Ein Drittel Text = keine Presse mehr!

Falls Sie es möglicherweise versäumt haben: Die Zukunft der deutschen Tageszeitungen ist gerettet. Mit einer ganz einfachen Formel. Wenn man das vorher geahnt hätte, wie einfach das ist…

Diese Formel geht so:  Auf den Startseiten maximal ein Drittel Text zeigen. Dafür mindestens zwei Drittel der Flächen mit Video- und Audioplayern oder schlicht Fotos füllen.

Das wäre, vorausgesetzt die Geschichte stimmt, das Witzigste, was man seit langem vom um witzige Einfälle selten verlegenen BDZV gehört hat. Zur Erinnerung: Der Verband hat ja schon vor Jahren das selbst dem Duden unbekannte Wort „presseähnlich“ kreiert. Jetzt liefert er konsequenterweise auch noch eine Formel hinterher, was zumindest nicht mehr als „presseähnlich“ zu gelten hat. Nämlich alle Nachrichten-Apps, die nicht mehr als ein Drittel Text auf der Startseite haben.

Wenn man es bisher noch nicht geahnt hat, spätestens jetzt hat man den Beleg: So ganz verstanden, was Journalismus im digitalen Zeitalter ausmacht, haben sie es beim BDZV auch im Jahr 2017 nicht. Mehr Ahnungslosigkeit geht jedenfalls kaum. Google soll für Snippets zahlen, die ARD nur noch ein Drittel Text auf der Startseite haben – schon ist die Verlagswelt beinahe in Ordnung. Sieht man von Bagatellen wie seit 20 Jahren sinkenden Auflagen und dem beinahe kompletten Wegfall der Anzeigen-Rubrikenmärkte mal ab. Ganz so, als ob es auch nur einen einzigen Leser gäbe, den man zurück oder neu hinzu gewönne, würden weniger Snippets bei Google auftauchen oder die Texte in der Tagesschau-App weniger.

Der BDZV will zurück ins Jahr 2001

Tatsächlich muss man auch im Jahr 20 nach der Entwicklung des massentauglichen Netzes festhalten: Viel weiter von der digitalen Realität entfernt kann man kaum sein, wie es viele deutsche Verlage immer noch sind. Und etwas hanebücheneres als die Strategie des BDZV ist schwer zu finden. Weil sie keine Strategie ist, sondern der aussichtslose Versuch, die Zeit irgendwie wieder ins Jahr 2001 zurückzudrehen.

Die schlauen Köpfe in den Verlagen (und davon gibt es weitaus mehr, als man meinen möchte) räumen das ja selbst ein, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: Der digitale Wandel in seiner ganzen Brachialgewalt ist bei vielen Entscheidern nicht angekommen. Sie meinen immer noch, es reiche aus, ein paar Webseiten hochzuziehen, am besten kostenpflichtig. Ordentliche mobile Angebote, eine Social-Media-Strategie, die den Namen auch verdient? Eine Idee für multimediales Storytelling, für den richtigen Einsatz von Bewegtbild? Gibt´s in Einzelfällen. Aber selbst, wenn man dann noch reflexhaft auf die Leuchttürme in der Verlagslandschaft verweist: Am Ende kommt man schnell zu dem Schluss, dass für die große Masse der Verlage all das nicht zutrifft.

Stattdessen die andauernde Fixierung auf den Text: „Den eigentlichen Inhalt nehmen Nutzer nur auf, wenn sie auch die Texte lesen“, sagt BDZV-Medienpolitikchef Verdenhalven über die Tagesschau-App. Was er als Kritik meint, kommt verräterisch daher. Verräterisch, weil es das immer noch vorhandene Selbstverständnis des Verbands zeigt: Text, das ist Presse, das sind wir. Ein Verständnis, das bei Nutzern, die mit Smartphones, sozialen Netzwerken und Mini-Videos schon lange leben, bestenfalls erstauntes Kopfschütteln hervorruft. Natürlich gehören Texte zum Journalismus. Aber wenn man sie wahlweise als die Königsdisziplin oder gar als Privileg einer bestimmten Journalismus-Gattung betrachtet, zeigt man lediglich, dass man diese Sache mit dem Internet immer noch nicht verstanden hat.

Aber nehmen wir nur mal für einen winzig kleinen Moment an, die ARD würde sich selbst beschränken und der Tagesschau-App diese merkwürdige Ein-Drittel-Formel verpassen – was genau würde dann eigentlich passieren?

  • Tausende User würden enttäuscht ihre App löschen und ein Zeitungsabo bestellen!
  • Etliche Digital Natives würden endlich bemerken, dass wirklicher Journalismus nur aus Text besteht!
  • Anzeigenkunden würden zuhauf von der Tagesschau…nee, halt.

Man merkt an dieser absurden Aufzählung also leicht: Der BDZV schießt sich auf einen Feind ein, der sie nicht einziges Exemplar an Auflage kostet. Und er versäumt gleichzeitig die Gelegenheit, seine Mitglieds-Verlage mal ins Nachdenken zu bringen, ob sie es nicht selbst waren, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten den Anschluss verpasst haben. So aber: Man hat ein paar Feinde, die „Tagesschau“ und „Google“ beispielsweise, die bekämpft man – und alles wird wieder gut.

Tageszeitungen müssen so ungefähr alles überdenken

Es gäbe so vieles, an dem die immer noch klare Mehrheit der Verlage dringend arbeiten müsste. An ihrer digitalen Strategie zuvorderst. Aber auch: an den eigenen Leuten, die größtenteils immer noch Zeitungsleute sind und mit digitalem Journalismus, digitalem Vertrieb und digitalen Geschäftsmodellen eher wenig am Hut haben.  An der Idee, dass Tageszeitungen immer noch ein Produkt für alle sein sollen. Am Generationen-Abriss, der kein Naturphänomen ist, sondern natürlich auch etwas mit Inhalten zu tu  hat.

Wenn Sie es ernst meinen würden beim BDZV, dann würden sie ihren Mitgliedern eine Innovations-Offensive anbieten. Eine, die darüber hinaus geht, ab und an mal ein paar Panels zu veranstalten. Sie würden im Übrigen Innovation zum Dauerthema machen und nicht nur dann, wenn Erzfeind Google die Schatulle öffnet und ein paar Millionen springen lässt. Sie würden agieren und nicht immer nur reagieren. Und sie würden klar machen, dass sich die Dinge gedreht haben. Wer heute noch Papier bedruckt, ist in der digitalen Welt ungefähr wie der Exot, der vor 20 Jahren anfing, mit ein paar HTML-Befehlen Webseiten zu bauen.

(Offenlegung: Ich arbeite regelmäßig für den Bayerischen Rundfunk, berate aber auch Zeitungsverlage.)

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