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Lies and let die…

Vor ein paar Jahren hat man, wenn es um den Fortbestand der gedruckten Tageszeitung geht, gerne die nachfolgende These vertreten: Es gebe da ein paar ganz wundervolle crossmediale Optionen, eigentlich sei die Tageszeitung ja wie geboren dafür. Weil die Ergänzung zwischen dem schnellen und nachrichtenorientierten Netz auf der einen und der quasi entschleunigten Zeitung auf der anderen Seite nahezu perfekt sei. Man nimmt sich nach einem hektischen Tag im Netz gerne mal die Zeitung in die Hand und liest dann all die schlauen Kommentare, Analysen und Hintergründe, die während des Tages viel zu kurz gekommen sind. Man könnte also meinen, das Netz sei der beste Grund für die Zeitung danach. Würde man dem folgen, was manche Menschen schon seit vielen Jahren fordern (nämlich: weg von der Nachicht, hin zur Geschichte) es müsste unseren Zeitungen an sich gut gehen.

Seit ein paar Jahren gibt es auch noch eine andere Theorie. Derzufolge sind es vor allem die regionalen Tageszeitungen, die mittelfristig gefährdet sind. Die großen, überregionalen Blätter sind davon weniger betroffen. Über die vermeintlichen Schwächen von Regionalblättern ist viel geredet und geschrieben worden. Naheliegend, wenn man zudem bedenkt, dass ein Blatt wie SZ in den vergangenen Jahren der negativen Auflagenentwicklung weitgehend getrotzt und in dem einen oder anderen Quartal sogar leicht zugelegt hat.

Vorbei, das alles, so wie es aussieht. Betrachtet man die Auflagenentwicklung der Tageszeitungen im letzten Quartal 2011, dann fallen zunächst zwei Dinge auf. Zum einen: Bei den Regionalzeitungen sind die größten Gewinner die mit den wenigsten Verlusten. So weit ist es inzwischen also schon, dass man sich als Sieger fühlen darf, wenn man ein bisschen weniger  verliert als die anderen. Die Verluste sind in den seltensten Fällen wirklich dramatisch, eher bewegen sich die Auflagen in einem langsamen Sinkflug. Allerdings: Dieser Sinkflug hält nun beinahe schon seit 15 Jahren an. Es gibt nicht ein einziges Indiz dafür, dass sich daran etwas ändern wird. Was das bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Obwohl ich nicht daran glaube, dass die gedruckte Zeitung komplett vom Markt verschwinden wird, ebenso wenig wie gedruckte Bücher. Aber unausweichlich ist: Das gedruckte Medium wird in jeder Hinsicht weiter an Bedeutung verlieren, was viele Redaktionen in die absurde Lage versetzt, kaum etwas richtig machen zu können. Es ist das Medium, das langsam stirbt, nicht zwingend der Journalismus, die Inhalte, die gute Geschichte. Anders und salopper formuliert: Das Publikum liest die Zeitung nicht mehr, weil es eine Zeitung ist. Weil es Papier ist. Weil es das Medium ist, das seine Zeit hatte und irgendwann mal das sein wird, was die gute alte Schallplatte heute im Musikgeschäft ist. Etwas für Liebhaber und Nostalgiker, aber nichts mehr für den Massenmarkt.

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Speziell für die Regionalzeitungen kommt aber neben den beschriebenen Effekten der Digitalisierung auch noch anderes hinzu: Sie werden sich einem verstärkten Wettbewerb stellen müssen. Das ist deshalb neu und ungewohnt zugleich, weil die meisten schlichtweg keine Wettbewerbssituation kennen und nie gekannt haben. Regionalzeitung, das bedeutete bisher eben immer auch: Quasi-Monopolist mit dem Stellenwert einer beinahe amtlichen Einrichtung. In einen bestehenden Markt einer Tageszeitung erfolgreich einzudringen, das galt bislang als ein weitgehend aussichtsloses Unterfangen. Das hat sich geändert, weil der Kosten- und Produktionsaufwand beispielsweise für einen Lokalblogger nicht mehr im Mindesten mit dem einer neuen Zeitung vergleichbar ist. Und, ja, auch deswegen: Das Publikum hat viele der Zeitungen in den letzten Jahrzehnten zunehmend öfter so empfunden, wie man halbamtliche Einrichtungen eben empfindet. Man nutzt sie, man braucht sie ein Stück weit auch. Aber man liebt sie dafür nicht unbedingt und die emotionale Bindung ist auch eher überschaubar. Über die vielerorts fehlenden digitalen Alternativen ist (auch auf dieser kleinen Seite) ausreichend viel geschrieben worden, als dass man das Thema noch ausführlich erläutern müsste. Was lediglich erstaunlich ist: In nicht wenigen Häusern ist man sich in den Redaktionen durchaus darüber im Klaren, dass ihre digitalen Angebote selten zukunftsweisend sind. Dagegengehalten wird trotzdem selten. Zumal — auch das muss man aus Journalistensicht durchaus einräumen — speziell bei Redaktionen der Altersschnitt gerne mal jenseits der 40 liegt. Und dass Kollegen dieses Alters nicht immer begeistert sind, sich nochmal auf völlig neue Dinge einzulassen, wer wollte das bestreiten? Ganz und gar kein Journalistenphänomen, das.

Interessant  und auch durchaus neu ist allerdings, dass auch die großen, überregionalen Blätter wie die SZ oder die FAZ inzwischen mit Auflagenschwund zu kämpfen haben. Ebenfalls: nicht dramatisch, keine Zahlen, die sofort alle Alarmglocken schrillen lassen. Aber eben doch Zahlen, die belegen, dass es auch für sie mit den Auflagen nicht mehr nach oben gehen wird, so sehr sie sich auch mühen werden. Überleben? Ja doch, mit guten Onlineangeboten, mit gutem Journalismus für Tablets, die zu den  Datenträgern und Ausspielkanälen der Zukunft werden dürften. Die Prognose sollte nicht zu gewagt sein: So, wie momentan noch in jedem gepflegten Haushalt Printerzeugnisse auf dem Wohnzimmertisch liegen, werden in zehn Jahren die elektronischen Lesegeräte Standard sein. Man kann sich dort jetzt einen guten Platz sichern, man kann es auch lassen. Erstaunlich jedenfalls ist, wie wenig Stellenwert viele Häuser diesem Markt immer noch beimessen, auch die überregionalen Zeitungen tun sich dort im Regelfall nicht durch übertriebenes Engagement hervor. Wann kommt eigentlich mal ein großes deutsches Blatt mit einem richtig großen Wurf? Bisher muss man sich ja freuen, wenn man das Attribut „solide“ vergeben darf, bei manchen klugen Köpfen langt es nicht einmal dafür.

Sicher ist: Noch hätten die meisten ihr Überleben durchaus selbst in der Hand. Interessiertes Zuschauen, wie sich etwas entwickelt, hat allerdings bisher noch niemanden gerettet. Zumal sich speziell mit der Entwicklung der Tablets auch anderes gezeigt hat. Spätestens jetzt ist die Geschichte von den langen und hintergründigen Texten, die man ja doch nur gedruckt ordentlich genießen kann, eine Mär.  It´s the story, stupid.

(Dieser Beitrag ist auch deswegen entstanden, weil ich am 19.4. zu diesem Thema auf einem Panel in Hannover u.a. mit dem Vorsitzenden des BDZV, Helmut Heinen, diskutieren werde.) 

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Marian Semm

    Der Auflagenschwund ist eigentlich nicht das dramatische – das geht so seit Anfang der 80er Jahre in überschaubarem Ausmass. Faustregel -1% pro Jahr. Wesentlich kritischer: Der Rückgang von Anzeigenerlösen seit Beginn des neuen Jahrtausends. Faustregel: Im Schnitt -4% pro Jahr. Die Zeitung stirbt ihren Tod also sicher nicht im Lesermarkt.

    MS

  2. cjakubetz

    Stimmt, zumal nach allem, was man so hört, die Prognosen für 2012 ausgesprochen unangenehm sind.

  3. Markus Kaiser

    Gute Situationsbeschreibung, aber natürlich kann man die Situation auch differenzierter betrachten.

    1) Die gedruckte Zeitung wird sich immer schwerer tun, die Zeitung als Marke wird nicht verschwinden (Das Wichtige ist schließlich der gedruckte Inhalt, nicht der Vertriebskanal)

    2) Zeitungen werden nur dann bedeutend bleiben oder sogar an Bedeutung wieder zunehmen, wenn sie a) auf originäre Themen setzen (fast keine Pressekonferenz-Berichte mehr, keine Pressemeldungen abdrucken), b) wieder mehr Wert auf Recherche legen (dazu unbedingt auch soziale Netzwerke nutzen), c) sich auch sprachlich dem jüngeren Publikum anpassen (siehe z.B. Erfolg von NEON). Stichwort von a) bis c) Qualitätsjournalismus.

  4. Steffen Greschner

    Gerade Lokalzeitungen tun sich schwer im Umgang mit dem Netz. Das liegt zum Einen an der angesprochenen Alterstruktur und zum Anderen einfach daran, dass es niemand von ihnen einfordert. In vielen Gebieten gibt es die eine Zeitung und das eine Anzeigenblatt. Beide kommen aus dem gleichen Verlag und beide machen Print. Das ist keiner, der es anders vormacht. Bürgermeister und Co. können darauf auch sehr gerne verzichten. (Das Netz ist im Lokalen für fast alle „mit Einfluss“ erstmal unheimlich und böse:)

    @Markus Kaiser: Zur Qualitätsdebatte habe ich eine etwas andere Meinung. Die Pressemeldung hat im lokalen einen echten Wert. Nur, dass man sie online besser 1:1 als PDF einstellt und auch so kommuniziert. Das ist für mich Anspruch und Qualität. Die Mühe des Umschreibens ist schlichtweg Leser verarschen.

    Originäre Themen schön und gut. Zeitungen sollten aber vor allem lernen zu linken, wenn es ein anderer schon gut gemacht hat. Schönes Beispiel ist hier: http://www.tegernseerstimme.de/eine-hochschule-im-tegernseer-tal/37457.html Der Originalartikel wird nur angeteasert und verlinkt. Die Diskussion dazu findet trotzdem auf dem Lokalblog und nicht bei der Zeitung statt.

    Es geht für mich darum einen neuen Weg zu finden, bei dem ich mit dem Leser auf Augenhöhe bin und ihn über das informiere, was sich um ihn herum tut. Qualitätsjournalismus heißt für mich darum auch, dass das Informationsbedürfnis des Leser vor jedes Konkurrenzdenken gestellt wird.

    Das Gleiche gilt für Fehler in der Recherche. Die können passieren und das ist auch nicht schlimm – solange man sich mit dem Leser darüber unterhält. Man kann es im Nachgang immer noch besser machen, Artikel updaten, Rechercheschritte transparent offenlegen. Man muss nicht aus jedem Scheiß einen neuen Artikel zaubern. Oft tut es ein zweizeiliges Update über den Ursprungsartikel. Das ist eine neue Form der Aktualität, die dem Journalisten viel Zeit spart und dem Leser erspart, dass er das Gefühl hat, den Großteil der Geschichte längst zu kennen.

    Sprache muss nicht zwanghaft jung, sondern einfach direkt und ehrlich sein. Sprachliches Geschwurbel überhöht den Inhalt und die vom leser gefühlte Arroganz der Journalisten. Die beste Nachricht ist für mich, wenn sie nah an der „ausformulierten Email“ an einen Freund ist. Sachlich und freundlich.

    Es gibt viel zu tun! 😉

  5. Sascha Borowski

    Ein guter Text, in der Tat. Dennoch lässt auch er die Kardinalfrage außen vor – und das ist die einzige Frage, um die es geht: Wie schaffen wir es, dass die Menschen für sorgfältig und professionell erarbeitete (Lokal- und Regional-)Nachrichten in den digitalen Kanälen bezahlen? Hier fehlen einfach die überzeugenden Antworten bisher – übrigens auch in diesem Blogeintrag…

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