Irgendwie wird man ja das Gefühl nicht los, dass es eine ganze Reihe Menschen gibt, die fürchten, dass Julian Reichelt ein neo-ultrakonservatives Imperium begründen könnte. Der Mann von der „Bild“, der düstere Zar der publizistischen Finsternis, der skrupellose Bonsai-Trump. Aber nachdem man nun monatelang außer empörungstriefendem Social-Media-Zeugs und vielen wüsten Spekulationen über das Medien-Imperium in spe gelesen hatte, kann man jetzt (vorläufig) Entwarnung geben: Reichelt 2022, das ist aktuell nichts anderes als ein wutbürgender Scheinriese. Read More
Gestern ging Reichelt mit einem neuen, nun ja, „Format“ an den Start. Es heißt, sehr originell, „Achtung, Reichelt!“ und soll vermutlich sowas wie einen journalistischen Hardhitter ankündigen. Was folgt, ist verblüffend. Verblüffend lahm, erstaunlich einfallslos, möglicherweise fehlen dem Solo-Reichelt dann doch ein paar Ronzheimers, um zu wirken. Reichelt palavert erstmal Minuten lang vor sich, der Begriff „Laber-Format“ war selten treffender. Es ist wie in seinen letzten Tagen bei der Bild, ein bisschen publizistische Führerbunker-Stimmung Mai 1945. Deutschland, ein Abgrund, was außer Reichelt und den anderen Wutbüger-Jüngern niemand zu merken scheint. Und gemeinsam verrennen sie sich in das übliche querdenkende Narrativ: Keiner – außer ihnen! – traut sich noch die Wahrheit zu sagen, was auch damit zusammenhängt, dass sie außer ihnen keiner erkennt. Das alles ist so wie der Claim der Show: Nie links! Als wenn irgendjemand was anderes vermutet hätte. Davon abgesehen: Wenn das schon alles ist, ist das ein bisschen wenig. Vermutlich gibt es allerdings auch gute Gründe, warum Reichelt explizit nirgendwo was von Intelligenz, Innovation und Inspiration geschrieben hat.
Reichelt trägt breitbeinige Vereinfachungen der Welt vor
Ansonsten kann man sich eine Inhaltsangabe schenken. Gehen Sie zu einer beliebigen Querdenker-Demo, wenn es mal wieder eine gibt. Lesen Sie die üblichen Einblicke und gehen Sie auf die Social-Media-Kanäle der Zitelmänner. Da finden Sie exakt diese Haltung: breitbeinig-entrüstet vorgetragene Vereinfachungen der Welt. Ab und an schnaubt Reichelt in ehrlicher Entrüstung vor sich hin, so dass man im gerne zurufen würde: Jetzt komm erst mal ein bisschen runter, Junge!
Und weil Reichelt vermutlich heimlich dann doch den Donald bewundert, sieht sein neues Format aus wie ein Billig-Fox. Das Onair-Design muss jemand auf Speed gemacht haben, wobei es schon ein Kunststück ist, so daherzukommen: auf der einen Seite zappelig, hektisch, pseudo-aggressiv. Auf der anderen Seite mit einer biederen Trantütigkeit, mit der jeder Bewerber für eine Designer-Ausbildung schon in der ersten Sichtung rausfliegen würde. Und Design ist Geschmacksache und niemand käme auf die Idee, Reichelt und Geschmack gleichzusetzen. Auf der anderen Seite, Design erzählt ja immer auch Geschichten.
Die Reichelt-Army – ein Haufen trauriger Maulhelden
In diesem Fall darüber, dass die Reichelt-Army zwar auf der einen Seite furchtbar laut und minirevolutionär daherkommt. Auf der anderen Seite wird so eine Revolution schnell wieder abgesagt. Beispielsweise dann, wenn so ein olles Virus genau das wird, was halbwegs bei Verstand befindliche Menschen schon lange sagen: lästig, gefährlich, aber beherrschbar. Von Merkel-Dikatur keine Spur und um sich eine Scholz-Diktatur auch nur im Ansatz vorstellen zu können, müsste man schon viel von dem Zeug nehmen, dass der On-Air-Designer von Julian Reichelt nimmt.
Überhaupt vereinbart ein solches Publikum ja interessante Gegensätze. Auf der einen Seite wollen sie die mutigen Revolutionäre für eine freie Welt von Morgen sein. Auf der anderen Seite befinden sie sich in einer permanenten Opferhaltung, nichts darf man mehr sagen!
Ein Bonsai-Trump mit biederem Seitenscheitel
Reichelt selbst kommt daher wie das Design und das ganze Format: Mit scheinbar entschlossenen Posen (verschränkte Arme!), mit klarem Blick, aber letztendlich kommt er rüber die eine schlechte Trump-Parodie. Biedermann Reichelt wirkt so brav wie ein Tagesthemen-Kommentator des BR in den 80ern, hat die Erscheinung eines Sparkassen-Mitarbeiters und irgendwann, nach ein paar Minuten, muss man schon wirklich ein Reichelt-Ultra sein, um nicht gähnend nach vorne zu kippen. Zwischendrin habe ich mich mal gefragt: Und DER hat mal die „Bild“ gemacht und war Deutschlands gefürchteter Boulevard-Meinungsmacher, ernsthaft? Sogar der von Reichelt als Studiogast eingeladene notorische Kubicki schaut angesichts des säftelnden Gastgebers irgendwann leicht entgeistert drein, vermutlich hat er sich dieselbe Frage auch gestellt.
Vermutlich gab es gute Gründe, ihn bei „Bild“ vor die Tür zu setzen. Über einen Grund aber wird so gut wie nie gesprochen. Reichelt hat sich verrannt in seine Welt, die nur noch von ein paar Outlaws gerettet werden kann. Es gibt natürlich auch weiterhin einen harten Kern an Menschen, die bereit sind, mit Sheriff Julian durch dick und dünn zu gehen.
Nur: Mit einer solchen Haltung kannst du keine „Bild“ machen, kein Massenmedium, das sich darüber definiert, jeden Tag eine sehr laute Stimme des Mainstreams sein zu wollen. Der gelegentlich selbstironische Kai Diekmann und der überaus smarte Johannes Boie, die haben das begriffen. Reichelt hingegen wäre auch ohne seine angeblichen Affären irgendwann zur Belastung für Springer geworden. Jetzt, wo sich der Querdenker-Staub langsam wieder legt, stellt man fest: Die große Mehrheit der Deutschen hat in letzter Konsequenz mit dem Kram nichts am Hut (ja, ich gebe zu, das sah in den letzte beiden Jahren auch mal anders aus).
Aber wir sind nicht in den USA, Trumpisten, Höckes und anderes Gesocks werden bei uns in absehbarer Zeit nicht mehrheitsfähig sein.
Und Julian „Achtung“ Reichelt auch nicht.
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