Das Alter! Ich bin kein Snapchatter!

Woran ich merke, allmählich alt zu werden? Ich brauche eine Lesebrille, höre zunehmend schlechter – und ich bin nicht bei Snapchat…

 

Es gibt ja so ein paar Dinge in jeder Szene, die ungeschriebene Gesetze sind. Was man anzieht, was man liest oder hat und was man so macht oder wo man sich trifft. In der digitalen Filter Bubble gibt es jedes Jahr so ein, zwei Dinge, die der neue heiße Scheiß sind. Und weil ein untrennbarer Bestandteil dieser digitalen Filter Bubble unbestreitbar auch eine Neigung zum Exhibitionismus ist, führt man diesen heißen Scheiß dann gerne ein bisschen spazieren. Was mich manchmal an  russische Society Ladys erinnert, die erst sauteuer einkaufen waren und dann den ganzen Klunker irgendwo spazieren tragen, auf dass ihn jeder sehen möge.

Und wie das so ist mit dem Gruppenzwang: Natürlich war ich brav immer mit dabei, habe mich in Netzwerken angemeldet, deren Sinn ich nicht verstanden habe, fand es cool, Einladungen zu bekommen für angesagten heißen Scheiß, obwohl ich es kaum hinbekommen habe, meine anderen digitalen Präsenzen mit halbwegs sinnvollen Inhalten am Leben zu halten.

Letztes Jahr beispielsweise habe ich gleich drei Einladungen für diesen neuen Facebook-Killer bekommen, dessen Name ich leider schon wieder vergessen habe, wo sich aber mal für ein paar Wochen alle angesagten Digital-Leute getroffen haben, um sich dort dasselbe zu erzählen wie bei Facebook. Während sie bei Facebook fleißig posteten, man solle doch rüber kommen zum Facebook-Killer, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe.

Nach ein paar Wochen herrschte übrigens drüben beim Facebook-Killer eine noch größere Ödnis als bei Google +. Und das will echt was heißen.

Jetzt also Snapchat. Es war wie immer in der Digital-Bubble. Auf einmal tauchten irgendwelche Profilbilder auf, die nach Snapchat aussahen. Diejenigen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie heißen Scheiß schnell als heißen Scheiß erkennen und danach erklären, warum das jetzt gerade wirklich heißer Scheiß ist, waren sofort drüben und irgendwie habe ich nur noch auf einen solchen Satz gewartet: Twitter? Das ist so 2013.

Ich hab´s trotzdem nicht mehr übers Herz gebracht, mich auch dorthin zu schleppen, auch wenn mich dabei jetzt endgültig als nicht mehr zugehörig zur Heiße-Scheiß-Blase oute. Vermutlich war der Blick in den Spiegel schuld, der mir eindeutig signalisierte, dass ich mich nicht in einem Netzwerk rumtreiben sollte, das meine 16- und 13jährigen Töchter gerade echt geil finden. Und zugegeben, ich habe auch festgestellt, erste Ansätze einer gewissen Müdigkeit zu verspüren, noch einen Kanal mehr aufzumachen, auf dem ich den verehrten Freunden und Lesern in etwa dasselbe erzähle wie bei Facebook, Twitter, Periscope, Google oder sonstwo – nur eben angepasster, hipper und hochformatiger.

Wir brauchen die Tagesschau in 10 Sekunden!

Aber natürlich müssen wir jetzt alle als Journalisten drüber nachdenken: Wie erzähle ich Journalismus snapchat-gerecht? Wie formuliere ich Nachrichten, die sich nach 10 Sekunden wieder in Luft auflösen? Und ist Hochformat nicht irgendwo das neue Querformat? Wir brauchen die Tagesschau in 10 Sekunden und Journalisten, die sich endlich mal intensiv mit den Potentialen von Snapchat auseinandersetzen, verdammte Axt! Gibt es eigentlich schon irgendwo Snapchat-Seminare?

Vorhin übrigens, das am Rande, habe ich einen wunderbaren Nachruf auf Helmut Schmidt von Evelyn Roll in der SZ gelesen. Ein großes, schönes Stück Journalismus.

Irgendjemand müsste jetzt nur noch Frau Roll beibringen, wie man das in einen ordentlichen Snap verpackt.

Und jetzt muss ich leider aufhören. Termin beim HNO. Hörtest. Mach´s gut, digitale Filter Bubble.

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