Südafrika, 2010 (26): Earl – und Ende

Manchmal ist die Wahrheit ja dann doch einfach und kompliziert zugleich.

Eine der beeindruckendsten Begegnungen, die ich in Südafrika hatte, war die mit Earl. Earl Morais, 38, ehemals Boxer und Afrikameister, Sparringspartner von Henry Maske. Earl könnte ein wunderbarer Beleg für die These sein, dass man sich in Südafrika als Schwarzer wahlweise auf der schiefen Bahn oder aber eben als Leistungssportler nach oben schlägt. Zumal dann, wenn man wie Earl aus kleinen Verhältnissen kommt, in denen der Vater illegal Alkohol verkauft, um die Familie irgendwie über die Runden zu bringen. Zudem könnte man ihn quasi als Kronzeuge für die Theorie verwenden, dass Südafrika die Jahre des Aparteids-Regimes wunderbar überwunden hat (wenn man an diese Theorie denn glauben möchte). Schließlich ist Earl heute ein ziemlich erfolgreicher Geschäftsmann und niemand käme ernsthaft auf die Idee, dass sich Earl Morais heute vor Diskriminierung oder andren Nachteilen wegen seiner Hautfarbe fürchten müsste.

Auf der anderen Seite engagiert sich Earl jeden Tag in seiner Community in Westbank bei einer NGO. Denn natürlich haben das Land und die Stadt immer noch Probleme, gegen die sich die Sorgen des blasshäutigen Mitteleuropäers eher albern ausnehmen. Tag für Tag findet man hier die kleinen Drogenhändler, werden junge Mädchen schwanger oder infizieren sich mit HIV. Die Vorstellung, Earl könnte in kurzer Zeit mit seiner Arbeit etwas bewirken, ist naiv. Geht ein Drogendealer, steht der nächste schon parat. Man muss tatsächlich die Disziplin und die Ausdauer eines Boxers haben, wenn man hier nicht ganz schnell resignieren will.

Aber was heißt schon Ausdauer und Disziplin? Ich habe Earl in den Tagen in Johannesburg nicht ein einziges Mal schlecht gelaut erlebt. Anflüge von Resignation? Nicht die Spur. Earl gehört zu diesen Menschen, die in allem eine Aufgabe sehen, keineswegs aber ein Problem. Wenn was ist, packt er es an. Boxer eben.

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Als ich wieder zurück war, habe ich ein paar Tage damit verbracht, mich lagsam wieder in meinen täglichen Stoff einzulesen. In Medien, über Medien. In Blogs, Facebook, Twitter. Komischerweise kam mir das alles auf einmal so furchtbar kleinkariert vor. Darf man für Springer als Blogger die Welt kompakt machen — und ging das nicht alles furchtbar daneben? Ich war gerade frisch wieder da, als diese Debatte begann. Mein erster Reflex war: Ihr müsst ja Probleme haben. Diese ganze Aufgeregtheit, diese fürchterliche Angestrengheit aller Debatten, aber auch dieses typisch deutsche, diese ganze Verbissenheit. Vielleicht sieht man die Dinge so, wenn man sich eben noch mit einem Mann unterhalten hat, der jeden Tag versucht, seinen Stadtteil ein kleines bisschen lebenswerter zu machen — und hier diskutieren wir darüber,  wie wohl die Zukunft von Twitter aussehen könnte. Von den afrikanischen Kollegen, die ich kennengelernt habe, twittert übrigens niemand. Sie dürfen raten, warum.

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Aber natürlich das alles ein wenig arg pathethisch und moralisierend und natürlich kann man nach dieser Logik ungefähr jede Diskussion in Deutschland erschlagen: Schaut doch mal da und da hin, da ist alles noch sehr viel schlechter.  Trotzdem habe ich momentan immer noch meine Probleme, in diesem Blog irgendwelche Nörgeleien wegen Tip- und anderen Fehlern anzubringen. Insofern ist das gar nicht so schlecht, dass es Ende des Monats für 10 Tage nach Essen geht, wo ein ähnliches Projekt wie das in Johannesburg wartet. Thema ist dann die „Kulturhauptstadt Ruhrgebiet“ und wenn es sich ergibt, würde ich auch darüber gerne ein wenig bloggen. Kameras etc.liegen jedenfalls schon im Gepäck.

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Famous last words, besser gesagt: Famous last pictures. Die Bilder unserer Teilnehmer finden Sie hier:

Und 60 meiner Bilder aus Südafrika gibt´s hier. Beides als Slideshow. Beides ohne Ton.

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