Hurra, wir kleben noch

Der Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“, Joachim Braun, hat einen ziemlich bemerkenswerten Blogeintrag geschrieben. Momentan hat er es auf weit über 200 Likes gebracht und wie oft er in meiner Facebook-Timeline aufgetaucht ist, konnte ich beinahe nicht mehr zählen. Der Tenor bei den allermeisten war: Hurra, endlich sagt´s mal einer. Weil ich finde, dass Braun zwar recht hat, ungewollt aber ein Dilemma aufzeigt und weil er mich freundlicherweise im Text auch erwähnte (als jemanden, der einmal die Woche die Zeitungsbranche kaputtschreibt) und meine Anmerkungen für einen Kommentar in seinem Blog eindeutig zu lang wären, kommen jetzt hier ein paar Sätze. Ein Hinweis zuvor, damit das nicht auf eine persönliche Ebene gerät: Ich schätze Joachim Braun, ich halte vieles von dem, was er tut, für sehr richtig und durchaus bemerkenswert. Der gleichen Meinung sind wir trotzdem nicht immer, aber das tut keinem von uns beiden wirklich weh.

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Klingt toll, lieber Joachim Braun, was Sie da schreiben. Wirklich, ganz ohne meinen kaputtschreiberischen Zynismus, der Sie und manche Ihrer Kollegen manchmal etwas aufregt. Darüber könnte man sich nicht mal streiten, weil das, was da steht, tatsächlich alternativlos ist. Ja, Zeitungen sollten weg vom System der gedruckten Tagesschau. Und natürlich wäre weniger Terminjournalismus eine ganz wunderbare Idee, wenngleich, wenn ich das mal anmerken darf, schon zu meinen Volozeiten viel darüber geredet wurde, man müsste man weniger Termine und dafür viel mehr eigene Geschichten machen. Notabene: Mein Volontariat war 1986.

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Es sind deswegen ein paar andere Sachen, die mich an diesem Text stören und weswegen ich ihn zwar für diskutabel halte, ihn aber demonstrativ nicht gelikt habe (war bei über 200 anderen ja auch nicht zwingend nötig). Zum einen: Ich kenne kaum eine Branche, die sich so resistent gegen Veränderungen zeigt wie die der Tageszeitungen. Ich glaube übrigens auch, dass man es sich viel zu einfach macht, wenn man auf die bösen Verleger eindrischt. Ein bisschen Innovation und ein bisschen Wille müsste auch von uns Journalisten mal kommen. Und genau daran habe ich in vielen Zeitungsredaktionen meine Zweifel; Sie dürfen mich jetzt auch gerne zur öffentlichen Steinigung wegen Nestbeschmutzung ausschreiben. Aber am besten erzähle ich Ihnen mal eine kurze Geschichte, die bewusst ohne Ort und Namen ist. Weil ich glaube, dass sie in sehr vielen (Lokal-)Redaktionen spielen könnte.

Morgens um 10, irgendwo in Deutschland: Die kleine Redaktionsmannschaft einer irgendwie mittelgroßen und auch nicht weiter wichtigen Stadt versammelt sich mittelmotiviert zu ihrer Redaktionskoferenz am Morgen. Aber was heißt schon Konferenz? Der Lokalchef ist irgendwie da und auch wieder nicht, der Rest der Truppe legt den Grundstein dafür, dass das morgige Blatt so aussieht wie an vielen anderen Tagen auch. Was sagt der Terminkalender (ganz wichtig)? Hat jemand ne Idee für eine gute Geschichte? Nein? Blödes Sommerloch aber auch. Aber halt, man kann ja dem neuen Praktikanten ein paar Sommerlochgeschichten geben. Ich weiß ja nicht, wie viele Serien und andere lustigen Sachen ich in diesem Sommer schon in den diversen Lokalteilen gesehen habe, aber den Eindruck, dass ich die alle vor 25 Jahren auch schon mal gemacht habe, den werde ich nicht los. Die schönsten Gärten der Stadt, die lustigsten Berufe, die besten Badeseen, wie Menschen aus der Stadt ihre Ferien zuhause verbringen.

In einer Redaktion, das nebenher eingeflochten, hatten sie die überaus originelle Idee, einen Reporter an irgendwelche Stellen der Stadt zu schicken, damit er dort 30 Minuten verbringt, um dann zu schildern, was genau in diesen 30 Minuten passiert ist. Die Redaktionen kündigte das als „spannendes Konzept“ an, das viele journalistische Freiheiten in sich berge. In den 30 Minuten ist dann beispielsweise am Zentralen Omnibusbahnhof nicht sehr viel mehr passiert, als dass Busse angekommen und wieder abgefahren sind. Spannend war das nur mäßig und die journalistischen Freiheiten sind so groß übrigens gar nicht, wenn man sich ein Thema aussucht, bei dem im Wesentlichen nichts passiert. (Eine gnadenlos gute Satire auf diesen Text finden Sie übrigens hier, ich habe beim Lesen ehrlich fast in die Hose gemacht.) Kurzum, wenn Sie die Kollegen fragen, ob Sie spannende und gute Geschichten schreiben, werden Sie vermutlich aus vollem Herzen mit ja antworten.

Aber bleiben wir noch ein bisschen in unserer Musterredaktion, in der jetzt die Termine soweit verteilt sind, dass sich der Chef dann mal zum Mittagessen aufmachen kann, es ist ja doch schon 11.30 Uhr nach so einer Konferenz. Volos und Praktikanten recherchieren derweil die Sommerlochgeschichten und der erfahrenste Redakteur darf zum Pressegespräch mit dem Bürgermeister, was ihm alleine schon deshalb zusteht, weil er eben der erfahrenste ist. Der Bürgermeister und der Dienstälteste gehen dann noch gemeinsam zum Mittagessen, weswegen die Redaktion irgendwann leer ist, weil die Sekretärin um Punkt 12 mittag macht und die Volos und Praktikanten auf dem Weg sind zu Friedhofsgärtnern und Bademeistern und dem rüstigen 88jährigen, der nebenbei alte Schneckenhäuser sammelt, was irgendwie irre lustig ist und den schönen Nebeneffekt hat, dass man auf dem Rückweg noch den Nachbarn abarbeiten kann, der heute seinen 85. Geburtstag feiert, wo auch der Bürgermeister gratuliert, der wiederum ohnehin in Begleitung des erfahrensten Redakteurs ist.

Der Chef ist inzwischen verschwunden, weil er das große Sommerinterview mit dem Bürgermeister vorbereiten muss, was wiederum das Privileg  des Chefs ist, da kann der erfahrenste Redakteur 100 Jahre alt sein, das ist Chefsache. Am Nachmittag kommt der Chef dann wieder rein und schaut auf die Texte der Volos und Praktikanten und findet nach angestrengtem Redigieren zwei Kommafehler und eine grammatikalische Unebenheit. Dann muss er aber auch schon wieder weg, der Chef, weil am Abend ist er noch in der Jury des Sparkassenkinderbildermalwettbewerbs. Für den nächsten Morgen hat man aber schon eine Idee, in irgendeinem Badeteich ist ein Krokodil gesichtet worden, vielleicht war es auch nur eine unförmige Ente, aber das ist egal, weil am nächsten Wochenende ist dann das Stadtfest, bei dem es weniger auf das Programm ankommt, als auf die Ansprache des Bürgermeisters, der der Redaktion extra schon ein Grußwort zukommen hat lassen, das am Samstag ungekürzt in der Zeitung steht.

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Pure Fantasie, sagen Sie? Maßlos überzogen, mal wieder typisch für diesen Schwarzseher? Leider nein, lieber Joachim Braun und liebe Kollegen. Das sind leider alles echte Schilderungen, zugegeben, ein paar nette Ansätze weggelassen. Aber ansonsten? Ich sehe leider nichts, aber auch gar nichts davon, dass die durchschnittliche Regionalzeitungsredaktion ihre Leser liebt, in Social Media eine Chance und nicht eher eine Belastung vermutet oder gar den Terminjornalismus wirklich ernsthaft abschaffen will. Die Redaktion, die ihre Quellen transparent offen legt oder womöglich sogar einen Fehler korrigiert, ist aus meiner Sicht eher die Ausnahme. Natürlich ist mir schon klar, dass ich Sie wegen grundsätzlich richtiger Forderungen kaum kritisieren kann.  Aber wir beide sind ein Jahrgang meines Wissens – und dann mal ehrlich: Haben wir diese Debatten nicht schon seit Jahrzehnten? Hat uns eigentlich irgendjemand verboten oder daran gehindert, den Leser ein bisschen zu mögen und ab und an ernstzunehmen? Wer zwingt eigentlich eine defacto-Monopolzeitung dazu, diesen ganzen Terminquatsch zu machen? Unsere Leser doch ganz bestimmt nicht. Kurzum also: Man hätte das, was Sie richtigerweise (aber eben keineswegs als erster) fordern, schon lange machen können, wenn man denn gewollt hätte. Die meisten Lokalredaktionen waren doch über viele Jahre in der komfortablen Situation des Monopolisten, dessen Leserschaft sich zu 95 Prozent aus treuen Abonnenten bestand, die erst dann abbestellten, als sie selbst auch abbestellt wurden. Deswegen ärgert mich auch dieses Gerede vom bösen Internet so. Es gab jahrzehntelang Zeit und jetzt, wo es einfach Druck durch andere, digitale Kanäle gibt, reagiert ihr wie ein Ertrinkender, der zur Strafe erst mal das böse Wasser schlägt. Kurzum, nein, ganz ehrlich: Ich glaube nicht an die Reformfähigkeit von vielen Kollegen.

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Und weil wir gerade beim Netz und bei Social Media sind: Ich kenne wirklich kaum einen Chefredakteur, der mir nicht schon mal erzählt hätte, wie toll seine Truppe im Netz und in den sozialen Netzen aufgestellt sei. Um ehrlich zu sein: In vielen Fällen handelt es sich dabei um eine extrem eigenartige Selbstwahrnehmung. Ich kenne eher die Varianten, in denen 100 Printredakteuren drei oder vier Onliner gegenüberstehen, man aber trotzdem der Meinung ist, man mache da ja jetzt schon eine ganze Menge im Netz, zumal man auch eine Facebookseite hat. Die Screenshots vieler solcher trostloser Auftritte erspare ich Ihnen, weil ich davon ausgehe, dass Sie sie kennen. Und ich kenne leider außer Ihnen jetzt auch nicht allzuviele Chefredakteure, die ein engagiertes Blog schreiben. Nehmen Sie es ruhig als Kompliment für sich, ein Ruhmesblatt für Ihre Kollegen ist das trotzdem nicht. Ja, natürlich gibt es sie, diese Ausnahmen, die klugen Köpfe, die gut gemachten Projekte in den Redaktionen. Aber es sind dann doch eben Ausnahmen, die Regel….nun ja, ist oben.

Vielleicht, ja vielleicht täusche ich mich ja auch. Wollen wir mal darüber reden, Sie, ein paar aufgeschlossene Kollegen und ich? So halböffentlich, mit der Perspektive daraus mal was zu entwickeln? Wenn mich nämlich etwas wirklich nervt, dann die Tatsache, dass über die Zukunft des (Lokal-)Journalismus seit Jahrzehnten öffentlich debattiert wird, die Kritiker gerne als Nestbeschmutzer gelten und dass das vermutlich auch noch in 20 Jahren so ist. Angebot steht – ich freu mich, von Ihnen zu hören.

 

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Joachim Braun

    Lieber Christian,
    Ich geh jetzt mal aufs Du über, danke für Deinen Post. Ich finde mich darin wieder, auch in all dem Problematischen, was Du schreibst. Aber Antworten werde ich Dir erst morgen, denn jetzt bin ich nach vielen Redaktions-Debatten, mal gut mal blöde, einfach nur müde!

  2. Markus Hündgen

    Tageszeitungen sind egal. Mir. Meiner Familie. Freunden. Anderen Medien. Der Wirtschaft. Vereinen. Nur eben den Tageszeitungen nicht. Das ist das größte Problem.

  3. > „reagiert ihr wie ein Ertrinkender, der zur Strafe erst mal das böse Wasser schlägt“

    Ich empfehle (ernsthaft) zum Thema ‚Ertrinken‘: http://www.nordsee24.de/nordsee-urlaub/familienurlaub/ratgeber/anzeichen-des-ertrinkens

    „Denn entgegen der Annahme, dass ertrinkende Personen durch lautes Geschrei und Gewinke auf sich aufmerksam machen wollen, passiert genau das Gegenteil: Ertrinken sieht nicht nach Ertrinken aus! Kein panisches Gestrampel, keine Schreie.“

    Und nach dem ganzen Artikel kann man sich immer noch über die Parallelen wundern 🙂

  4. Ingo

    Ja, es ist wirklich wahr. Die Lokal-Zeitungen ändern sich wirklich nicht und es war auch schon früher nicht besser. Ich habe als freier Mitarbeiter in den 90er-Jahren im Rheinland in einer Kleinstadt mit dem Schreiben begonnen. Dort gab es neben drei „Käseblättern“ die Lokal-Redaktionen von drei Tageszeitungen (Rheinische Post, Neue Rhein Zeitung und die Westdeutsche Zeitung). Und wie unterschied sich nun die Berichterstattung zwischen all den Blättern? Gar nicht! Es wurde Termin-Journalismus vom feinsten betrieben. Auf jedem Termin (und ich war auf vielen Terminen, vor allem nachdem ich mich vom Schreiben auf Fotografieren verlegt hatte) waren immer die gleichen Redakteure und Mitarbeiter der gleichen Zeitungen. Wohl aus Angst, dass man eben nicht die eine Scheckübergabe am nächsten Morgen im Blatt hat, den doch die gesamte Konkurrenz eben hat, wurde Tag ein Tag aus der gleiche Terminkalender abgearbeitet. Und es war wirklich egal, für welche Redaktion ich tätig war: Ich wusste nach ein paar Jahren mit schlafwandlerischer Gewissheit, welche Termine vom Wochenende am folgenden Montag in fast deckungsgleicher Berichterstattung mit fast den gleichen Fotos in den verschiedenen Zeitungen erscheinen würden. Die Artikel mögen sich ein wenig zwischen den verschiedenen Zeitungen unterschieden haben, die Bilder taten es jedoch sehr selten. Ein Beispiel gefällig: das alljährliche Sommerfest am Feuerwehrhaus der Löschgruppe eines Ortsteiles meiner Kleinstadt fand jedes Jahr statt und mit immer dem gleichen Programm. Und wir Fotografen? Nun ja, wir machten auch jedes Jahr die gleichen Fotos. Und immer unterschieden sich Fotos nur geringfügig in der Perspektive, da der eine Kollege einen Meter weiter rechts als der andere Kollege stand. Man hätte auch jedes Jahr die Fotos aus dem Vorjahr abdrucken können. Das hätte außer einer Minderheit der Leser kaum einer bemerkt. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass es nicht ein Redakteur bemerkt hätte, wenn ich ihm ein Vorjahres-Bild untergeschoben hätte. Und das auch wieder ausnahmslos über alle Redaktionen hinweg.
    Worin unterschieden sich denn dann die Zeitungen bzw. was war denn das Unterscheidungskriterium für die Leser, die eine statt der anderen Zeitung zu abonnieren? Eigentlich gab es nur Unterschiede in der politischen Ausrichtung der Blätter, was sich aber nur selten und dann auch nur in den Kommentaren der (Chef-) Redakteure niederschlug…
    Und mein Fazit heute: Ich bin irgendwie froh, dass ich heute nicht mehr für Zeitungen arbeite bzw. arbeiten muss und ich nach meinem Studium dieses, zugegebenermaßen auch recht schöne, Kapitel beenden konnte. Umso mehr reibe ich mir aber immer noch die Augen wenn ich tatsächlich mal ein Lokal-Blatt kaufe und ich sehen muss, wie schlecht diese (immer noch) sind. Und hier in Köln ist die Qualität auch nicht besser als auf dem Land…

  5. Joachim Braun

    Lieber CJ,

    es ist wieder etwas später geworden. Ich musste heute wieder wichtig sein. Du weißt schon, kurze Telefonkonferenz mit der OB, um zu erfahren, was steht an. Ein Mittagessen mit dem Sparkassen-Vorstand, der mir eine neue, ultracoole Aktion empfahl und dazu ein paar Anzeigen ankündigte, später dann das Interview mit dem IHK-Präsidenten (der will ja mit niemandem anderen reden, weil ich so kompetent bin). Ich war so beschäftigt, dass ich nicht einmal die Praktikantentexte redigieren konnte, obwohl ich in der Konferenz die glorreiche Idee hatte, dass die die bahnbrechende Vorort-Recherche machen konnten, wohin reisen die Bayreuther in diesem Sommer, und – aufgemerkt – warum sind eigentlich die Teiche im Hofgarten so (algen-)grün, obwohl es so regnet. Enttäuschend nur, dass die OB zu ihrem 100. Tag im Amt eine Pressekonferenz machen möchte, statt ein Interview mit mir. Das sei nicht rationell, sagte sie.

    Ja CJ, Du hast sicherlich Recht mit Deiner Beschreibung eines Tagesablaufs in einer typischen Lokal-/Regionalredaktion, obwohl meine Arbeit tatsächlich völlig anders abgelaufen ist als hier dargestellt. Aber auch ich muss mich täglich damit auseinandersetzen, dass der angedachte andere Dreh für die Gemeinderatssitzung doch nicht so ins Blatt kommt, weil der freie Mitarbeiter oder auch der Redakteur gar nicht bereit oder – schlimmer noch – in der Lage sind, eine Geschichte vom Leser aus zu betrachten. Denn es bringt viel mehr Lob, wenn man dem Vereinsvorsitzenden oder dem Bürgermeister den Bauch pinselt. Und dass wir heute einen Text über den geplanten Bau einer Kinderkrippe im Blatt hatten, der vor zwei Jahren schon einmal erschienen war, weil eine Mitarbeiterin den falschen Mailanhang schickte und die Redakteurin aus welchem Grund auch immer nicht hingeschaut hatte oder nicht wusste, dass der Text alt ist, obwohl die Kinderkrippe voriges Jahr in Betrieb genommen wurde – so etwas darf man eigentlich gar nicht schreiben, weil es so peinlich ist (Aber wir korrigieren es in der morgigen Ausgabe!).

    Aber CJ, das ist Realität und nicht nur bei uns in Bayreuth. Und deshalb hast Du Recht. Aber das muss sich ändern. Und dafür kämpfe ich, egal wie dick die Bretter sind.

    Zum Mittagessen habe ich mir heute – ausnahmsweise und obwohl ich mir das gewichtsmäßig nicht leisten kann – einen Döner besorgt (selbst bezahlt!). Und unser Anzeigenmensch hat der Sparkasse heute gesagt, dass wir das alljährliche Börsenspiel nicht als Premiumpartner in der Zeitung begleiten werden, sondern dass wir dem Geldinstitut eine – bezahlte und von uns betreute – Website einrichten können. Die OB will tatsächlich eine Pressekonferenz, aber ich habe ihr klar gemacht, dass meine Fragen so fies sein werden, dass sie die Antworten nicht in allen örtlichen Medien lesen möchte. Nun bekomme ich mein Interview. Und ich war den ganzen Tag in der Redaktion und habe hier und dort eingegriffen, um den tradierten Quatsch, den außer den Großkopferten keiner lesen will, nicht morgen im Blatt zu haben.

    Außerdem habe ich mich mit einem halben Dutzend wütenden Lesern auseinandergesetzt, die mir mitgeteilt haben, dass sie die Zeitung abbestellen, wenn wir den Bericht über die Schützenkönigin nicht in der Tageszeitung bringen, sondern in der vorigen Herbst eingeführten wöchentlichen Beilage „Mein Verein“. Und einem wichtigen Verlagsmenschen habe ich klar gesagt, dass auch der Rotary-Club in die Vereinsbeilage kommt und nicht die Tageszeitung.

    Das alles tue ich (mit voller Unterstützung eines klar denkenden, vorausschauenden Geschäftsführers), und trotzdem entspricht der Nordbayerische Kurier bis heute nur in Ansätzen meinen Vorstellungen von Tageszeitung, oder gar dem, was ich in meinem Blog beschrieben habe. Aber wenn ich nicht anfange, die Dinge zu verändern, dann gehen wir demnächst unter (und ich mit). Das ist es, was ich sagen will.

    Ich habe das Internet nie als Gefahr angesehen, sondern immer als Chance. Zweifellos war mir bis vor kurzem nicht klar, wie schnell Print untergeht. Unsere Werbeerlöse dort liegen bis heute unter der Prozentgröße, obwohl wir inzwischen in unserer mit 35.000 Auflage wirklich kleinen Zeitung eine Kollegin haben, die sich ausschließlich um den Bereich Social Media kümmert (und dies sehr gut macht, wie ich finde). Aber auch sie leidet darunter, dass die meisten Print-sozialisierten Kollegen das Internet bis heute als Abfalleimer ansehen.

    Und richtig, über den Abschied vom Terminjournalismus reden wir seit – naja – bestimmt 20 Jahren. Aber erst jetzt, wo die Not größer wird, fangen die Kollegen an, das Thema ernst zu nehmen. Diese Leute sind die Regel, und sie sind allesamt vergleichsweise gut bezahlt, haben einen Beamtenstatus und sind schwer zum Umdenken zu bewegen.

    Ja CJ, wir sind ein Jahrgang (1965), volontiert habe ich 1985/86, und irgendwie bin ich schon richtig alt. Ja CJ, es ist schwer, tradierte Strukturen zu ändern und den Kollegen in den Redaktionen klar zu machen, dass es keine Bedeutung hat, wenn ihnen die Tennisfreunde auf die Schulter klopfen und ihnen sagen: Super Artikel – weil die Kollegen die Nachwuchsarbeit im eigenen Club gelobt haben. Ja CJ, solange Lokalzeitungen noch anständige Renditen haben, ist es auch intern schwierig, den Wandel zu verkaufen, zumal wenn die vormaligen Profiteure des Terminjournalismus‘, die örtlichen Würdenträger, alle Hebel in Bewegung setzen, um den blöden Chefredakteur zu diskreditieren (http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/2012/05/04/von-schlechten-verlierern/). Und jetzt demontiert der Kerl auch noch die Ortsheilige (http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/thema_wagner_interview_voll_daneben).

    Aber irgendwann müssen wir anfangen. Und das tue ich, und ich meine es ernst. Und ich habe nichts gegen Dein Zeitungsbashing, aber es bringt zumindest die Veränderungswilligen nicht weiter, solange es nicht konstruktiv ist.

    Lass uns einfach mal treffen und reden (Berthold Flöper hat Dir dies ja neulich auf Facebook angeboten). Ich wüsste genug Zeitungskollegen, die jedes Wort hier unterschreiben würden. Es geht um den richtigen Weg, die richtigen Themen zu finden, um professionellen Journalismus zukunftsfähig zu machen. Dafür zu kämpfen lohnt sich. Davon bin ich überzeugt.

    Und vorher gibt’s noch ein „Like“.

  6. Anton Sahlender

    Viele Worte um ein Nichts irgendwo in D… Und doch erneut zu wenig, um darüber wieder eine Branche generell abzuurteilen. Es gibt wahrhaftig Kritik zu üben, aber dieses dünne Geschichtchen taugt nicht für weit reichende Schlussfolgerungen. Es hilft nicht weiter, wirkt arg konstruiert. Da erbaue ich mich lieber an Realitäten wie ich sie kenne und dazu gehört auch die von Joachim Braun.
    Ich gebe nicht auf, Anton Sahlender

  7. Oliver Gschwender

    Ich glaub die beschriebene Krise liegt weniger in der Art oder der Thematik der Berichterstattung. Viele Leserinnen und Leser erwarten ja gerade die Berichte und Fotos über den eigenen Verein, die Kindergarteneinweihung oder die Sportergebnisse im Lokalteil. Diese Klientel schrumpft aber zunehmend, was ja Vereine, Verbände oder politische Parteien ebenfalls zu spüren bekommen und deshalb an Überalterung und Nachwuchsmangel leiden. Der Kreis der Leser, die sich für solche Themen interessieren wird also kleiner und gleichzeitig gibt es mit den kostenlosen Anzeigenblättchen, die teilweise von denselben Verlagen herausgegeben werden wie die Zeitung selbst, noch wachsende Konkurrenz auf dem schwächelnden Anzeigenmarkt. Das Internet mit seinen Online Portalen für Immobilien, Autos und Partnerbörsen, sowie eigenen Vereinsseiten mit Bildergalerien und den sozialen Netzwerken sorgt außerdem für zahlreiche meistens sogar kostenlose oder zumindest sehr kostengünstige Alternativen in diesem lokalen Informationsmarkt. Ihre Zielgruppe schrumpft und gleichzeitig wildern immer mehr Alternativanbieter im Anzeigengeschäft. Daran wird eine andere Art zu Schreiben und den Terminjournalismus täglich aufs Neue zu verfluchen grundsätzlich nichts ändern. Was wir da beobachten ist primär keine inhaltliche Krise des Lokaljournalismus, sondern das Geschäftsmodells das diesen bisher getragen hat, bricht zunehmend zusammen, weil die Bereitschaft für lokale Nachrichten bzw. Anzeigen zu bezahlen weiter sinkt. Die Antwort, dann müssen halt die Nachrichten besser und interessanter werden, erscheint mir nicht die Lösung. Es braucht ein alternatives Geschäftsmodell mit dem die notwendigen Einnahmen erzielt werden, um zumindest das bisherige Niveau zu erhalten. Der Verlust von Lesern und von Einnahmen im Anzeigengeschäft lässt sich bestenfalls bremsen. Aufhalten lässt er sich aber nicht. Die Schrumpfkur wird also weitergehen, es sei denn es finden sich rasch neue Wege mit Lokaljournalismus Geld zu verdienen. Das erscheint mir die eigentlich interessante Debatte.

  8. S. Michael Westerholz

    Es stimmt, dass sehr viele Tageszeitungen sich nicht ändern. Einige „retten“ sich in seitenlange Interviews, die garantiert nur die Beteiligten und vielleicht noch einige der Personen in ihrem Umfeld lesen (müssen?!). Eine brachte gestern den achten oder neunten Großbeitrag über einen kriminellen Pfarrer, dessen Pfarrangehörige gleichwohl zu ihm stehen; eigentlich müsste man verzweifeln oder den rund 1500 folgen, die seit langem im Jahresdurchschnitt das Abo kündigen. Aber mal ganz naiv gefragt: Worin unterscheidet sich der cj-Beitrag vom altbackenen Inhalt vieler Tageszeitungen? Aus meiner Sicht gibt es keinen Unterschied: Auch cj walzt. Und er wiederholt fast wörtlich oder variiert bestenfalls, was er seit Jahren schreibt: Dass er die meisten Tageszeitungen nicht mag, eine bestimmte überhaupt nicht, dass er weiß, wo´s langgeht und dass sowieso alles sonstwas ist. Obwohl also cj auch ganz anders kann, wie er oft beweist, steckt doch auch in ihm offenbar jener Automatismus, der nicht nur Lokalschreiber unmittelbar nach dem Ausbildungsabschluss und der (heute überaus seltenen) Übernahme zu erfassen scheint: Wir können´s, wir brauchen keine regelmäßige Fortbildung, wir haben´s schon immer so gemacht! Das sind die Mitarbeiter, die niemals wirkliche Journalisten werden und überhaupt nicht fassen können, dass ihre gewohnte Redaktionswelt untergeht. Und sie und ihre gesellschaftliche und soziale Zukunft mit ihrem Blatt.

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