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Über den Unsinn, sich in sozialen Medien streiten zu wollen

Nach einer längeren Pause war ich in letzter Zeit mal wieder etwas mehr bei Twitter unterwegs. Es war nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Man könnte sich sogar fragen: Was zum Teufel treibt Menschen eigentlich an, sich im Netz gegenseitig anzupöbeln. Kleiner Spoiler: Der Fehler liegt im System.

Unlängst ist in Berlin gewählt worden. Dabei kam es zu folgenden Ergebnissen. Die CDU ist mit einem Vorsprung von rund zehn Prozentpunkten zur stärksten Partei geworden. Die SPD und die Grünen lagen mit ebendiesem Rückstand nahezu gleichauf auf den Plätzen 2 und 3. Die Linke kam auf rund 12 Prozent, die AfD auf 9 Prozent. Und die FDP schaffte es nicht in den Senat.

So viel zu den Fakten.

In der Interpretation kann man zumindest festhalten, dass es ein ulkiges Ergebnis ist, dass die Berliner (m/w/d) „ihrer” Politik hinterlassen haben. Die stärkste Partei hat wenig Chancen, eine künftige Koalition anzuführen, weil die Wähler zwar alle drei Regierungsparteien ordentlich gerupft, dennoch aber mit einer Mehrheit ausgestattet haben, die ihnen ein fröhliches “Weiter so” ermöglicht haben. Das muss man übrigens auch erstmal so hinbekommen; Berlin eben.

In der Bewertung des Ganzen haben sich im Großen und Ganzen zwei Lager gebildet, zumindest in den sozialen Netzwerken. Die einen, die den Wählerauftrag eindeutig bei der stärksten Partei sahen. Die anderen, die das Ergebnis als eine klare Absage an die CDU werteten und darauf verwiesen, dass die amtierende Regierungskoalition alles in allem auf fast 50 Prozent der Stimmen kommt (es sind ziemlich exakt 49 Prozent, um genau zu sein).

In den darauffolgenden Tagen war ich dann ziemlich glücklich, dieses Thema in klassischen Medien behandelt zu sehen. Ja, mehr noch: Ich habe sogar die von mir meistens verachteten „Einerseitens-andererseits-Kommentare” wieder zu schätzen gelernt, wenigstens ein bisschen. Weil dieses kuriose Berliner Wahlergebnis mal wieder eines gezeigt hat: Selten ist die Welt schwarz oder weiß, meistens ist sie irgendwo dazwischen. Und das wiederum bedeutet: grau. Auch wenn man die Farbe grau ja gelegentlich mit Langeweile in Verbindung bringt.

In den sozialen Netzwerken dagegen: wenig zu sehen von dieser Indiferenz, von diesem „auf der einen und auf der anderen Seite”. Stattdessen ganz viel Überzeugung. Meistens dergestalt, dass man recht und der andere unrecht hat. In der Netflix-Serie “Cunk on Earth” stellt die Hauptdarstellerin irgendwann mal die großartige Frage, ob es nicht besser wäre, zwei soziale Netzwerke zu haben. Eines für alle, die richtig liegen und eines für alle, die falsch gewickelt sind. (Sie sollten sich übrigens „Cunk on Earth” dringend ansehen, etwas viel Witzigeres werden Sie in nächster Zeit nicht zu sehen kriegen.)

Irgendeiner ist immer blöd, ahnungslos, ein Stink-Kohl

Und nachdem es momentan ja so einiges an kontroversen Themen gibt, steigt auch die Temperatur bei Twitter et al. auf die Temperatur eines Kernreaktors. Nicht immer zum Vorteil der jeweiligen Debatte, wie der große Kurt Kister jetzt schrieb: „Die schnelle Bereitschaft, den Angehörigen der jeweiligen Gegenseite Dummheit, moralische Verlotterung, Heuchlertum, Kriegstreiberei oder Blödpazifismus vorzuwerfen, behindert eine rationale Diskussion immer mehr.” Irgendeinen findet man immer, den man gerade für blöd, ahnungslos oder einen ziemlichen Stink-Kohl halten kann.

Amerikanischer Stink-Kohl. (Foto; Wikipdeia/Lizenz CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) Public Domain Dedication)

Da würde man gerne einwerfen: Dann benehmt euch halt etwas besser und reißt euch zusammen. Würde man das allerdings tun, würde man den nächsten Denkfehler begehen. Weil: Wir alle sind diesen Denkmustern ausgeliefert. Die „Realität“ ist zunehmend subjektiv. Ein perfekter Sturm aus dem Bedürfnis nach Vorbildern, aus Algorithmen und der Politisierung der Wissenschaft hat dazu geführt, dass wir in einem Archipel alternativer Fakten umher schweben. Und je mehr wir in diesen Netzwerken unterwegs sind, desto mehr laufen wir Gefahr, uns in dem zu verlieren, was man gerne auch mal „Bubble” nennt. Wobei ich diesen Begriff ehrlich gesagt etwas arg verniedlichend finde. Wenn beispielsweise irgendeine intellektuelle Querfront mal wieder irgendwo unterwegs ist, dann ist „Bubble” wirklich ein zu sanfter Ausdruck. 

Für all das gibt es einen Namen, den vermutlich viele schon mal gehört haben: der Bestätigungsfimmel. Oder, um es wissenschaftlicher auszudrücken: Confirmation Bias.  Dabei ziehen wir unbewusst bestimmte Fakten anderen vor, damit wir eine Schlussfolgerung ziehen können, die mit unseren bereits vorhandenen Überzeugungen übereinstimmt. Man könnte auch sagen: Wir biegen uns die Dinge so lange zurecht, bis sie für uns passen. Und was nicht passt, wird passend gemacht.

Das wiederum macht es so furchtbar schwierig, in sozialen Netzwerken ernsthaft zu debattieren; bei Twitter und seiner 240-Zeichen-Schnellfeuer-Kultur ganz besonders. Deswegen greift das Argument, man dürfe Social Media nicht einfach kampflos den Bösen überlassen, etwas zu kurz. Ernsthafte und gewinnbringende Debatten mit anderen zu führen ist im echten Leben schon schwer genug, versuch das mal in der aufgeheizten Atmosphäre von Twitter (und all den anderen). 

Mit einer ausgewogenen Mitte-Meinung ist noch niemand weit gekommen

Das hat Gründe und geht gar nicht anders. Denn die sozialen Medien sind ein Kernreaktor für Bestätigungsfehler. Was ganz simpel erklärbar ist: Extreme, polarisierende Inhalte sind einfach das bessere Uran für die Wutspaltungsreaktion. Mit einer ausgewogenen Mitte-Meinung ist noch niemand weit gekommen, zumindest nicht nach der Logik der Algorithmen.

Aber ausgerechnet das hält die poltrigsten Poltergeister nicht davon ab, zu behaupten, dass sie unterdrückt werden. Dass man nichts mehr sagen dürfe und sich unsere aktuelle Staatsform bedenklich der Diktatur nähert. Die Ironie dabei: Diese Behauptungen erhalten dank der Algorithmen, über die sie sich beschweren, noch mehr Zulauf. Die Grundlage? Bestätigungsvoreingenommenheit. Sie listen nur die (anekdotischen) Beweise auf, die ihre Sichtweise begünstigen, und erklären, dass sich ein Muster herausgebildet hat. Wer es nicht glaubt, fragt einfach den Querdenker seiner Wahl.

Ich fand also Kisters Text aus der SZ vom vergangenen Wochenende ziemlich richtig, auch wenn ich ansonsten bei Texten, die den zunehmenden Verfall von irgendwas beklagen, in der Regel eher skeptisch bin. Aber in diesem Fall: Ich mache mir schon gelegentlich ernste Sorgen um unsere digitale Diskussionskultur. Wenn ich mal bei Twitter reinschaue, dann dauert es nicht lange, bis ich irgendwie einen Thread entdecke, der in erster Linie daraus besteht, dass sich Menschen gegenseitig an die Gurgel gehen. Nicht nur bei Twitter, das wäre gelogen, man kann sich auch bei Facebook schnell mal was einfangen. Nicht mal mehr in der Kuschelecke LinkedIn ist man mehr sicher und das will echt was heißen.

Und dann glaubt Mr. Musk ernsthaft an ein Defizit in der Freiheit, sagen zu können, was man gerade will?  Freie Meinungsäußerung als Strategie, wobei deren Befürworter im Regelfall meinen: Jeder darf alles. Sogar Elon Musk tat bei seiner  Twitter-Übernahme so, als sei Twitter ein Synonym für Zensus.

Ich habe dann also, um wieder zum eigentlichen Ding zurückzukommen, gute journalistische Angebote sehr genossen an diesem Wochenende. Die gibt es ja, bei aller Kritik, die man üben kann, immer noch. Ich war keineswegs immer der gleichen Meinung die die Autoren, manches hielt ich sogar für ausgemachten Nonsens. Aber alleine dafür, dass mich während des Lesens niemand angepöbelt hat, fand ich die ganze Geschichte schon wieder ziemlich gut.

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Die ganze Welt lagert in der großen Wolke. Welche Bedeutung die Cloud für Unternehmen hat, besprechen wir in der neuen Folge von D25 mit Henrik Hasenkamp, CEO von gridscale GmbH.

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