Not zwitschering (2)

Robert Basic, dem man immerhin zugute halten muss, ein begnadeter Verkäufer seiner selbst zu sein, hat Thorsten Schäfer-Gümbel interviewt. Das wäre eigentlich keiner weiteren Erwähnung wert, wäre es nicht ein Twitter-Interview gewesen und hätten nicht ein paar Technik-Freaks leuchtende Augen bekommen. Mir selbst hat dieses Interview-Gezwitscher eigentlich nur gezeigt, was Twitter nicht sein wird: ein ernstzunehmendes journalistisches Medium. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wer meint, er müsse anderen seine Welt in 140 Zeichen mitteilen, nichts dagegen. Wenn wir aber von Journalismus reden, dann bleibt leider nur Geschwätzigkeit in einer ohnehin schon ziemlich geschwätzigen Welt übrig. Dass sich Schäfer-Gümbel als eine Mischung aus „bayrischer lebensfreude und preussischen tugenden“ sieht, ist bestimmt ganz prima, aber wissen muss man das wirklich nicht. TSG ist durch ein Familienmitglied zum Twittern gekommen und nicht durch eine Agentur? Wie spannend. Und wäre TSG der beste Ministerpräsident, den wir je hatten oder nur Mittelmaß? Er wäre auf jeden Fall besser als Koch, lässt uns TSG wissen, und ehrlich gesagt: Darauf wären wir von alleine jetzt kaum gekommen.

Man mag natürlich – zurecht – dem armen TSG zugute halten, dass es auf diese Frage kaum eine andere Antwort gibt und Basic fragt tatsächlich auch wie einer dieser quälenden Fußballreporter, die einem bedauernswerten Kicker, der gerade noch bei einem Puls von 160 ist, die Frage stellen, wie er sich denn eigentlich so gefühlt habe, als er den entscheidenden Elfmeter versemmelte. Ja gut, ich sag mal – eigentlich hätte TSG genau das antworten müssen, das wäre schon wieder witzig gewesen. Tatsächlich aber zeigen die drögen Fragen und die mittelmäßig lustigen Antworten das Grundproblem des Twitterns: Einen halbswegs komplexen Sachverhalt auf 140 Zeichen komprimieren, ist vielleicht ein ulkiges Experiment, aber kein Journalismus. Und wenn wir schon beim moralisieren sind: Diese Dauerverflachung von Politik nervt ja eh schon, wenn sich politische Debatten dann auf dieses Level bewegen, weiß ich nicht, was daran aufregend, innovativ oder interessant sein soll.

Was aber dann? Vielleicht – wirklich nur Geschwätz?

Nachtrag am Rande: Am Montag Seminar gehabt mit 28 Volontären deutscher Tageszeitungen und Radios (schönen Gruß übrigens). Von 28 wussten keine 5, was Twitter ist. Soviel als Realitätscheck.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. C. Kaelber

    Keine Sorge. Auch in gestalterisch-medientechnischen Studiengängen kennt unter den Studierenden kaum jemand den Vogelkäfig. Also ein Hype? Vielleicht. Ist es wirklich wichtig, noch mehr Hintergrundrauschen zur Kenntnis zu nehmen? Vorschlag: Gut wenn man weiß, was man nicht wissen muss.

  2. Karsten

    Klar, Twittern ist kein Journalismus, und ein Twitterinterview ersetzt kein richtiges Interview. Aber ein 60-Sekunden-Tagesschau-Interview ersetzt auch kein zweistündiges Gespräch am Kamin, und trotzdem erlaubt es, sich einen Eindruck von einer Person zu machen.

    Du hast Dir ja auch einen Eindruck von TSG durch das Twitter-Interview gemacht, oder? Auch wenn Du das mit anderen Eindrücken kombinierst.

    Wie denkst Du denn, werden die Wahlen ausgehen?
    http://www.vorwaerts.de/artikel/hessen-wahlkampf-wette

    Viele Grüße
    Karsten

  3. cjakubetz

    Nö. Das ist ja der Punkt. Ich hab mir kein Bild von TSG gemacht. Aber ich würde auch nicht zum Speeddating gehen.

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