Das NR und die Langschläfer

Die Laufbahn des Cem Özdemir war schon einmal fast am Ende angekommen.  Als vor einigen Jahren bekannt wurde, dass der Grünen-Politiker mit seinen dienstlich erflogenen Bonusmeilen Privatreisen unternahm, war das Geschrei in etwas so groß, als wenn Özdemir den Bundeskanzler niedergeschlagen hätte. Erst nach längerer Zeit im politischen Büßerhemd durfte er an ein Comeback denken — heute redet niemand mehr von den Bonusmeilen. Was daran liegen könnte, dass mit etwas Abstand betrachtet der Anlass zu nichtig war, als dass man einen Politiker für alle Ewigkeiten verbannen sollte. Und vielleicht gab es diese Aufrechnung damals auch, weil man sich, vorsichtig formuliert, bei einem Politiker etablierter Parteien weniger über einen solchen Vorgang gewundert hätte als bei einem Grünen. Wer die moralische Messlatte hoch legt, darf sich nicht wundern, wenn er als erstes an ihr gemessen wird.

Vermutlich ist auch das ein Grund, warum die Aufregung um die Vorgänge beim „Netzwerk Recherche“ in diesem Jahr ganz besonders groß war. Finanzielle Unsauberkeiten sind nirgendwo eine Sache, die mal eben weggesteckt wird. Aber beim „Netzwerk Recherche“, dem selbst ernannten „besten Journalistenverein Europas“, den Aufklärern, den Saubermänner, und ja, auch das: den Selbstdarstellern? Es mutete jedenfalls wie ein schlechter Witz an, dass ein Vorstand mit dem vielleicht profiliertesten Investigativjournalisten in seinen Reihen plötzlich eine Sache am Hals hatte, die zumindest ein bisschen müffelte.

Ein bisschen müffelig riecht auch eine Mail, die Interimschef Hans Leyendecker an seine Vorstandskollegen geschrieben har und die jetzt ausgerechnet in den Fängen der „Bild“ gelandet ist. Leyendecker schrieb am 5. August an seine Kollegen das Folgende:

„Die Staatsanwaltschaft hat einen AR-Vorgang (Vorermittlungsverfahren, die Red.) angelegt und wartet die Prüfung ab. Sie bekommt den Bericht aber nur dann, wenn sie Druck macht und mit Durchsuchungen droht. Vielleicht verschläft die Staatsanwaltschaft den Vorgang.“

Ist es denkbar, dass Leyendecker eine solche Mail geschrieben hat? Es ist nicht nur denkbar – es ist definitiv so. Ich habe Hans Leyendecker via Mail zu dem Thema zwei Fragen gestellt. Zum einen, ob diese in der „Bild“ zitierte Mail tatsächlich von ihm stammt. Und zum anderen, wie sich das mit der angekündigten Transparenz des NR in dieser Sache verträgt. Vorweg: Hans Leyendecker hat innerhalb von 30 Minuten geantwortet. Er schreibt u.a. folgendes:

„Die Mail habe ich so geschrieben, weil zu diesem Zeitpunkt bei der Staatsanwaltschaft noch kein Ermittlungsverfahren anhängig war und man hoffen durfte, dass gegen Leif nicht ermittelt wird. Ein AR-Vorgang ist die Prüfung, ob es einen Anfangsverdacht geben könnte. Gleichzeitig haben aber die von uns eingeschalteten Wirtschaftsprüfer auf unsere Bitte den Kontakt zur Wiesbadener Staatsanwaltschaft gehalten und die Unterlagen dann auch später, als ein Verfahren eingeleitet worden war, übergeben. Mit Verschleierung hat das gar nichts zu tun.“

Das zeigt sehr schön die Problematik in der Causa NR. Natürlich ist inhaltlich und formaljuristisch nichts gegen die Mail Leyendeckers einzuwenden. Sie belegt aber gleichzeitig, dass die Netzwerker, wenn es um die eigene Sache geht, dann eben doch nicht sehr viel anders handeln als diejenigen, denen sie in ihrem täglichen Job auf den Fersen sind. Herausgabe von Unterlagen nur bei Druck darauf hoffen, dass eine Staatsanwaltschaft vielleicht etwas verschläft — man würde gerne wissen, was NR-Mitglieder schreiben würden, würde ihnen ein Schriftverkehr — sagen wir — eines CDU-Parlamentariers ähnlichen Inhalts bekannt. Dein Einstieg beim „Spiegel“ beispielsweise könnte man sich schon richtig gut vorstellen.

Wie auch immer: Das NR hat in diesen Jahr viel von seinem wichtigsten Kapital verspielt. Wenn ein Verein, der sich Investigation und Recherche auf die Fahnen schreibt, in den Ruch von Unregelmäßigkeiten kommt, ist das schlimm genug. Wenn der Vorstand intern auch noch darauf hofft, dass die Staatsanwaltschaft etwas „verschlafen“ könnte — dann zeigt das, dass die Vorgänge um die Fördergelder intern bestenfalls nur als Betriebsunfall unter der Verantwortung von Thomas Leif gesehen werden. Dass das Problem möglicherweise eines der grundsätzlichen Haltung sein könnte, hat man sich beim NR noch nicht überlegt.

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Konstantin Neven DuMont

    So ist es. Danke für den Beitrag.

  2. Mark Krämer

    Ganz schön bösartig, so etwas zu schreiben.

    Muss man denn einen Mann wie Thomas Leif, der schon am Boden liegt (was gute Gründe hat, wenn man den Bericht der Wirtschaftsprüfer liest), auch noch ein Strafverfahren an den Hals wünschen? Und soll ein Verein, der Leif trotz aller Verfehlungen manches zu verdanken hat, ein solches Verfahren auch noch forcieren?

    Nach allem was ich beobachten konnte, hat das Netzwerk Recherche vorbildlich gehandelt. Es hat Leifs Schummeleien selbst öffentlich gemacht, das Prüfverfahren ebenfalls. Da kann man es doch wirklich der Staatsanwaltschaft überlassen, welche Infos sie heranziehen will.

    Ohnehin ist der Vorwurf völlig lächerlich: Der Bericht steht ja sogar auf der Webseite des Vereins.

    Aber interessant, wie manche „Medienmenschen“ auf einen von „Bild“ konstruierten Skandal hereinfallen.

  3. hans monitor

    Es ist ja das Recht von Angeschuldigten, zu Vorwürfen zu schweigen und evtl. belastende Materialien nicht selbst herausgeben zu müssen. Mit der Einleitung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mussten diese von Beginn an sich zumindest gegen den gesamten geschäftsführenden Vorstand richten, also auch gegen Hans Leyendecker als 2. Vorsitzenden. So gesehen ist seine Emailpassage erst recht verständlich und rechtens.

    Wenn man aber bedenkt, dass es sich beim Netzwerk Recherche um eine Vereinigung investigativer Journalisten handelt und dass die Wirtschaftsprüfer niemals freiwillig etwas gegen den Willen ihrer Auftragsgeber, des Netzwerks an die Staatsanwaltschaft herausgeben durften, beginnt die Sache doch gehörig zu müffeln. Die Wirtschaftsprüfer sollten Kontakt zur Staatsanwaltschaft halten und evtl. erfahren, was diese schon weiß. Ihr Gutachten herausgeben aber nur, wenn die Staatsanwaltschaft mit Hausdurchsuchung droht. Davor musste die Staatsanwaltschaft ja gehörig zurückschrecken, da die Abrechnungsfehler eingeräumt und der mögliche Schaden bereits zurückgezahlt war. Sollte sie sich dem Vorwurf aussetzen, mit einer Hausdurchsuchung zu überziehen und an andere brisante investigative Materialien und Informaten herankommen zu wollen, evtl. durch schusselige Fehler, die immer geschehen können?

    Erweist sich Hans Leyendeckers transparente Antwort nach schon 30 Minuten nicht als flinke Heuchelei? Wollte Hans Leyendecker, der die Probleme der Staatsanwaltschaft mit Journalisten besser kennt, als wohl jeder andere, die priviligierte Situation, die Journalisten genießen um investigative Recherchen und Informanten zu schützen , nicht dafür nutzen, Täterverhalten zu schützen, dass er unwidersprochen laut meedia als kriminell und vorsätzlich bezeichnet und das wahrscheinlich auch ihm vorgeworfen werden muss, wie Prof. Hallers Brief an den nr Vorstand zeigt?

  4. Jörg

    Es kommt noch besser: Leyendecker hat – so lässt Bild vermuten – ein Kohl’sches Rechtsverständnis:

    Bild: „Schon bei der Vereinsgründung vor zehn Jahren gab es dubiose Vorgänge um die Finanzen. Leyendecker bot an, eine Million Mark als Spende von einem geheimen Freund aus den USA zu besorgen.
    Er habe, so geht es aus den internen Protokollen des Vereins hervor, dem potenziellen Spender per Ehrenwort versprechen müssen, dessen Namen nicht zu nennen.“

    Ehrenwort? Geheimer Spender? Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

  5. Bernd Stuhlfelner

    Wenn Hans Leyendecker die zitierte Mail im tatsächlichen Sinne gemeint hat, wäre es für den Enthüllungsjournalisten, der zudem immer recht moralisch agiert, peinlich bis skandalös. Kann aber sein (vermute ich), dass es blanke Ironie sein soll.

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