Verlage stecken im Appgraben

Als ich vor etlichen Jahren mal beim ZDF gearbeitet habe, ist man dort auf eine interessante Idee gekommen: Weil das junge Publikum den Sender allem Anschein nach nur noch mäßig spannend fand, besorgte man sich eine Sendung, die genau für dieses junge Publikum gemacht war. Besser noch: Sie war sogar schon im Praxistest durchaus erfolgreich gelaufen, man hatte es also mit einem Format zu tun, von dem man wusste, das es funktioniert. Die Sendung hieß „Bravo TV“ und als sie dann, frisch von RTL 2 weggekauft, im ZDF lief, passierte erstaunliches: Niemand wollte sie mehr sehen, die Quoten waren wenigstens desaströs. Das ist erst einmal schwer zu begreifen, weil man ja meinen könnte, dass es völlig egal ist, wo eine Sendung läuft. Ist es aber nicht. Man kann daraus schließen, dass ein Umfeld für ein Format mindestens ebenso wichtig ist wie das eigentliche Format selbst. Wenn es nicht gerade ein Finale der Fußball-WM ist, das würde wahrscheinlich sogar noch im Passauer Lokalfernsehen enorme Quoten erzielen.

Vermutlich müssen sich die Verantwortlichen der Digitalstrategien bei den deutschen Zeitungsverlagen ein bisschen vorkommen wie die damaligen Programmreformer im ZDF, wenn sie die Ergebnisse einer Studie sehen, die der BDZV jetzt in Auftrag gegeben hat und die sich mit den Wünschen und Ansprüchen von Zeitungslesern an Apps einer Tageszeitung beschäftigt. Kurz gesagt: Die Schere zwischen dem, was der Mensch im durchschnittlichen Tageszeitungsalter gerne hätte und den Wünschen eines jüngeren Publikums klaffen enorm auseinander. Und nicht nur das: Auch die Bewertungen der bisher existierenden Apps unterscheiden sich enorm.  Die Bewertungen der App-User im Alter bis 30 sind in allen Kategorien spürbar schlechter als die der Menschen im klassischen Tageszeitungsalter (also irgendwas um die 50).

Das macht das Leben für die Digitalstrategen in den Häusern kaum einfacher, im Gegenteil: Man gerät in eine klassische Zwickmühle, die man vermutlich schon von diversen Modernisierungsversuchen der gedruckten Blätter kennt. Das angestammte und etwas ältere Publikum goutiert Veränderungen in sehr wenigen Fällen und hätte es am liebsten, wenn einfach alles so bleibt, wie es ist. Ein junges, netzaffines Publikum wird man hingegen nicht mal mit spürbaren Relaunches für sich gewinnen können, weil der Graben zwischen analoger, betulicher Zeitungswelt und dem schnellen, anarchischen und und sich stets in Bewegung befindlichen Netz schlichtweg zu groß ist. Dazu kommt eine Frage des Umfelds und auch der digitalen credibility: Kann die durchschnittliche Zeitungsredaktion überhaupt Internet und Tablet? Und selbst wenn: Würde ein junges Publikum ihr das abnehmen — oder würde es nicht schlichtweg ähnlich reagieren wie das damalige BravoTV-Publikm, das nicht mal im Ansatz auf die Idee kam, ZDF zu schauen, nur weil dort jetzt einmal die Woche ein Jugendlichkeitsversuch läuft? Auf der anderen Seite: Welchen Sinn macht es, Apps zu bauen, von denen jetzt schon klar ist, dass sie den Anforderungen des künftigen potentiellen Publikums eher nicht genügen?

Beim ZDF haben sie übrigens den eigenartigen Bravo-TV-Versuch schnell wieder abgebrochen. Das Durchschnittsalter der ZDF-Zuschauer liegt inzwischen bei 61.

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