Wenn Sie irgendwas mit Medien und Kommunikation zu tun haben, dann kennen Sie Twitter. Und selbst wenn Sie mit Medien nur eher aus der passiven und konsumierenden Ecke zusammenkommen, haben Sie sich womöglich schon mal gewundert: ein Riesen-Bohei und eine erstaunliche Scheinrelevanz für eine App, die am Ende dann doch nur von einer vergleichsweise kleinen und spitzen Zielgruppe genutzt wird. Warum es an der Zeit ist, sich von Twitter zu verabschieden.
Wenn man als Journalist der irgendwie nur als Schein existierenden Presseabteilung von Twitter eine Nachricht schreibt, bekommt man einen Kothaufen-Emoji. Ganz einfach so, automatisiert, ganz egal, was man schreibt. Und auch unbeschadet dessen, wer schreibt. In der Beziehung ist Twitter inzwischen der glatte Sozialismus: Es werden alle gleich schlecht behandelt, keine Sonderrechte für niemanden.
Wenn man eine Vorliebe für fäkalorientierten Pennäler-Humor hat, findet man das vermutlich, hihihi, irre lustig. Alle anderen schütteln den Kopf und halten Elon Musk bestenfalls zugute, dass die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn schon immer sehr, sehr durchlässig war.
Tja.
Lassen wir also als erstes nur mal die Zahlen sprechen: Der Unternehmenswert von Twitter hat sich seit der Musk-Übernahme ungefähr halbiert, von den sagenhaften 44 Milliarden, die Musk damals für Twitter bezahlt hat, ist der Laden mittlerweile ungefähr so weit entfernt wie ein Kothaufen von einem Picasso. Von irgendeiner Besserung, die in Sicht sein könnte, nichts zu sehen.
Und was macht Twitter gerade sonst so aus? Blauer Haken für alle. Statt ernsthafter Verifikation und dem Versuch, den Laden irgendwie in eine seriöse Spur zu bringen, gilt jetzt die Devise: Vermeintliche Seriosität für alle, die dafür zahlen.
Ansonsten ist Twitter in den letzten Jahren ein zunehmend unangenehmer Ort geworden. Bevor sich jetzt die ewigen Twitter-Verteidiger melden: Natürlich kann man dort mit ein bisschen Glück und den richtigen Filtern immer wieder auf Perlen stoßen und einige der von mir meist geschätzten Köpfe treiben sich dort rum und kommen sogar auf fünf- und sechsstellige Followerzahlen. Man sieht also: Es gibt sie, die guten Seiten von Twitter.
Aber mag man deswegen ständig im Morast wühlen, will man bei jeder Äußerung einen Shitstorm im Hinterkopf haben?
Und schließlich: Musk regiert strikt durch in dem Laden. Man weiß, was er von Medien klassischer Prägung hält, siehe Kothaufen. Glaubt ihr ernsthaft, dass jemand mit einem gestörten Verhältnis zu Medien und Journalismus ernsthaft daran interessiert ist, seriösen Inhalten Platz zu geben?
Stattdessen ist Twitter ein Spielplatz für einen einzelnen mit zu viel Geld ausgestatteten Exzentriker geworden. Alleine das sollte ausreichen, um einen Account bei Twitter zu überdenken. Nur zum Vergleich: In Deutschland tut sich Springer seit vielen Jahren schwer, endlich irgendeinen TV-Sender zu bekommen. Weil nahezu alle potenziellen Verflechtungen vom Kartellamt auseinandergenommen würden; aus guten Gründen übrigens. Und dann soll es kein Problem sein, wenn ein einzelner eine der größten Plattformen der Welt kontrolliert? Schon klar, deutsches Kartellrecht interessiert außerhalb Deutschlands niemanden, aber für ein Kartellrecht dieser Prägung gibt es eine Reihe von Argumenten.
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Überhaupt, das Internet, die sozialen Medien alter Prägung, die Visionäre, die Gründer von damals: Ihre Zeit ist erstaunlich parallel zu Ende gegangen. Jack Dorsey hatte keinen Bock mehr auf Twitter und irgendwann ist es bei Elons Musk gelandet. Mark Zuckerberg träumte von der Weltherrschaft im Metaversum und wird in den nächsten Jahren seine Mühe haben, insbesondere sein angestaubtes Facebook irgendwie am Laufen zu halten.
Beide, Twitter und Facebook, müffeln inzwischen ein wenig streng nach dem Odeur von 2009. Über beide ist die Zeit hinweggegangen, schwer vorstellbar, wie man Millenials noch ernsthaft für diese Plattformen interessieren will. Cool und hip sind beide schon lange nicht mehr. Twitter konnte immerhin noch lange von seinem Sonderstatus einer sehr speziellen Zielgruppe profitieren, aber das geht, siehe oben, allmählich vorbei.
Zumal beide eint, dass Kommunikation in sozialen Netzen schon lange nicht mehr so läuft: Alle posten alles für jeden. Und das auch noch für immer und ewig. Kenn die richtigen Gruppen, poste dort den richtigen Content (den du besser nicht Content nennst, weil: der Begriff hat ebenfalls diese 2009-Müffelei). Kenn die Leute, mit denen du redest und wirf nicht alles wahllos in die Runde. Ansonsten: Nichts ist fr die Ewigkeit.
Das ist digitale Kommunikation, der Rest ist nur Facebook und Twitter. Und so enden zwei der spannendsten Geschichten aus den digitalen Anfangstagen. Macht aber nix. Es kommen ganz sicher viele neue dazu.