Wie der staatsferne Staatsminister staatsferne Medien fördert

Über uns Bayern muss man vor allem eines wissen (bevor ihr wieder alle über uns herfallt): Wir schaffen es mühelos, die scheinbar größten Widersprüche in uns zu vereinen. Wir reden gerne von der liberalitas bavariae, statten aber im Regelfall die CSU mit absoluten Mehrheiten aus. Wir sind ziemlich bodenständig und haben trotzdem den FC Bayern München — und mitten rein ins schwarze Kern- und FC-Bayern-Hoeneß-Land setzen wir einen roten Bürgermeister, dessen Popularitätswerte aktuell nicht mal von Jürgen Klopp getoppt werden. Wir sind erzkatholisch, haben die prächtigsten und barocksten Gotteshäuser und dennoch keinerlei Problem damit, dass eine unsere weltberühmtesten Attraktionen in einem „Fest“ besteht, bei dem Menschen morgens um 9 Uhr sternhagelvoll über die Straße schwanken und sich nicht mal die Konservativsten darüber aufregen, wenn Männlein und Weiblein es direkt neben dem Bierzelt mal ordentlich krachen lassen. Hauptsache, sie tragen Tracht bei der Erregung öffentlicher Erregung. Kurz gesagt: Wenn man in Bayern jemanden den Satz „A Hund is er scho“ nachruft, ist das unter keinerlei Umständen als Beleidigung zu betrachten.

Jetzt aber hat man in Bayern etwas geschafft, was selbst uns Bayern eigentlich unmöglich sein sollte: Wir schaffen uns einen staatsfernen Staatsminister! Das muss deshalb sein, weil Bayern noch eine andere kleine Besonderheit vorzuweisen hat. Lange und wenigstens ein kleines bisschen verdienstvolle Tätigkeiten in der CSU werden gerne mit ein paar netten Austragspöstchen belohnt. Irgendeinen fränkischen Landrat hat man beispielsweise zum Vorsitzenden des Sparkassenverbandes gemacht, wenn dessen Spaziergängervertrag dann irgendwann mal ausgelaufen ist, wird der Freistaat Bayern ein paar Millionen an den Mann überwiesen haben, was nicht nur ohnehin schon viel ist, sondern gefühlt gleich noch mehr wird, wenn man sich erinnert, wie dieser Herr namens Siegfried Naser dazu beigetragen hat, dass der Freistaat Bayern inzwischen nach einer kleinen LB-Affäre um ein paar Milliarden ärmer ist. Oder Thomas Goppel: Der wollte schon ganz viel werden, wurde aber irgendwie nie das, was er gerne werden wollte. Deswegen will er jetzt einer Akademie in Tutzing vorstehen, wofür er vor allem dadurch qualifiziert ist, dass er zur CSU gehört. Jugendlich-juvenilen Schwung wird Goppel sicher auch einbringen, der Mann ist ja gerade mal 63.

Womit wir jetzt endlich beim Thema wären, nämlich den Medien und der BLM. Dort hat es der Erfinder des „Medienführerscheins“, Siegfried Schneider, erwartungsgemäß geschafft, sich den Posten des BLM-Chefs und damit des obersten Medienwächters zu sichern. In seinem Amt in der Staatskanzlei hat es ihm nicht mehr so gefallen, was man so hört. Als oberster Medienwächter muss er per Definition staatsfern sein, was dem staatsfernen Staatsminister nicht schwerfällt: Er erklärt sich selbst für „sehr staatsfern“, was ihm jetzt auch alle anderen attestieren, insbesondere der bekanntermaßen staatsferne Horst Seehofer.

Nun ist Schneider noch nicht sonderlich als Medienfachmann aufgefallen. Er ist zwar formal Medienminister, weil dieser Zuständigkeitsbereich nun mal in die Staatskanzlei fällt, ob es einem gefällt oder auch auch nicht. Aber in Erinnerung geblieben ist nichts, was Schneider jemals zum Thema gesagt hat. Und was er für seine neue Funktion bei der BLM ankündigt, das klingt auch nicht gerade zukunftsorientiert. Man wolle insbesondere beim Lokalfunk- und Fernsehen ansetzen und irgendwie investieren und dafür sorgen, dass die ziemlich einmalige Vielfalt der Lokalsender in Bayern erhalten bleibt.

Dabei wäre ausgerechnet das ein Thema, bei dem anzusetzen es sich lohnen würde — wenn man denn wollte und wenn die Interessenlage insbesondere der Verlage ganz und gar nicht darauf ausgerichtet wäre, am Lokalfunk auch nur irgendwas zu ändern. Schließlich ist lokaler Rundfunk in Bayern einer der schillerndsten Fassaden in ganz Mediendeutschland. Zwar hat der Freistaat tatsächlich eine bundesweit einmalige Dichte an lokalen Stationen. Das hat sich zwar ein bisschen geändert in den letzten Jahren, weil selbst die größten Optimisten mal einsehen mussten, dass nicht jede Kleinstadt in Niederbayern genug Stoff für einen eigenen Sender hergibt. Trotzdem: (TV-)Sender mit einer technischen Reichweite von gerade mal 80.000 Zuschauern sind keineswegs die Ausnahme. Wer sich ein bisschen mit Quoten auskennt, der hat eine Ahnung, wie viele Menschen in absoluten Zahlen gelegentlich vor dem Fernseher sitzen. Selbst bei den gelegentlich publizierten Jubelmeldungen („Vor RTL! Vor ZDF!“) und deutlich zweistelligen Marktanteilen sind es dann doch nur gerade mal ein paar tausend, die sich die lokalen Programme anschauen. Die Probleme, die daraus resultieren, sind hinlänglich bekannt.

Das alles wäre vermutlich dennoch der Förderung würdig, würde man damit echten und guten lokalen Journalismus fördern. Die Realität in den meisten Lokalprogrammen in Bayern sieht allerdings viel trostloser aus. Wirklich intensive Ausbildung und hohe journalistische Standards – Fehlanzeige. Wer ein Mikro richtig rum hält und die wichtigsten Kameraknöpfe bedienen kann findet sich oft schon nach wenigen Tagen im Programm wieder. Dass man nicht gerade die besten und kreativsten Köpfe der Branche im Team hat, liegt nicht mal daran, dass die Themen im Lokalen so öde wären. Stattdessen ist das schon reiner Selbsterhaltungstrieb: Bei vielen bayerischen Lokalsendern ist die Bezahlung derart schlecht, dass die Arbeit dort an Selbstausbeutung grenzt. Wer also die Möglichkeit hat, der ist schnell wieder weg und nutzt die Lokalsendern bestenfalls als Sprungbrett für einen größeren Sender.

Dementsprechend ist das Programm, über dessen „Qualität“ die BLM zu wachen hat. Wer sich abends durch die diversen Stationen zappt, sieht häufig adrette staatsferne, meist der CSU angehörende lokale Politiker, denen Fragen gestellt werden, zu deren Bewältigung man wirklich keinen Rhetorik-Kurs absolviert haben muss. Ab und zu gibt es Studiogäste oder kleine Talkrunden, bei denen Journalisten tatsächlich jedem Klischee des Stichwortgebers entsprechen. Der größte Reiz des Programms besteht für die meiste Zuschauer also weniger in irgendeiner originären Form von Journalismus oder Medien, sondern darin, dass man sich oder den Nachbarn auch mal im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört hat.

Das alles wird nach wie subventioniert, weil tatsächlich die allerwenigsten Lokalstationen überlebensfähig wären, würde man normale ökonomische Maßstäbe an sie anlegen. Und die Lage wird nicht leichter werden in Zeiten des Webs, wo man eine schwerfällige und nur wenige Stunden am Tag besetzte Station in dieser Form gar nicht mehr braucht, wenn man „in Bild und Ton“ über eine Region berichten will. Kurz gesagt, der bayerische Lokalfunk ist journalistisch überflüssig und als Geschäftsmodell ohnehin erledigt. Seine wichtigste Funktion ist in vielen Gegenden eine rein protektionistische: Zeitungsverlage wollen ihre Claims abgesteckt halten, damit kein Fremdanbieter in die Region kommt. Weswegen man ein Minimalangebot macht, das zwar formal den Kriterien der Medienaufsicht entspricht, allerdings keinerlei Beitrag zu einer echten Medienvielfalt leistet. Im Gegenteil – Medienvielfalt wird durch das aktuelle System eher behindert.

Das alles müsste man besprechen, wenn man es mit einer staatsfernen Medienaufsicht ernst meinte. Und wenn man denn wirklich wollte. Man darf allerdings viel darauf wetten, dass sich auch unter dem staatsfernen Staatsminister nicht sehr viel ändern wird.

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