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Diversity kommt vor dem Fall

Jetzt mal ehrlich: Sie schauen doch auch WM, oder? Wenigstens heimlich, Sie können es zugeben, wir sind hier unter uns. Keine Sorge, ich will Sie nicht belehren und moralisieren will ich schon gleich gar nicht. Vor allem deswegen nicht, weil zu viel Moral schnell zum (kommunikativen) Boomerang werden kann. Fragen Sie gerne nach beim DFB (und anderen).

Deutschland ist gerade im Dauer-Erregungszustand. Die Betriebstemperatur ist in den vergangenen Tagen Stück für Stück gestiegen und inzwischen in der Nähe eines Atomkraftwerks (der Vergleich muss sein, weil ihn vermutlich bald keiner mehr versteht). Das Grundrauschen ist in den letzten zwei Wochen stetig gestiegen, flankiert von medialem Getöse. Bis man irgendwann gar nicht mehr anders konnte als zu sagen: Diese WM in Katar, die geht gar nicht. Zumindest nicht für einen anständigen Menschen. Und wer, bitte sehr, würde von sich behaupten, nicht anständig zu sein?

Inzwischen ist die Debatte da angekommen, wo sie immer landet, wenn AKW-Temperaturen erreicht werden: in dröhnend lauter Fokussierung auf Symbolisches, in diesem Fall in Gestalt einer Armbinde. Die übrigens, nebenbei bemerkt, läppisch genug ist. Es geht um den Claim “One Love” und was daran so abenteuerlich mutig und zudem bemerkenswert sein soll, wissen nur die Götter und die FIFA (was in Fußball-Kreisen nahezu identisch ist). Und die Spirale dreht sich weiter, bis hin ins Absurde der Placebo-Gesten: Die deutsche Mannschaft hält sich vor dem Spiel gegen Japan eine Hand vor den Mund, leider spielt sie danach auch dementsprechend. Die Innenministerin streift sich eine One-Love-Binde über und setzt sich damit neben den FIFA-Boss- Währenddessen debattieren die Medien, ob das jetzt ausreichend genug Symbol und Mut ist. Erwartungsgemäß reicht die Palette von “viel zu wenig”  über “wenigstens etwas” bis hin zu “endlich ein Zeichen”. Hätte man ahnen können, nachdem der DFB einen “Diversity wins”-Schriftzug auf dem Flieger zur WM angebracht hatte. Der Gratismut reichte allerdings nur bis in den Oman. Und wenn sie so weiterspielen, können sie den Diversity-Flieger nicht mal mehr für den Rückflug einsetzen, das wäre ungewollt lustig.

Zwischendrin zeigt sich REWE todesmutig und beendet eine Kooperation mit dem DFB frühzeitig. Also, soweit man das frühzeitig nennen kann, die Partnerschaft wäre eh zum Jahresende ausgelaufen. Aber hey, dafür gibt es wahnsinnig viele PR, die so viel wert ist, dass die paar eingestampften Sammelbildchen ein Witz sind. Fast überall schafft es die Meldung vom todesmutigen, diversen Lebensmittelkonzern zur Top-Meldung, sogar die “Tagesschau” thematisiert die ganze Geschichte. Da war der vermutlich haltungsbedingte Überschwang so groß, dass man lieber nicht genauer recherchierte. Stattdessen jazzte man die ganze Sache zu einem vorzeitig beendeten “Sponsoring” hoch. 

Von einem Sponsoring war REWE allerdings so weit entfernt wie Deutschland von drei Punkten gegen Japan. Aber Haltung ist so wichtig, auch für Journalisten, da kann man schon mal auf Recherche und Präzision verzichten. Wichtig ist: REWE hat ein klares Zeichen gegen die FIFA, den DFB, gegen das Schlechte in der Welt und für Diversity gesetzt, halleluja! Der FIFA-Boss und die Jungs in Katar werden sich vor Angst in die Hosen machen.

Keine Sorge: Sie sind immer noch im richtigen Text, auch wenn es aktuell deutlich mehr um Fußball als um Medien geht. Aber bitte hier bleiben, das kommt jetzt.

Wer seine Messlatte hoch legt, hat dafür auch eine beträchtliche Fallhöhe

Die Sache ist nämlich die: Natürlich ist es superleicht und, zugegeben, verlockend, bei solchen Sachen ein paar Buzzwords in die Runde zu hauen: Diversity! Nachhaltigkeit! Alles, was irgendwie green, vegan, sensibel, gerecht, queer ist. Vermutlich geht das heutzutags gar nicht mehr anders.  Ein Shitstorm ist so schnell entfacht, wie Japaner zwei Tore gegen Deutschland schießen. Davon abgesehen: Das sind ja alles Sachen, von denen niemand behaupten kann, dass man gegen sie ist. Es sei denn, man ist Emir in Katar. Oder bei der AfD.

Das wiederum hat zwei Aspekte. Der eine: Persönlich finde ich es mindestens irritierend, wenn sich Menschen mit ein paar billigen Gesten auf die Schulter klopfen und sich versichern, auf der richtigen Seite von ungefähr allem zu stehen. Diese Kuhstallwärme stößt mich tendenziell ab, weil sie, um im Bild zu bleiben, immer ein bisschen riecht. Weil sie eine unangenehme Art Selbstvergewisserung ist und letztlich eine Art Greenwashing fürs eigene Gewissen ist.

Das lässt sich bei jedem einzelnen der Gestenfreunde beobachten, allerdings auch bei Medien und Kommunikation. ARD, ZDF, SZ, FAZ, Spiegel, wie sie alle heißen, sie alle haben sich in den letzten zwei Wochen überboten mit kritischen Geschichten über die Wüsten-WM. Das hindert sie nicht an der Berichterstattung und natürlich auch nicht daran, mit kontextbezogener Werbung ordentlich Geld zu verdienen. Klar weiß ich, dass das ambivalent ist, aber trotzdem: Von all denen, die von anderen Haltung und Zeichen und anderes gefordert haben, habe ich nicht ein Wort gehört, dass man selbst auf irgendwas verzichtet und, ja genau, Haltung zeigt. That’s business, man muss ja schließlich Geld verdienen.

(Kleiner Einschub: Mit Imke Schuller von der Agentur Landor habe ich mich mal in einer Folge von D25 darüber unterhalten, wie gefährlich es ist, wenn man auf Buzzwords keine Taten folgen lässt und wenn man mit ebendiesen Buzzwords nur so um sich wirft. Zur Folge bitte hier entlang).

Das führt dann gleich zu Punkt Nummer zwei, nämlich dem drohenden Umkehreffekt. Irgendwann nämlich macht man sich unglaubwürdig, wenn man die low hanging fruits mitnimmt, danach aber dann schulterzuckend sagt, mehr sei halt nicht drin gewesen. Der DFB sieht das schon seit Tagen und ist ein prima Exempel: Wenn man erst großmäulig ankündigt, man werde mit der läppischen Binde ein “Zeichen setzen” und dann beim ersten Gegenwind einknickt, darf man sich nicht wundern. Böse FIFA, schon klar, aber bitte, was hatten sie beim DFB erwartet? Dass Infantino in Tränen ausbricht und in Katar die Regenbogenflagge gehisst wird?

Und, Überraschung, im echten Unternehmens-Leben sieht die Realität dann eben ganz anders aus als auf hübschen Plakaten und in gefühligen Social-Media-Posts. Von echter Diversität sei man intern weit entfernt, berichtete der “Spiegel” in dieser Woche über die Unternehmensberatung BCG.  Wer sich darüber wundert, glaubt vermutlich auch, dass Deutschland bei dieser WM eine halbwegs wichtige Rolle spielen wird. Stattdessen wird einer der BCG-Oberen mit diesem schönen Satz zitiert: “Diversität war lange ein moralischer Imperativ. Es ist ein ökonomischer Imperativ geworden.”

Aber wehe, man wird erwischt, das wird zum kommunikativen und vermutlich auch ökonomischen Totaldesaster. Eine hoch gelegte Messlatte ist immer auch gleichbedeutend mit einer enormen Fallhöhe. 

Und genau das sieht man jetzt während der Wüsten-WM. Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge, wenn man permanent Zeichen setzen und Symbole prägen will; irgendwann findet man sich mit der Debatte über eine Binde in der “Tagesschau” wieder.

Wenn Sie mögen, dann schauen Sie jetzt gerne weiter WM. Aber sagen Sie es im derzeit leicht aufgeheizten Klima lieber niemandem.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Gerd Stodiek

    Luxus-Diversity lässt sich konsumieren statt mit Haltung agieren und Umsatz zu riskieren. Die iranischen Spieler sind Haltungs-Helden, riskieren Geldverlust und ihr Leben. Wir machen lieber Wellness auf der Couch und schenken der FIFA unsere kostbare Zeit

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