2009/2010: Ein Jahresirgendwas

(Schon klar, zu 2009 und zu den Erwartungen für 2010 ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht von jedem. Das würde ich nicht gerne auf mir sitzen lassen.)

Mittlerweile geht mir das ja jedes Jahr schon so:  Immer kurz vor Neujahr bin ich mir ganz, ganz sicher,  dass das jeweils kommende Jahr ein sehr entscheidendes, eines der großen Umbrüche sein wird. Diesmal aber bin ich mir ganz sicher (ok, das habe ich 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 auch behauptet; vielleicht ist es ja auch wirklich so, dass wir seit ein paar Jahren nur noch umbruchverdächtige Jahre erleben.)

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Es bietet sich ja nahezu an. Zeiten der (Achtung, Buzzword) Krise sind immer auch Zeiten des Umbruchs.  Das liegt wahrscheinlich in der menschlichen Natur, dass man zu echten Umbrüchen erst dann in der Lage ist, wenn die Daumenschrauben ordentlich angezogen werden. Wenn dem so sein sollte, dann stehen die Chancen gut, 2010 wirklichen Umbruch zu erleben. Schließlich sind seit den ersten sichtbaren Auswirkungen des Internets 15 Jahre vergangen — das ist ein Zeitraum, der auch schon in früheren Epochen, die bei weitem nicht so rasant verlaufen sind wie die der Digitalisierung, erhebliche Veränderungen beinhaltet hat. Und die Daumenschrauben sollten bei den Vertretern der old school inzwischen so gut angezogen sein, dass es kräftig weh tut.

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Spätestens 2010 also — um zunächst zu Vorausschau zu kommen — wird es vorbei sein mit den ja in weiten Teilen der analogen Medien immer noch recht kuscheligen Zeiten.  Vor allem das Geschäftsmodell „Tageszeitung“ wird ein ziemlich beschleunigtes Ende erleben. Schon die bisherigen Gründe pro Print wirkten ja immer so ein wenig herbei beschworen: Print sei nachhaltiger, hieß es gerne; Zeitungen verfügten über eine wunderbare Haptik zudem. Ersteres — die Nachhaltigkeit — ist ein Nonsensargument. Nachhaltig wird ein Stück Journalismus durch seine Tiefe, durch Rechereche, durch Relevanz. Nachhaltigkeit erzielt man nicht, indem man ein Stück auf Papier druckt. Und die Haptik? Ich bestreite ja gar nicht, dass sich eine Zeitung schön anfühlt, aber diesen haptischen Lustgewinn wird vermutlich nur jemand empfinden können, der mit dem Rascheln einer Zeitung groß geworden ist. Wer hingegen vollständig digital aufgewachsen ist (und diese Generation kommt jetzt), findest es allenfalls nervig,wenn er nach Lektüre einer Zeitung einen Berg Altpapier entsorgen muss und schmutzige Finger hat. Nostalgische Anwandlungen sind jedenfalls eher nicht zu erwarten, weil solche Menschen gar keine nostalgischen Erinnerungen an irgendwas haben. Wenn ich meine beiden Töchter danach fragen würden, was sich besser anfühlt, so rein haptisch gesehen — beide würden sicher nicht mit „Zeitung“ antworten, wenn ich Ihnen danach als Konsequenz den Laptop oder das Handy abnehmen würde.

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Und auch wenn ich mich vielleicht etwas weit aus dem Fenster lehne, aber ich glaube, dass der beschleunigte Niedergang von Tageszeitungen einen Namen hat: iSlate. So, wie der iPod das Konsumverhalten beim Musikhören verändert und das iPhone das Handy revolutioniert hat, so wird das Apple-Tablet die Lesegewohnheiten verändern. Klar, man kann einwenden, dass die Dinger (zunächst) teuer und vielleicht auch unausgereift sind. Aber das eigentlich Entscheidende ist: Lesen auf dem Display wird salonfähig und massenkompatibel. Und auch so bequem, dass man sich nicht mehr Sorgen um seine künftige Sehstärke machen muss. In dem Zusammenhang bin ich übrigens ziemlich froh, mir weder einen Kindle noch einen seiner Epigonen zugelegt zu haben. Hätte ich das getan, würde ich mich jetzt schwarz ärgern, während ich die rund 800 Dollar für dendiedas iSlate schon budgetiert habe. Aber um nochmal auf die Zeitungen zurückzukommen: Man muss ja irgendwie befürchten, dass sie auch diese Chance, die sich ihnen da bietet, noch nicht begriffen haben. Jede Wette: Frag nach in 50 Regionalzeitungsverlagen, was ihnen der Begriff iSlate sagt. 40 werden sagen: nie gehört. Müßig zu betonen, dass man dafür dann auch keine Inhaltestrategie parat hat. Dabei beginnt mit diesem Gerät erst das wirkliche Zeitalter von mobilen Inhalten, von mobilem Internet. Und wehe, Mr. Jobs, wenn da nicht auch ein iPod mit drin ist.

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Die Sache mit den Apps, natürlich. Man kommt in diesem und im nächsten Jahr vermutlich kaum daran vorbei, über sie zu schreiben, wenn es um Medien geht. Trotzdem halte ich sie aktuell zumindest für eine der am meisten überschätzten Geschichten überhaupt. Ich bin wirklich leidenschaftlicher iPhone-Nutzer, lese aber auf dem guten Stück dennoch ziemlich wenig. Smartphones haben völig andere Stärken als eine Plattform für längere Textstücke zu sein. Unbestritten sind die meisten (Medien-)Apps eine hübsche, praktische Sache. Mehr aber auch schon nicht. Eine App zu kaufen, monatlich für sie zu bezahlen, weil ich die Zeitung von morgen schon heute auf ihr als Mini-Mini-PDF lesen kann, wäre so ziemlich das Letzte, was mir einfiele. Um dem Totschlag-Argument von der Kostenlos-Mentalität zu entgegnen: Nein, das hat nichts mit mangelnder Zahlungsbereitschaft zu tun. Sondern nur damit, dass es nicht das Produkt ist, das ich gerne hätte.  Mir sind Apps weitgehend egal, ich halte sie für ein nettes Spielzeug, mehr nicht.

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Das wird sich ändern, wenn derdiedas iSlate kommt. Dann sind Apps womöglich auch aus inhaltlicher Sicht relevant. Und wenn die dann auch noch sowohl auf iPod als auch auf  iSlate laufen….für den Rest gilt: siehe oben.

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Im Moment fällt mir auf, dass hier andauernd die Rede von irgendwelchen technischen Neuerungen und strategischen Ausrichtungen ist. Dabei ist das gerade vorbeirauschende 2009 ja auch eine gute Gelegenheit, mal ein paar halbwegs ernst gemeinte Worte zum Zustand des Journalismus zu verlieren. Ich bin sicher kein Kulturpessimist, aber vieles von dem, was ich 2009 erlebt habe, ist schlichtweg inakzeptabel. Beispielsweise, dass es sich inzwischen nahezu widerspruchslos durchgesetzt hat, dass Redaktionen zusammengeschmissen und „zentralisiert“ (und dabei natürlich personell auch eingekürzt werden), man das auch noch als im Sinne der Qualität unerlässlich bezeichnet — und es gibt nicht mindestens ein paar hysterische Lachattacken angesichts solcher Argumentationen. Ich meine, das muss man sich mal vorstellen: Da gibt es also inzwischen reihenweise Leute die behaupten, mit weniger von uns (Journalisten) würden Medien besser. Obwohl ich gerne zugebe, dass ich manchmal sogar geneigt bin,  der einen oder anderen Ohrfeige für Journalisten gleich noch eine hinterherzuschießen. Nach ungezählten Panels und Podiumsdiskussionen in diesem Jahr bin ich nicht gerade zu dem Schluss gekommen, dass wir Journalisten sonderlich innovationsfreudig wären.  Natürlich ist es wohlfeil, insbesondere Verlegern Vorhaltungen zu machen, dass sie in den letzten Jahren die eine oder andere Entwicklung verschlafen haben. Aber wenn ich dann auf der anderen Seite feststelle, dass die Mehrheit von uns Journalisten immer noch von „neuen Medien“ spricht und in erster Linie das Internet meint, habe ich nicht gerade das Gefühl, es mit der Speerspitze der Innovation zu tun zu haben. Und wahr ist ja leider auch, dass Medien-Watchblogger es immer noch ziemlich mühelos schaffen, jeden Tag ihre Seiten zu füllen. Es wäre ein bisschen einfach, das immer nur auf die bösen Verleger oder Sender zu schieben. Vieles von dem, was (zurecht) moniert wird, hat mit einem langsamen und stetigen Verschwinden journalistischer Urtugenden zu tun: Recherche ist gerade dabei, zu einem Luxusgut zu mutieren, zumindest dann, wenn man darunter mehr versteht als eben mal bei Wikipedia nachzuschlagen oder einen Begriff zu googeln.

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Nein, Zeitungen sind leider inzwischen nicht mehr der Inbegriff von Vielfalt. Fernsehen dagegen ist mittlerweile endgültig zum Pseudonym für Einfalt verkommen. Mein konventioneller TV-Konsum ist mittlerweile auf nahe Null gesunken. Nicht, weil es sich so gut macht, wenn man mal eben auf „das Fernsehen“ schimpft, das wäre zu billig. Nicht mal aus irgendwelchen anderen wichtigen Gründen. Nein, viel einfacher: Ich finde fast nichts mehr, was ich mir gerne anschauen würde (dabei mochte ich Fernsehen mal). Man kann sich nicht mal darüber aufregen, es ist völlig gleichgültig geworden, welchen Nonsens Sender gerade abstrahlen. Das ist vielleicht für die Zukunft des Fernsehens noch gefährlicher, als würde man sich aufregen: Gleichgültigkeit. Ich sehe ja nicht weniger als früher, ich sehe nur anders. Selektierter. Und eben nicht im TV-Programm, sondern auf DVD, auf dem Rechner, in Mediatheken. Insofern fällt mir eine Prognose ziemlich leicht: Fernsehen ist auf dem allerbesten Weg, zum Nebenbeimedium bei all jenen zu werden, die sich einfach nur berauschen und berieseln lassen wollen (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel).  Entsprechend lieblos machen einige Privatsender inzwischen ihr Programm. Sofern man das, was manche inzwischen am Nachmittag bringen, überhaupt noch Programm nennen kann.

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Beim kommenden Satz  kenne ich schon eine archetypische Reaktion: Kennst du nicht „The Office“? Viiiiel besser.  (Wahlweise auch gerne genommen: Also, früher war er ja schon besser.) Jaja, kann schon sein, trotzdem: Die 4. Stromberg-Staffel war mein persönliches TV-Highlight in diesem Jahr. So gut könnte Fernsehen sein.

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Radio? Ach herrje. Abgedreht. Außer: FM 4. So gut könnte also auch Radio sein.

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Was verschwindet nächstes Jahr? Ich habe zwar einen Twitter-Account, sehe das aber immer noch skeptisch. Ich nutze es als eine Art Grundrauschen, ich habe dort Leute abonniert, die gute Sachen machen, die wirklich lesenswert sind. Und ich verdanke Twitter ein wunderbares Abendessen mit ausgesprochen liebenswerten Kollegen in München, wobei ich Ihnen in diesem Zusamenhang gerne die Seiten und die Accounts von Horst Müller, Inge Seibel, Richard Gutjahr, Ulrike Langer und Marcus Schuler ans Herz legen will.  Trotzdem: Würde man morgen Twitter abschalten, wäre ich nicht unglücklich. Und warum man so angestrengt üer die vermeintliche Bedeutung von Twitter für den Journalismus debattiert und weniger über grundlegende Fragen (die Sache mit der Recherche, siehe oben), will mir noch nicht so ganz in den Kopf.  Das alles könnte ich übrigens auch über Facebook schreiben. Ich weiß ja, wie wichtig es ist, mit Lesern und Zuschauern zu kommunizieren, aber dafür bräuchte man kein Facebook und kein Twitter, wenn man es denn wirklich wollen würde. Stattdessen habe ich den Eindruck, dass für eine ganze Reihe von Redaktionen das ganze Zeug mit dem Twitter ein hübsches Alibi geworden ist. Über die Rhein-Zeitung in Koblenz habe ich ganze Oden gelesen, wie vorbildlich sie in Sachen Web 2.0 sei. Dabei habe ich den Tweets des dortigen Chefredakteurs bisher lediglich entnehmen können, dass er die eigene Zeitung ziemlich gut findet. Im Blatt selber soll´s dagegen nicht so rosig aussehen, nach allem, was man so hört. Merke also: Ein hübsches Facebook-Profil und ein paar Tweets ersetzen keinen Journalismus.

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Zum Schluss, quasi frisch reingekommen, mein Lieblings-Leadsatz des Jahres: Alle Jahre wieder ist Weihnachten. Bisher dachte ich ja immer, schon die Verwendung des Terminus „Alle Jahre wieder“ stehe unter Strafe. Mit diesem Zusatz finde ich ihn allerdings besonders ulkig, kann mir aber dann doch die Frage nicht verkneifen: Wer schreibt eigentlich unsere Lokalteile voll? Und redigiert das dann auch mal jemand?

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Und schließlich noch was in eigener Sache, für alle diejenigen, die es tatsächlich bis zum Schluss durchgehalten haben: Im Sommer wird dieses Blog 5 Jahre alt, es ist also im Vergleich zu den 43 Tagen, die ein Blog angeblich im Durchschnitt existiert, eine echte Ausdauerleistung. Allerdings: Ich bin mir nicht so wirklich sicher, ob ich in diesen 5 Jahren nicht mehr oder weniger alles geschrieben habe, was ich zu schreiben/sagen habe. Vielleicht also — dies nur mal so als kleine Überlegung — wäre der 5. Geburtstag eine hübsche Gelegenheit, hier den Stecker zu ziehen, bevor die ersten die Augen verdrehen („Also, früher war der echt besser…“).

Wir werden sehen. Und nein — ich will´s nicht verkaufen…

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Ulrike Langer

    Vielen Dank für die Nennung! Auch ich habe dieses Abendessen in München in bester Erinnerung. Mit zumindest einer „Ode an die Rheinzeitung“ ist wohl meine Titelgeschichte in der Oktober-Ausgabe des mediummagazin gemeint. Leider ist zumindest der Twitterstream von @RZChefredakteur seitdem etwas zu selbstreferenziell geworden. Das ist mir auch aufgefallen. Ich würde allerdings nicht den gesamten Social Media Einstatz der Rheinzeitung durch die Brille dieses einen Accounts betrachten. Die probieren wenigstens als Regionalverlag auf mindestens einem halben Dutzend Innovationsbaustellen etwas Neues aus, statt nur nach einem Leistungsschutzrecht zu rufen.

    Du hast Recht, dass nach den vielen entscheidenen Vorjahren des Medienwandels 2010 zu einem ganz entscheidenden Jahr wird. Das sehe ich auch so 😉

    Und den letzten Absatz meinst Du doch nicht etwa ernst, oder? Ich habe zwar erst vor einem knappen Jahr Dein Blog abonniert, aber mir würde es sehr fehlen. Wenn Du ernstlich aufhören willst, werde ich eine ePetition starten, um Dich zum Weiterbloggen zu bewegen.

  2. S. Michael Westerholz

    Es sind die seltsamen, oft schlicht nicht nachvollziehbaren Schwankungen in einer Lokalzeitung, die verunsichern:
    So hat der Verleger des DONAUKURIER in Ingolstadt urplötzlich die Münchner Redaktion aufgelöst. Er versetzte die Mitarbeiterin dort nach Schrobenhausen, ihren ungemein angesehenen, weil erstklassig vernetzten Kollegen wollte er als Springer (sic!) einsetzen.
    Den Vorgänger dieses Jürgen Fischer hatte noch Altverleger Dr. Reißmüller höchst persönlich vor die Türe gesetzt, als der seinerzeit die ganze Erbärmlichkeit eines bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, CSU, ans Tageslicht brachte, ohne freilich zu wissen, dass Dr. Reißmüller Pate eines Kindes von Streibl war. Der damals gefeuerte Kollege gelangte über den SPIEGEL in die Münchner SZ-Redaktion und ist heute deren stellvertreternder Chefredakteur.
    Die teure Miete für die Räume in Landtagsnähe in München wird bis Ende September 2010 weiter fällig, sofern nicht eine andere Mietlösung gelingt.
    Doch der selbe Verleger Georg Schäff erweitert gleichzeitig das lokale Engagement seiner Zeitung, die entgegen dem bundesdeutschen Trend bis vor zwei Jahren noch stetige Abonnenten-Zuwächse verzeichnete: Er öffnete in Kösching und Manching bei Ingolstadt je eine Miniredaktion mit je einer gestandenen Mitarbeiterin bzw. einem Mitarbeiter, die beide seit Jahrzehnten im Hause arbeiten.
    Mit einem Wort: Schäff glaubt also nicht an das Ende des Produkts Tageszeitung.
    Übrigens schied zum Jahresende auch der langjährige Geschäftsführer Lichtenegger aus, der einst aus dem Hause PNP in Passau gekommen war. Durchaus verständlich, dass einige DK-Mitarbeiter aufgrund dieser letzten Neuigkeit einen tieferen Schluck als sonst aus der Sektflasche genommen haben nach dem Motto: Man muss ganz feste feiern, wenn Lichtenegger scheidet.

  3. Niccolo

    „Vielleicht also — dies nur mal so als kleine Überlegung — wäre der 5. Geburtstag eine hübsche Gelegenheit, hier den Stecker zu ziehen“

    Ihre Entscheidung ist anscheinend für eine Fortsetzung des Blogs gefallen, obwohl es hier keinen großen Aufschrei oder Widerspruch gab?! 😉

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