Snapchat: Wenn Papa mal cool sein will

Immer, wenn ich Männer (und Medien) meines Alters bei „Snapchat“ sehe, muss ich ein bisschen lachen. Und dann denke ich mir: Vermutlich habt ihr keine pubertierenden Töchter. Sonst wüsstet ihr, dass das ein bisschen unsinnig ist, was ihr da gerade macht…

Der Gedanke hat sich verstärkt, als ich einen schönen Vergleich in der FAZ gelesen habe. Dort schrieb Harald Staun, der Kodex von Snapchat gewähre eine „Lizenz zum Peinlichsein“. Und er verglich, ebenfalls ganz wunderbar, Snapchat mit einer „sturmfreien Bude“. Ähnliches hatte ja schon auf der re:publica ein 15jähriger erzählt – verbunden mit der Bitte an uns Erwachsene, wir sollten doch bitte draußen bleiben.

Und was machen wir? Geben den coolen Papa, ziehen uns ne zerrissene Jeans und ein zu enges T-Shirt an und platzen in die sturmfreie Bude, mit der Bemerkung, hey, Mädels, wir sind auch noch immer ganz töfte.

Hey, Kollegen: Habt ihr pubertierende Töchter und habt ihr schon mal versucht, euch als echt coole Papas in einer schnatternden Mädelsrunde niederzulassen? Dann wisst ihr ja, wie groß die Freude ist, wenn ihr reinkommt, euch dazu setzt und ein paar echt geile Storys loslasst. Und ja, nebenbei: Für manche Dinge, beispielsweise solche, ist man zu alt und wird man immer zu alt bleiben.

Und jetzt kommen wir und sagen: Hey Kids, alle mal herhören!

Das steht hier, weil es inzwischen in der Szene der digitalen Auskenner als unbestritten gilt, dass Snapchat der nächste heiße Scheiß ist, um mal im gewollt jugendlichen Jargon zu bleiben. Jeden Tag gibt es aufs Neue Meldungen, aus denen hervorgeht, wie das Ding gerade durch die Decke geht. Snapchat überholt gerade ungefähr alles, sogar Twitter! Dass man das im Übrigen als Weltsensation betrachtet, geht auch nur in unserer hübschen Media-Filter-Bubble. Außerhalb von uns Medienschaffenden nimmt kein Mensch Twitter mit einer solchen heiligen Bedeutung war. Fragt mal eure pubertierenden Töchter, ob die überhaupt wissen, was dieses Twitter sein soll.

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Klar also ist: Snapchat ist die Zukunft der Nachrichten! Das ist, wenn man schon ein paar Tage im Geschäft ist, eine amüsante Vorstellung, weil an sich bei einem solchen Satz daran erinnert, dass es auch mal die Prognose gab, dass es demnächst keine Nachrichten-Webseiten mehr gebe, weil Blogs die Zukunft des Journalismus seien. Ebenso war auch Twitter mal die Zukunft der Nachrichten, so wie in unseren digitalen Tagen schnell mal nahezu alles zur Zukunft von irgendwas erklärt wird. Demzufolge bewegen wir uns also demnächst nur noch snappend in virtuellen Realitäten.

Natürlich hat Snapchat Potential, kein Mensch bestreitet das. Für alles mögliche, aber nicht für das, was man als halbwegs ernsthaften Journalismus bezeichnen kann (dazu würde ich die Kategorie „Ich erzähle euch jetzt mal, wo ich gerade bin und was ich mache“ nicht unbedingt zählen). Im Moment laufen da einige gerade in die Twitter-Falle: Weil sich dort vorwiegend Journalisten und andere Medienmenschen ausbreiten, schätzen wir die Bedeutung des Dienstes für den Journalismus sehr viel höher ein als alle anderen. So läuft es jetzt auch bei „Snapchat“: Journalisten erzählen sich dort ihre Geschichten und glauben deshalb, nahezu alle anderen müssten es ihnen gleich tun. Ah, und hatten wir das nicht auch gerade erst bei „Whatsapp“, dem Mega-Messenger, bei dem die Debatte darum, wie man dort Journalismus am besten platzieren kann, auch deutlich ruhiger geworden ist?

Journalismus und Medien-Nutzung sind in Zeiten fragmentierender Kanäle mehr denn je abhängig von der Nutzungszitation, dem Endgerät – und natürlich dem Publikum. Dass bei der Formel „Jugendliche + sturmfreie Bude + Plaudermodus“ unter dem Strich „Journalismus“ rauskommt, glaubt ihr das wirklich?

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