Qualitäten einer Überschrift

Am kommenden Mittwoch bin ich in München zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, u.a. mit Kollegen Don A. und dem Lokalchef der Bild München. Es geht um Qualität im Journalismus und das bedeutet, dass man im Grunde über alles und jeden diskutieren darf. Ich meine, Qualität – das ist etwas, was vermutlich jeder für sich anders definiert. Also mache ich das, was ich vor solchen Grundsatzdebatten immer gerne tue und schaue einfach mal nach, wie es um sehr grundlegende Dinge im (Online-)Journalismus bestellt ist, also nicht, wie dieser und jener Artikel aus stilistischer Sicht zu beurteilen sei, sondern einfacher gedacht: Dinge, die unumstößlich sind. Überschriften und deren Richtigkeit (Richtigkeit ist ja immerhin schon mal ein Qualitätsmerkmal) beispielsweise. Dafür ist ein Vormittag, an dem Bahnstreik ist, eine schöne Gelegenheit.

Die Ausgangslage: Die Lokfürer dürfen streiken, allerdings nicht ohne Einschränkungen. Im Nahverkehr ja, im Fern- und Güterverkehr nicht. Sehen wir also mal nach, was die Redaktionen draus machen.

Spiegel online schreibt, was ist: Tausende Reisende sitzen fest. Stimmt. Nicht spektakulär, aber anscheinend ist die ganze Streikgeschichte bisher ja nicht spektakulär. Aber eben auch nicht falsch. Die Kerninformation in vier Worten. Respektabel.

Bild.de hält sich ungewohnt zurück: Bahn-Streik! Stimmt. Die Bahn streikt. Sieht ein wenig danach aus, als sei Bild.de hier ein Gefangener seiner Grafiken. Die zu ändern dürfte aufwändig sein. Weswegen man sich vermutlich dazu entschieden hat, einfach eine halbwegs neutrale und längert tragfähige Grafik resp. Überschrift zu wählen und die Seite hinter der Grafik mit neuen Infos anzureichern.

N24.de hat anscheinend Überschriften auf Vorrat angelegt und eine davon genommen. Einschränkungen bereits vor Streikbeginn, heißt es dort jetzt um 9.15 Uhr. Sicher richtig, aber schon auch interessant: Ein Nachrichtensender meldet 75 Minuten nach Streikbeginn, dass es bereits vor Streik Probleme gab.

n-tv.de hat anscheinend Angst davor, Fehler zu machen. Deswegen setzt man dort auf die Lösung, die sicher keine Fehler produziert: Lokführer streiken. Und tatsächlich: kein Fehler drin.

Sueddeutsche.de will den anderen anscheinend zeigen, wo der Überschriften-Hammer hängt und brüllt am Morgen in die Welt hinaus: Deutschland steht still. Tatsächlich? Mit der Meinung stehen die SZ-Kollegen ziemlich exklusiv da. Deswegen ist man sich später dann doch nicht so sicher, ob man das nicht arg weit hergeholt und bremst sanft ab auf „Deutschland kommt nicht weiter“.

FAZ.net schließlich gibt den Lokalkoloristen und titelt: Schell muss den Hauptbahnhof (Frankfurt) verlassen. Tja.

Tagesschau.de ist so spritzig wie die Mutter im TV: Bahn nur noch mit Notfahrplan. Hui.

Heute.de schließlich noch mit der Schmonzette für die pensionierten Oberstudienräte und einer eigenwilligen Verwendung von Aktiv und Passiv: Bahnstreik lässt Reisende sitzen. So ein Schlingel, der Bahnstreik.

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