Internet, für sueddeutsche.de Idiotae Web 0.0

Es wäre wirklich spannend zu wissen, was den Kollegen von der Süddeutschen im Allgemeinen und von sueddeutsche.de im Speziellen in ihrem Journalistenleben Traumatisierendes mit dem Web passiert ist. Ich kenne jedenfalls kaum eine Zeitung und auch kaum ein Onlineangebot, dass sich dermaßen über das Netz hermacht und es als einen ziemlich unangenehmen Ort schildert wie die SZ. Wenn man dort eine Serie über das Web macht, handelt sie nicht etwa von den Umwälzungen und den gigantischen Chancen und Herausforderungen durch das Netz. Sondern sie handelt von Kriminalität im Internet. Wenn ein Diktator hingerichtet wird und diese Bilder tauchen in der Öffentlichkeit auf, redet man nicht von der Hinrichtung, sondern von der „Seuche Internet“ (und das immerhin an sehr prominenter Stelle im Leitartikel). Die Geschichten in der SZ über die Irrelevanz des Netzes im allgemeinen und Blogger im Besonderen sind Legende. Und Heribert Prantl verstieg sich gar mal zu der albernen Auffassung, Journalisten würden durch Internet und Crossmedia zu Gauklern aus dem Mittelalter degradiert, die sich auf Marktplätzen zum Clown und Hofnarren machen. Wobei sich die Frage aufdrängt, warum die SZ nicht sueddeutsche.de einfach schließt und damit einen entscheidenden Beitrag zur Schwächung von Seuchen und Kriminalität und ein Zeichen pro Relevanz und journalistischer Qualität setzt. Über Seuchen maulen und selber sehr aktiv an der Seuche mitwirken ist jedenfalls keine Haltung, die mir auch nur einen Hauch von Respekt abnötigt.

Nein, stattdessen pflegt die SZ weiter ihre von leichter Schizophrenie geprägte Haltung zum Web. Diesmal in Form von Dr. Bernd Graff, der erstaunlicherweise Vizechef von sueddeutsche.de ist. Und Latein kann! Das ist wichtig bei der SZ, weil wenn man es nicht könnte, könnte man einem Beitrag nicht den TitelDie neuen Idiotae Web 0.0″ geben (der Beitrag hält übrigens, was der Titel verspricht).

Neben vielem Zeug, dass das Bild der SZ vom Web eindrucksvoll bestätigt, versteigt sich Dr. Graff auch zu diesem Satz:

Zugegeben: Klage darüber zu führen, dass Internet und Beliebigkeit siamesische Zwillinge sind, ist so sinnvoll, wie gegen den Wind zu pusten.

Da hat er recht, der Herr Graff, Vor allem ist es dann sinnlos, wenn das eigene Medium einer der größten Beliebigkeitsverursacher im Web ist. Wäre man penibel, könnte man an dieser Stelle mal an eine ganze Linkliste setzen mit Bildergalerien von sueddeutsche.de, die an Beliebigkeit nicht zu toppen sind. Mit schlechten Witzen, mit Uhren, Biermarken und allem möglichen Kram, der einzig und allein dazu da ist, Quoten aufzuplustern. Den Trick mit den IVW-Klickmaschinen, mit Verlaub, beherrscht inzwischen jeder 14-Tage-Praktikant, trotz alledem behauptet sueddeutsche.de-Chef Jakobs im neuen „Journalist“ allen Ernstes noch, die 32 besten Witze aus den 80ern in Form einer Slideshow seien ein genuitives Element des Webs und zudem eine ganz besonders schöne Erzählform (Kollege Knüwer nannte das so schön „sich selbst in die Tasche lügen“).

Das Lamento über Blogs darf natürlich auch nicht fehlen:

Ist die produktive Vernetzung von wandelbaren sozialen Identitäten schon deswegen gegeben, weil jemand ein Chatprogramm anschmeißen kann oder sich in einem Blog wenigstens selbst beweist, dass er ja bloggt, also irgendwie noch lebt?

Das ist besonders ulkig angesichts der Tatsache, dass Graff es war, der noch Ende 2005 versuchte, Blogs bei sueddeutsche.de zu etablieren und nach ein paar außer von ihm selbst von fast niemandem bemerkten Einträgen bereits behauptete, Platzhirsch Don Alphonso röhre bereits – waidwund. Es war dann eher Graff, der röhrte, als a.) das SZ-Blog-Trauerspiel schnell wieder beendet wurde und b.) Don ihm noch böse eine reinpfiff.

Und schließlich fragt man sich dann noch, warum der Herr Dr. Graff nicht einfach seine onlinejournalitsischen Tätigkeiten wieder einstellt – angesichts solcher Sätze:

(…Zitat aus einem Forum) „Hier wird natürlich ein Qualitätsgegensatz zwischen beiden Medien (Anm.: Zeitung und Internet) herbeigeredet.“ Nein, ihr Lieben, der wird nicht herbeigeredet. Der besteht.

Graff beendet seine Phillipika mit folgendem Fazit:

„Die Menschen“, schreibt Norbert Bolz, „werden immer mehr zu – wie man im Mittelalter sagte – idiotae: also zu eigensinnig Wissenden. Die neuen Idiotae lassen sich ihr Wissen, ihre Interessen und Leidenschaften nicht mehr ausreden.“ Mag sein. Verlangt ja auch keiner. Aber sollen wir uns deshalb von jeder Idiotie in die Zukunft führen lassen?

Schreibt jemand, der jeden Tag Continental-Winterreifen-Specials, abstruse Bildergalerien und ein Angebot verantwortet, dessen erster und einziger Zweck es ist, Klicks zu generieren. Ich weiß nicht so recht, was ich da idiotischer finden soll.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Thomas Mrazek

    Jetzt muss ich aber mal eine Lanze für Sueddeutsche.de brechen: Immerhin räumen Sie jetzt Ihren Nutzern beim Verfassen von „Loser Generated Content“ großzügige Pausen ein!

  2. cjakubetz

    Ich hätte den Beitrag auch gerne bei sueddeutsche.de kommentiert. Aber ich hatte erst nach 19 Uhr Zeit und jetzt ist gerade Wochenende…schade drum 🙂

  3. Armin Wolf

    zur Sachkenntnis von Bernd Graff:

    „Die Goldene Narrenkappe aber verdiente sich Bernd Graff mit einem Artikel für die [http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/517/17500] Süddeutsche Zeitung, der dem Nutzer suggerierte, er müsse alle Kopien vernichten, von denen er keine Originale zuhause hat.“

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/15/15690/1.html

  4. G.Voigt

    Quod erat demonstrandum. Bernd Graff hat Recht!

  5. cjakubetz

    Bei sueddeutsche.de, verehrter Herr Voigt, hätten Sie für die Freischaltung Ihres Kommentares bis Montag morgen, ca. 8 Uhr, warten müssen. Q.E.D.

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