gelesen.

Die größeren Geschichten – nun ja. Herr Horx und sein Institut stellen eine ihrer Untersuchungen vor, deren Resultate bei jedem, der sich mit dem Thema befasst, weitgehend common sense sind. Aber immerhin: Wenigstens ein Beitrag (ein einziger, das stelle man sich mal vor), der sich mit den digitalen Veränderungen befasst. Dann noch eine Geschichte über Podcasts für all jene, die immer noch nicht wissen, was das ist. Sonst: Ein bisschen Presserecht, ein wenig Steuerrecht und eine Geschichte, die irgendwas mit Brasilien zu tun hat. Was genau, weiß ich nicht. Ich konnte die Augen leider so lange nicht offen halten.

Journalistisch ist das Blatt leider auch eine Ansammlung vertaner Chancen. Da setzt man sich schon mal mit dem Thema „Krise der Regionalblätter“ anhand der neuesten Redaktions-Schließungen bei den Ruhr-Nachrichten auseinander – und dann kommt das übliche Zeug: Die Geschichte vom bösen konsequent so bezeichneten „Jungverleger“ (der Mann ist 39), über den dreimal geschrieben wird, welches „Kostenbewusstein“ er habe und wie skrupellos er vorgegangen sei. Natürlich war das alles wieder mal ein abgekartetes Spiel unter sinistren Verlagsmanagern von RN und WAZ, worunter der aufrichtige Lokaljournalist zu leiden hat. Das ist, liebe Leute, gedrucktes Bullshit-Bingo.

Gerne gelesen hätte ich etwas anderes: Warum nämlich ein einstmals gesundes Blatt in den letzten Jahren zehn Lokalredaktionen schließen musste, warum man in einer Stadt wie Gelsenkirchen nur noch alberne 3000 Auflage hatte. Natürlich kann man dann meinetwegen sehr, sehr hart an den Verlag rangehen, sich fragen, ob man nicht einfach Entwicklungen verpennt hat (das müsste der Verband dann allerdings bei sich selbst auch mal tun). Aber BITTEBITTEBITTE: Verschont mich mit diesem gequirlten Böse-Verleger-nehmen-aufrechte-Journalisten-aus-Krempel. Im Übrigen: Auch bei dem Kommentar zu diesem Thema hat die Phrasendreschmaschine des „Journalist“ ganze Arbeit geleistet und das Verhalten des RN-Verlegers bezeichnet als…na,. als was? Skandalös, natürlich. Eine Nummer kleiner und weniger abgedroschen hatten sie es leider grade nicht.

Über das Layout – dunkle, graue, triste Bleiwüsten – sage ich deswegen nichts, weil ich einer Zeitung fast jede Layout-Sünde vergebe, so sie gute Geschichten bringt.

So aber ist der Journalist leider ein unfreiwilliger Kronzeuge für die Krise des Journalismus, die er wechselweise entweder negiert oder beklagt (welch Widerspruch): Jede Minute, lieber Thomas Mrazek, die ich mit deinem oder den vielen anderen guten Medienblogs in unserem Umkreis verbringe, ist besser investriert als mit der Lektüre des Journalist.

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