Eine kleine Binse zu Beginn: Wenn etwas Altes geht, kommt meist etwas Neues. Und nicht selten fragt man sich Jahre später: Wie haben wir es nur so lange ausgehalten mit dem alten Kram? Immer noch dabei? Vielen Dank!
Wenn man lange genug dabei ist (und ich bilde mir angesichts meines biblischen Alters ein, das zu sein), dann weiß man: Nichts ist für die Ewigkeit. Wenn ich jüngere Teilnehmer (m/w/d) bei Veranstaltungen amüsieren will, dann erzähle ich ihnen von meinen ersten journalistischen Arbeiten. Mit Schreibmaschine und später beim Radio dann mit echten Tonbändern, die man ernsthaft mit ebenso echten Klingen geschnitten hat.Und wissen Sie was? Damals dachte ich auch, mit der Spitze der Technologie zu arbeiten und dass man an diesem Zustand besser nichts ändern sollte. Gut, ich war Anfang 20 und insofern entschuldigt. Heute ist mir natürlich klar, wie albern dieser Gedanke war. Trotzdem ist es ja immer wieder erstaunlich, wie sehr Menschen sich an die Idee klammern, alles müsste einfach so bleiben wie es ist. Sogar solche, die ansonsten gerne in schlauen Aufsätzen schreiben, wie wichtig Flexibilität und Veränderungsbereitschaft sind, vor allem bei anderen.
Inzwischen sind wir natürlich in ganz anderen Zeiten angekommen. Und auch die verändern sich wieder massiv. So massiv, dass manches, was noch vor kurzem als selbstverständlich gelten konnte, langsam wieder obsolet wird. Drei Dinge sind es, die unsere schöne kleine Medien- und Kommunikationswelt demnächst wieder auf den Kopf stellen werden. Wäre also gut, sich jetzt schon intensiv damit zu beschäftigen.
YouTube statt Facebook, Whats App statt X, eigene Kanäle statt Leads
Eigentlich hatten sich eine Menge Publisher mit Social Media ganz gut arrangiert. Facebook und Twitter (für viele lange Zeit die einzigen relevanten Social-Media-Kategorien) waren „Frenemies“, mit denen man in inniger Hassliebe verbunden war. Natürlich haben die großen Netzwerke den klassischen Kanälen einiges weggenommen. Aber sie gaben auch etwas zurück: Traffic und Leads.Dumm nur: Diese Rechnung geht nicht mehr auf.Daten des Analyseanbieters Chartbeat zeigen, dass der Traffic von Facebook auf Nachrichtenseiten im Jahr 2023 um 48 Prozent zurückgegangen ist, während der Traffic von X/Twitter um 27 Prozent schrumpfte (die Zahlen sind global und variieren naturgemäß regional, aber der Trend ist überall gleich).Noch mal dumm: Leider gibt es nichts, was diesen eindeutigen Trend in nächster Zeit kompensieren könnte. Was damit zu tun hat, dass sich vor allem bei einem jüngeren Publikum gerade die Social-Media-Nutzung massiv dreht.
Was die Gründe dafür sind, dazu später mehr, wenn wir über verändertes Nutzerverhalten reden. Nur zweierlei schon mal vorweg: Dass Meta und Facebook ihr Interesse an journalistischen Inhalten weitgehend eingestellt haben, ist bekannt. Und dass Xtwitter zu einer ziemlichen Dreckschleuder verkommen ist, ist ebenfalls unstrittig. Die beiden langjährigen wichtigsten Traffic-Lieferanten schwächeln also ganz erheblich. Eine Änderung ist nicht in Sicht.
Der große Social-Reset
Hinter dem jüngsten Rückgang in „traditionellen“ sozialen Netzwerken wie Facebook und X stehen zwei wichtige Veränderungen. Erstens hat die toxische Natur vieler Unterhaltungen über Nachrichten und Politik viele Menschen in private Bereiche wie Messaging-Apps getrieben. Ein ganz simpler Grund dafür: Man kann auch mal was schreiben, ohne sich in Shitstorm-Gefahr zu begeben. Oder ohne dass alle alles mitlesen.Zweitens: Inhaltsbasierte Netzwerke wie YouTube und TikTok erlebt, bei denen die Urheber Zugang zu immer leistungsfähigeren Werkzeugen für die Erstellung und Verbreitung haben – und wo die sozialen Aspekte zwar wichtig, aber oft zweitrangig sind.
Der Digital News Report 2023 des Reuters-Instituts hat gezeigt, dass diese videobasierten Netzwerke weltweit extrem schnell wachsen und zunehmend die Art und Weise sind, wie ein jüngeres Publikum auf seine Nachrichten zugreift (siehe dazu auch nochmal das, was wir hier vergangene Woche schon mal aufgeschrieben haben).
Für viele traditionelle Medien- und Kommunikationsunternehmen ist dies ein echtes Problem. Und ein Problem, das von Tag zu Tag größer wird.Zum einen, weil (Social) Video nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört, zum anderen, weil sie nur wenige Möglichkeiten bieten, auf Seiten zu verlinken, auf denen sie Inhalte monetarisieren können. Viele traditionelle Nachrichtenorganisationen haben auch Schwierigkeiten, Sichtbarkeit zu erlangen, im Gegensatz zu jungen Kreativen, die mit der Sprache und den Konventionen der Plattform vertraut sind. Man erinnert sich mit Gruseln, als die CDU auf das berühmte Zerstörungs-Video von Rezo mit einem PDF geantwortet hat.
Community statt Audience
Das bringt uns gleich zum nächsten Punkt. Das bisherige „Empfehlungsmodell“ hatte eine einfache Basis: Jemand empfiehlt und verlinkt eine Geschichte, der Social-Media-Nutzer landet auf einer Website und am Ende sind alle glücklich. Zumal diejenigen, die auf Traffic aus waren, darauf hoffen konnten, dass aus den Gelegenheitsbesuchern irgendwann ein zahlendes Stammpublikum wird. So aber funktionieren weder die Videoplattformen noch tickt das junge Publikum so. YouTube oder TikTok oder Instagram haben nicht als vordringliches Ziel, dass jemand dort anderen Content empfiehlt. Sie sind, und das ist der entscheidende Unterschied zu Facebook et al, das, was man früher „Programmveranstalter“ genannt hat.
Nicht umsonst heißt der neue heiße Mist „Content Creator“. Und ein Creator hat nicht die geringste Lust, Traffic irgendwo anders hin zu schicken.Zum anderen: Das jüngere Publikum startet seine eigene Medienreise immer weniger auf Webseiten oder Aps. Sondern bei (Überraschung!) Insta, TikTok oder YouTube. Für dieses Publikum spielen andere Dinge eine wesentliche Rolle. Teilbarkeit zum Beispiel. Oder die Community, die man auf solchen Plattformen findet.
Community vs. Paywall – das kann nicht gutgehen
Und damit zum Lieblingsmodell der deutschen Medien: Paywall!
Das ist: weder Teilbarkeit noch Community. Und wenn man ehrlich ist, verstehen viele Medien und Unternehmen die interessierte Nutzerschaft immer noch eher als „Audience“ denn als „Community“. Das ist aber ein großer Unterschied. Und es reicht eben nicht, ein pflichtschuldiges „Und was meint ihr dazu?“ an das Ende eines Postings zu hängen. Das wird schnell als das erkannt, was es ist: Alibi-Content.Oder einfacher gesagt: Kann mal jemand schnell nachschauen, wo es in deutschen Medien und Unternehmen ernsthaftes, gutes Community Management gibt? Ja, es gibt sie, aber es sind immer noch die großen Ausnahmen.Was also tun? Simple Antwort erst einmal: It’s the Content, stupid! Das sind Videos, Reels, Stories. Podcasts und Newsletter.Und das ist nicht: mediokre Geschichten hinter eine Paywall packen. Das ist auch: Die Community verstehen lernen, neue Geschäftsmodelle entwickeln. Und nicht: Kostet halt was, ist halt so.Das bisherige Social-Media-Modell hat Medien und Kommunikation schon verändert. Die neuen Content-Plattformen verändern alles: Sie sind das Ende von ungefähr allem anderen.