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Die E-Paper-Dinos und das Rendezvous mit dem Schrotthaufen

Der Richter am Landgericht Köln könnte einem leid tun: Oft und klar genug hatte er im Vorfeld der Verhandlung der Klage von acht Zeitungsverlagen gegen die App der „Tagesschau“ betont, eigentlich kein Urteil sprechen zu wollen. Die Verlage blieben bei ihrer Klage – und bekamen jetzt das, was diese Klage verdient: Ein Urteil, das keines ist. Zwar entschied das Gericht, dass die App in der Fassung vom 15. Juni 2011 gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstoße und ein Unterlassungsanspruch der klagenden Verlage gerechtfertigt sei. Aber: eben nur diese eine App, eben nur von diesem einen Tag. Ein genereller Unterlassungsanspruch ergibt sich daraus also nicht, wie das Gericht ausdrücklich betonte – und ein wie auch immer geartetes „Verbot“ der App schon gleich gar nicht. Das mag man sich jetzt aus Sicht des Klägers irgendwie schönreden, tatsächlich aber ist seit diesem Tag im Juni einiges passiert, die App der Tagesschau reduziert worden, kurz gesagt: Das Gericht urteilte über ein Produkt, wie es inzwischen gar nicht mehr existiert.

Von der rechtlichen Bewertung abgesehen (persönlich finde ich ja, dass sich das Gericht ausgesprochen elegant aus der Affäre gezogen hat) – es wäre sehr viel interessanter, sich dem Thema mal von der praktischen Seite her zu nähern. Von den Konsequenzen also, die es hätte, wenn es denn so käme und die Tagesschau die App so gestalten müsste, dass sogar der lauteste FAZ-Schreihals zufrieden ist, der hinter jeglicher Aktivität öffentlich-rechtlicher Sender die baldige Einrichtung einer Staatspresse wittert. Und schauen wir zudem doch auch mal, wie die um ihren eigenen Erhalt so lautstark buhlende Qualitätspresse mit dem Urteil journalistisch umgeht. Die Zeitung der klugen Köpfe beispielsweise behauptet nunmehr befreit von allen journalistischen Maßstäben, das Urteil sei ein „Sieg der Verlage“, das Urteil aus Köln sei „überraschend klar“, die App sei generell presseähnlich, das dürfe demnach nicht sein. Da wüsste man schon gerne, ob der Autor das Urteil wahlweise nicht verstanden oder nicht gelesen hat. Oder ob sie in Frankfurt so gejubelt haben, dass die Feinheiten des Urteils ein wenig untergegangen sind. Oder ob das Wunschdenken jetzt schon so ausgeprägt ist, dass alle anderen Aspekte ausgeblendet werden. (Die Kollegen der SZ haben das übrigens sehr viel sauberer und differenzierter getan, obwohl auch der Süddeutsche Verlag zu den Klägern gehörte).

Aber wenn wir schon bei der FAZ sind und ihr diese kleinen journalistischen Unsauberkeiten mal freundlich nachsehen – was würde denn jetzt wohl passieren, wenn die Tagesschau-App verboten würde (was das Gericht ja kategorisch ausgeschlossen hat)? Man darf ja davon ausgehen, dass es den klagenden Verlagen nicht nur um die generelle Einhaltung des Rundfunkstaatsvertrags ging, sondern in erster Linie darum, unliebsame und kostenlose Konkurrenz irgendwie zu unterbinden. Die stark vereinfachte Logik lautet: Wenn die Leute die kostenlose Tagesschau-App nicht mehr nutzen, dann bezahlen sie Geld für die FAZ-App. Das wäre sogar wenigstens ein bisschen nachvollziehbar, wenn es ein vergleichbares Angebot der FAZ gäbe. Das ist nur leider ganz und gar nicht so. Die Tagesschau-App sieht nämlich so aus:

Die FAZ präsentiert sich auf dem Tablet so:

Kurz zusammengefasst also mehreres: Die „Tagesschau“ bietet eine multimediale, interaktive, journalistisch hochwertige App. Die FAZ bietet ein e-Paper. Die „Tagesschau“ hat für ihr Angebot einen Grimme-Preis bekommen, bei der FAZ käme vermutlich nicht mal Frank Schirrmacher auf die Idee, einen solchen für ein e-Paper zu fordern. Die Tagesschau-App läuft (zumindest bei mir) einwandfrei, die der FAZ stürzt ab (zumindest bei mir) und berechnet dann auch gerne mal den Preis von 10 für 1. Wenn man also den rechtlichen Aspekt außen vor lässt, dann ist es schon erstaunlich, dass die FAZ ihre App überhaupt als Konkurrenz oder als Alternative zur Tagesschau sieht. Oder nochmal andersrum gedacht: Wenn ich die multimediale App der Tagesschau nicht mehr bekomme, lese ich stattdessen ein e-Paper? Die FAZ will Multimedia verhindern, um Monomedia durchzusetzen? Oder welche tiefere Sinn steckt dann hinter der Klage?

Bevor das hier zu polemisch wird: Natürlich wird die FAZ (oder wer auch immer) keine  einzige App mehr verkaufen, wenn die „Tagesschau“ jetzt irgendwie weniger Texte veröffentlichen darf. Der weitgehende Misserfolg im digitalen Geschäft vieler Verlage (auch bei den klagenden) ist ja nicht der herausragenden Stärke der Konkurrenz, sondern der eigenen Schwäche geschuldet. Was stattdessen passiert: Mit sinnlosen Klagen gegen die Öffentlich-rechtlichen oder auch für ein Leistungsschutzrecht werden Innovation und Multimedialität blockiert statt entwickelt. Deutschland wird irgendwo ins graue Mittelfeld digitalen Publizierens geschleudert – von denjenigen, die ansonsten in ihren Publikationen lautstark fordern, wie sehr sich das Land und manchmal sogar nur irgendwelche armen Hartz4-Empfänger anpassen und erneuern müssten. Sie selbst hingegen wollen das Bewährte bewahren, zur Not mit irgendwelchen Klagen. Es ist dieses seit Jahren anhaltende Muster, das so ärgerlich ist. Und dass letztlich (das ist ja wieder das Tröstende daran) dafür sorgen wird, dass die E-Paper-Protagonisten irgendwann genauso auf dem Müllhaufen der Geschichte landen werden wie die Industriedinos, denen sie das in ihren klugen Leitartikeln immer prophezeit haben.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Ulf J. Froitzheim

    So sauber (im Sinne von unparteiisch) fand ich das in der SZ jetzt nicht – erst recht nicht, nachdem ich Deinen Text gelesen habe. Für einen Bericht war das zu wertend (und klar pro domo).

  2. cjakubetz

    Nein, nicht wirklich sauber. Aber wenigstens in der Tendenz richtig (nämlich, dass der Streit alles andere als entschieden ist). Nach Lektüre der FAZ musste man ja meinen, die Sender lägen blutig geschlagen im Staub.

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