die kleingeister des spiegel

welche vorurteile fallen uns ein, wenn wir an regionen wie niederbayern denken? csu, kirche, kruzifixe im herrgottswinkel. irgendwie gestrige menschen, die sich vor allem das 19. jahrhundert zurückwünschen und bei denen die neuzeit noch nicht so richtig angekommen ist. menschen, die alles glauben, was ihnen die obrigkeit erzählt; egal um welche form von obrigkeit es sich von fall zu fall handelt. deswegen sind die kirchen voll, sind die wahlveranstaltungen der csu voll und deswegen waren die niederbayern vermutlich vor 70 jahren auch die strammsten nazis.

na, alles wiedergefunden, was in ihrem kopf an quick-and-dirty-ressentiments so rumgeistert? nein? dann bitte hier entlang – spiegel online bringt zu den handelsüblichen klischees noch ein paar dazu und lässt zu diesem zwecke vermutlich einen praktikanten/volontär mal für ein paar tage raus aus der nachrichten-käfighaltung – auf dass er uns er erkläre, wie die welt draußen wirklich tickt.

solcherart ausgestattet mit einem echten reportageauftrag des großen spiegel macht sich der junge mann, ausstaffiert mit einem strammen und klaren weltbild, auf den weg nach niederbayern (apropos klares weltbild: das wirft man beim spiegel sehr gerne dem in diesem beitrag selbstverständlich mal wieder als tumben niederbayern-einheizer dargestellten erwin huber vor- der übrigens in wirklichkeit gar nicht so ist, wie es der spiegel gerne kolportiert. ist halt ein unterschied, ob ein niederbayerischer minister ein klares weltbild hat – dann er ist er ein unverbesserlicher konservativer. wenn ein spiegel-praktikant ein klares weltbild hat, ist das vermutlich ein zeichen von reife.)

und was findet nun also unser hoffnungsvoller junger mann, als er den langen weg von hamburg nach niederbayern endlich geschafft hat, vor? einen wahlkreis, in dem der örtliche csu-mann max straubinger 70 prozent bei den bundestagswahlen erreicht, in dem erwin huber als gottesähnlich verehrt wird, in dem eine gräfin, deren familie offenbar über eine zweifelhafte tradition verfügt (eisner ermordet!), die spd aus bierzelten aussperrt, und eine brauerei, dessen chef überall ehrfuchtsvoll als „herr direktor“ angesprochen wird. davon abgesehen kommt küblböck aus dieser ecke.

was bleibt also anderes übrig, als den schluss zu ziehen, der niederbayer sei hoffnungslos rückständig und auch sonst irgendwie etwas verblödet? ein schlag mensch, der sich die diktatur zurückwünscht oder wenigstens wieder die monarchie, damit ihm endlich wieder jemand sagt, was er zu tun hat?

das alles hat sich unser hoffnungsvoller spiegel-reporter durch den kopf gehen lassen und sich gedacht: genau so muss es sein. und deswegen hat er dafür auch gleich einen kronzeugen gefunden: eine volontärin der örtlichen „landauer zeitung“, die in ihrer messerscharfen analyse feststellt, dass hier „sechs siebtel der menschen so schwarz sind, dass sie im kohlekeller keine schatten werfen“. mönsch….da haben mit der volontärin der landauer zeitung und dem hoffnungsvollen reporter des spiegel aber zwei kluge köpfe zusammengesteckt: niederbayern! schwarz! tumb! huber!

nun gut, ein paar anmerkungen zu dem ganzen geschwafel, obwohl es eigentlich keiner weiteren erwähnung wert ist. also, mal ganz im ernst: was mich in unserer branche generell ankotzt ist, wenn journalisten nicht die augen aufmachen, wenn sie vorurteile und ressentiments ungeprüft übernehmen. nichts, aber wirklich nichts anderes hat der spiegel mit diesem jämmerlichen stück gemacht: gesehen, was man sehen will; ausgeblendet was man nicht sehen will (was ja auch einfacher ist, als sich die mühe zu machen, die geschichte hinter der geschichte zu suchen).

hätte er ein bisschen geschaut, wären dem hoffnungsvollen jungen spiegel-mann ein paar sachen aufgefallen. bspw., dass in diesen beiden zu einem wahlkreis zusammengeschlossenen landkreisen die csu schon seit 15 bzw. 18 jahren keinen landrat mehr stellt. bspw., dass die csu in dingolfing seit 30 jahren keinen bürgermeister mehr gestellt hat und in landau ebenfalls 12 jahre ein spd-mann im rathaus war. und, guter witz, gell, hubers (inzwischen verstorbener) schwiegervater war ein spd-bürgermeister aus dem wahlkreis. komisch – wo´s hier sowas doch eigentlich gar nicht geben dürfte.

man hätte dann vielleicht auch festgestellt, dass der als verfolgte unschuld vom lande dargestellte flop pronold bisher weniger durch politische substanz aufgefallen ist, als vielmehr dadurch, seinen konkurrenten straubinger als „schläfer und schnarcher“ zu bezeichnen (was hätte wohl der spiegel im umgekehrten fall geschrieben: typisch csu, die nichts anderes hinbekommen, als ihren politischen gegner wüst zu beschimpfen?).

und die bezeichnung „lattengustl“, die der spiegel ganz aufgeregt in seine headline gebracht hat – och kinners beim spiegel, freut ihr euch immer noch so über witzchen auf pennäler-niveau, oder wie?

dass der mann bei 17 prozent rumhängt, hat übrigens auch andere gründe. nämlich den, dass die spd den mann aus der nachbarregion deggendorf (pronold) mal eben kurzerhand in den nachbarlandkreis rottal-inn verpflanzt hat, um ihm ein sicheres mandat im bundestag zu verschaffen. so jemanden dann als engagierten heimatabgeordneten zu verkaufen, funktioniert einfach nicht, unabhängig ob bei der csu, bei der spd oder beim tierschutzverein.

das alles hätte man sehen können, wenn man hingeschaut hätte. man hätte ein schönes, einfühlsames stück schreiben können, man hätte recherchieren können, warum die csu offenbar bei den menschen verwurzelt ist und die spd nicht (das vogel-zitat wäre da durchaus ausbaufähig und diskussionswürdig gewesen).

stattdessen kam der junge mann zurück nach hamburg, hat vermutlich den feixenden kollegen erzählt, wie blöd der niederbayer als solcher ist und dann hat man gemeinsam eine richtig klatschende lattengustl-überschrift zusammenfabuliert.

großer journalismus, lieber spiegel. kleingeistig, verbohrt, oberflächlich. nicht mehr weit weg von bild.de.

ps: zur erklärung: ich lebe seit über 20 jahren in genau diesem landkreis und tue das sehr gerne. nach diesem unterirdischen beitrag sogar noch ein bissel lieber.

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