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Bertelsmann, G&J, RTL: Das Sinnbild der Branche

TV-Konzern kauft Printverlag, will alles zusammenwerfen – und scheitert. Was wie ein Plot für eine müde RTL-Soap klingt, ist Realität geworden. Dabei hätte man es besser wissen können, hätte man sich die Erfahrungen des größten TV-Mitbewerbers angeschaut. Der hat sowas vor 20 Jahren ebenfalls versucht und ging baden. Sowas kommt davon, wenn man das Thema Digitalisierung auch im Jahr 2023 nicht wirklich begreift.

Die Nachricht in Kurzform: Gruner & Jahr, verkauft an RTL und somit auch unter dessen Fuchtel gestellt, wird beerdigt. Ok, zugegeben: Es ist keine richtige Beerdigung, weil irgendwas übrig bleibt. Sagen wir so: eine Teil-Beerdigung erster Klasse, falls es so etwas gibt. Ein paar Dickschiffe bleiben, der Rest muss weg.Aus dem “Stern” wird eine Art Redaktionsgemeinschaft mit den RTL News und selbst Größen wie die “Brigitte” müssen künftig auf alle “Line Extensions” verzichten. Ein größeres Desaster hat es in der deutschen Verlagslandschaft schon sehr lange nicht mehr gegeben. 700 Stellen sollen wegfallen und man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass das publizistische Erbe von Gruner & Jahr fast komplett entsorgt wird.

Leicht wäre es jetzt zu sagen: Print hat halt keine Zukunft. Oder: Wie sollte das auch gut gehen, der quietschbunte Zappelsender RTL und die hanseatischen Print-Altmeister? Obwohl natürlich an beidem etwas dran ist, liegt die Bedeutung des Debakels noch deutlich tiefer. Das Desaster steht  nämlich exemplarisch für vieles von dem, was in der Branche (und das heißt keineswegs nur Print) schief gelaufen ist.

G&J, ein Sinnbild für den verschlafenen Umgang mit der Digitalisierung

Fangen wir erst mal mit G&J selbst an. Der Verlag hat über zwei Jahrzehnte das gemacht, was deutsche Verlage in dieser Zeit gerne so machten. Der Wandel durch die Digitalisierung wurde viel zu spät und meistens nur halbherzig angegangen. Da regierte und regiert immer noch die alte Print-Seilschaft. Selbst beim “Stern”, den man jetzt irgendwie in RTL einverleiben, ist immer noch Print die Devise. 

Der mit vielen von sich selbst erteilten Vorschusslorbeeren angetretene neue Chefredakteur tritt zwar viel und gerne im TV auf und macht schlagzeilenträchtige Dinge im Heft. Einen einzigen vernünftigen Halbsatz zum Thema Online hat man dagegen von ihm noch nicht gehört und es steht auch nicht zu erwarten, dass noch einer kommt. Gregor Peter Schmitz (so heißt der Mann) interessiert sich außer für sich selbst noch für das Heft, was dazu führt, dass stern.de immer noch traurig aussieht wie eh und je. Kaum zu erwarten, dass sich da etwas ändert. Von der Liga wie beispielsweise der des “Spiegel”, in der sich Schmitz und Freunde immer noch sehen, sind sie digital so weit entfernt wie Schalke 04 vom Klassenerhalt in der Bundesliga.

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Screenshot Stern.de

Ein bisschen Clickbaiting, Bilderstrecken und ein buntes Durcheinander: Wenn das die mediale Zukunft im Netz ist, hat diese Zukunft irgendwann im Jahr 2005 geendet. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an einen damals ziemlich hochrangigen “Stern”-Journalisten, mit dem ich 2007 auf einem Podium saß und der prophezeite, man werde 2010 den “Spiegel” digital abgehängt haben. Er meinte das ernst und genau das war in den letzten 15 Jahren das Problem des Hauses. Der unerschütterliche Glaube daran, zu den Guten zu gehören. Und gleichzeitig zu übersehen, dass die Zeit über die Idee des “Stern” schon lange hinweggegangen war. Egal, ob Print oder Digital.

Dabei war der “Stern” nur ein  herausgehobenes Beispiel für vieles. Wirklich spannende und innovative Sachen vom Baumwall? Klang so widersprüchlich wie Helene Fischer und Rock’n’Roll. Ein paar Line Extensions, Merkwürdigkeiten wie “Beef” und “Business Punk” – und bevor es jemand sagt: “11Freunde” waren lediglich zugekauft (und sollen konsequenterweise jetzt auch wieder verkauft werden, obgleich gerade RTL ein bisschen Fußball-Expertise scho au gebrauchen könnte). Ansonsten waren sie am Baumwall über zwei Jahrzehnte sehr stolz darauf, ein Print-Haus mit langer Tradition zu sein. Lieber die elfte Line-Extension von “Brigitte”, “Stern” oder “Geo” an den Start bringen, als die naheliegendste Extension, nämlich die digitale.

Davon abgesehen: Die Tendenz bei den Publikumszeitschriften kennt seit bald zwei Jahrzehnten ebenfalls nur noch eine Richtung, nämlich die nach unten. Seit 2011 haben sich Auflagen mehr als halbiert, die Umsätze gehen ebenfalls drastisch zurück. Keine einzige seriöse Prognose geht davon aus, dass sich das nochmal ändern könnte. Wenn man also mal die Debatten um Bertelsmann und RTL außen vor lässt (die kommen gleich noch), dann muss man festhalten: Der Baumwall ist zum traurigen Symbol des Niedergangs einer ganzen Branche geworden. Vielleicht ein Niedergang, der schwer vermeidbar war. Unverschuldet aber, so viel ist sicher, war er keineswegs.

Bertelsmann und RTL, das Sinnbild für die Sinnsuche

Aber klar, ganz alleine haben sie es dann doch nicht verbockt in Hamburg. Die letzten Monate und Jahre bei Bertelsmann und RTL stehen ebenfalls sinnbildlich. In diesem Fall für die ganze klassische Medienbranche und ihre irrlichternden Versuche, mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen. Der Konzern verkündete dabei eine Reihe verblüffender Ideen.

“One App, all Media”, das war beispielsweise eine solche. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, musste ich an einen Irrweg denken, an dem ich selbst mal beteiligt war. Er hieß “Maxdome” und ist inzwischen, zumindest in seiner ursprünglichen Form, gottseidank seit 20 Jahren tot. Der Gedanke des damaligen Kirch-Konzerns war ähnlich: Wir haben so gut wie alles an Inhalten, zumindest was Video und Online angeht. Also packen wir alles in dieses Portal (Apps gab es damals noch nicht).

Was dabei entstand, war ein Monster: technisch, rechtlich, inhaltlich. Kaum zu kontrollieren und in der Praxis nicht realisierbar. Davon abgesehen habe ich mich damals schon im Stillen gefragt, was ein Zuschauer von N24, von Premiere und von SAT 1 gemeinsam haben sollen und warum zur Hölle sie auf ein einziges, komplett unübersichtliches Portal gehen sollen, um sich dann mühsam etwas rauszusuchen, was sie auf einer einzelnen Seite viel schneller hätten bekommen können.

Maxdome, so viel war damals vergleichsweise schnell klar, würde am Markt so viele Chancen haben wie ein hybrider Mercedes, der gleichzeitig als Lastwagen funktionieren sollte und schwimmtauglich ist. Das Licht der Welt hat dieses Ding in seiner ursprünglichen Variante erwartungsgemäß nie erblickt (später gab es mal einen schnöden Streaming-Dienst mit diesem Namen, aber das war ganz was anderes).

Bei RTL haben sie diese Nonsens-Idee gleich noch exzessiver verfolgt: Bücher, Zeitschriften, Podcasts, Musik, Fernsehen, kurz die gesamte Bertelsmann-Wunderwelt sollte über eine einzige App abrufbar sein. Ich habe bei Bekanntgabe dieser Pläne in mich reingelacht und den Beteiligten viel Vergnügen mit dem Monster gewünscht. Rechtlich, technisch ein kompletter Irrsinn. 

Und zudem am Publikum komplett  vorbei gedacht. Der denkt nämlich nicht in der Kategorie Konzern, sondern in Medien. Der will beispielsweise Podcasts hören und nicht Bertelsmann besuchen. Und die Zielgruppen von RTL, n-tv und Stern und Brigitte, die liegen so weit auseinander, was sollen die in einer einzigen, erwartbar unübersichtlichen App? Ich war später dann noch beteiligt an der Entwicklung der App von BR24. Das waren “nur” ein paar Radiosender, ein bisschen TV und Internet – und das war schon komplex genug und schwer abzubilden. Immer wieder erstaunlich also, wie komplett praxis- und realitätsfremd Konzernspitzen sein können.

Dabei, schon klar, haben sie es gut gemeint bei der Suche nach einem Platz in der neuen, digitalen Medienwelt. Allerdings haben die Bertelsmänner (wie so viele andere) nicht begriffen, dass dieses Internet nicht einfach eine 1:1-Abbildung der analogen Welt ist. Und dass es nicht darum geht, analoge Produkte irgendwie ins Digitale zu überführen. Stattdessen bräuchten sie dort Produkte, die den neuen Gegebenheiten und Erwartungen des Publikums entsprechen.

Kurz zusammengefasst: Taumelnder Printkonzern und sinnsuchender TV-Laden werfen ihre Assets zusammen und machen irgendwie was Neues, das klang nie nach einer guten Idee. Man darf allerdings als gesichert mitnehmen, dass es eben nicht alleine auf die Größe ankommt.

Die Zukunft, immer noch unklar

Jetzt also ist G&J mehr oder weniger komplett rausgeflogen. Man wolle sich auf die Kernmarken konzentrieren, alleine für die Digitalisierung des “Stern” sollen in den kommenden Jahren 30 Millionen Euro fließen. Aber schon in diesen Aussagen liegt der Kern der nächsten Probleme. Welche Marke soll das sein, wofür steht der “Stern” eigentlich (außer für Gregor Peter Schmitz)? Welche Synergien sollen entstehen, wenn eine halbwegs ambitionierte Magazin-Redaktion und ein quietschbuntes Boulevard-TV unter ein Redaktionsdach gesteckt werden? Was soll überhaupt aus RTL werden, nachdem der Versuch, netter und seriöser zu werden, mit der Rückkehr der Bohlens dieser Welt wieder beerdigt worden ist? 

Viele lose Enden, die da in Hamburg, Köln und Gütersloh auf dem Tisch liegen. Wenn man so will: auch das ein Sinnbild der Branche zu Beginn des Jahres 2023.

Nachtrag, eben noch reingekommen: Die Chefredaktion von Geo ist heute geschlossen zurückgetreten. Der Konzern hat schon einen Nachfolger, nämlich (nicht lachen): Gregor Peter Schmitz. Gregor Peter Schmitz verantwortet aktuell auch noch „Capital“ und wechselt in die Chefredaktion der RTL News GmbH. Ein Chefredakteur für drei mindestens Publikationen; man darf sich fragen, wie ernst in Gütersloh diese Sache mit dem „Journalismus“ genommen wird. Vermutlich eher weniger.

 

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