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TV, abgeschafft

Bei Amazon kann man jetzt auch fernsehen. Das heißt, natürlich nicht das, was wir unter klassischem TV verstehen. Im Sinne von: Man setzt sich vor einen großen Kasten in der Mitte des Wohnzimmers und wartet darauf, was an manchmal mehr und meistens weniger Gutem kommt. Stattdessen können ab sofort alle Prime-Mitglieder zu einem leicht erhöhten Jahrespreis (49 statt 29 Euro) unbegrenzt auf die gesamte Amazon-Videothek zugreifen. Gemessen an dem, was Konkurrenten wie Maxdome oder Watchever an Preisen aufrufen: ein Kampfpreis, ein Schnäppchen.

Und damit würde ich Ihnen jetzt erst einmal gerne von meiner TV-Woche berichten. Das heißt, eigentlich habe ich es mir schon lange abgewöhnt, klassisches Fernsehen einzuschalten. Aber aus Gründen hat es sich einfach so ergeben, dass der Fernseher in dieser Woche ziemlich oft lief. Gesehen in einer Mischung aus Neugier und Ekelfaszination habe ich u.a. das Folgende:

Ein schleimbeuteliger Mann ist mit vier Frauen in einem Fickschloss eingesperrt, drei knutscht er nieder, eine nicht. Jede Woche muss jetzt eines der blonden Barbiepüppchen das Haus verlassen. Am Ende bleibt eine und ist dann die Liebe für den Rest des Lebens des sogenannten Bachelors.

Irgendwo anders treffen sich adipöse Menschen.  Sie werden ziemlich geschunden und ab und auch mal vorteilhafter gestylt. Wer am Ende etwas weniger adipös ist, ist der „biggest Loser“.

Günther Jauch stellt Quizkandidaten Fragen.

Günther Jauch stellt Politikern Fragen.

Thomas Gottschalk spricht mit Promis über deren Schulzeit.

Ein Trailer kündigt an, dass Günther Jauch und Thomas Gottschalk mit Kandidaten Spiele spielen.

In einer Arztpraxis wird ein Penis in Großaufnahme behandelt, bei dem irgendwas kaputt gegangen ist.

In einem Jugendknast sitzen Menschen, bei denen etwas mehr kaputt gegangen ist.

In Köln, Mainz und Veitshöchheim werden Menschen gezeigt, die eigenartige Kostüme tragen und über flache Witze lachen.

Oliver Kahn spielt Oliver Kahn.

Täglich eine Talkshow.

Und natürlich könnte ich noch eine ganze Zeit so weiter machen. Aber erstens möchte ich gerne Ihre Nerven schonen, zum anderen habe ich das Experiment „Eine Woche ganz normales TV“ dann doch eher wieder abgebrochen. Es ging einfach nicht mehr.

Damit kommen wir dann wieder zurück zu Amazon. Und zu Apple, zu Netflix, zu Maxdome und Watchever. Und zu der unausweichlichen Konsequenz, dass wir es zunehmend mit einem Zwei-Klassen-TV zu tun bekommen.

Das eine, das hochwertig, ständig verfügbar ist, Geld kostet, aber gemessen an dem, was man alleine monatlich an Rundfunkgebühr bezahlt, dann doch wieder günstig ist.

Und das andere: wahlweise öffentlich-rechtliches Anstalts-TV, das Mainzer Karneval für lustig, Gundula Gause für seriös und eine „Münchner Runde“ für heimatverbunden hält. Oder aber privates Fernsehen, dass wenigstens so ehrlich ist und gar keinen Hehl daraus macht, zu diesem Zwecke auch Penisse in Großaufnahmen und dicke Menschen beim Abnehmen zu senden. Dass die einen gerne mit den Fingern auf die anderen zeigen, kann man mit einem Schulterzucken abtun, weil das Publikum, dass sie alle gerne hätten, sich abgewendet hat und es weiter und in verstärktem Tempo tun wird.

Ja, natürlich kenne ich das Argument: Wenn man sucht, findet man jeden Tag im TV Perlen. Das ist ganz bestimmt so – und genau das ist auch die Crux: Ich muss suchen, ich muss jede Menge Müll und Langeweile durchwühlen, um irgendwo vielleicht mal etwas zu entdecken, was gut sein könnte.

Dagegen das: Heute Abend ist „House of Cards“-Hardcoreabend angesagt. Ganz ohne Fernseher.

Fernsehen ist immer noch das Leitmedium Nummer 1 sagen die, die es machen. Mag sein. Aber die Prognose ist nicht allzu gewagt: keine zehn Jahre mehr und TV ist das Nebenbeimedium Nummer 1. Bedeutungslos, vor sich hinplätschernd, bunt flimmernd und nett, wenn man es hat.

Muss man aber nicht. Wirklich nicht.

 

 

 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Dierk

    Nebenbeimedium ist es schon lange. Das widerspricht nicht einmal der überheblichen Selbsteinschätzung der TV-Macher [vermutlich vor allem der ÖRs, die privaten darben schon so lange, die haben bestimmt was gemerkt]. Was RTL schon seit mindestens 15 Jahren weiß – Flimmerkiste läuft nebenher beim Bügeln -, ist natürlich schrecklich für die Macher seriösen Programms.

    Ich vermute allerdings, dass auch die Leitmedialen genau wissen, dass sich kaum jemand aktiv mit dem Gebotenen auseinandersetzt. Warum sonst läuft da Nebenbeiprogramm wie Karneval, Wintersport, Kochen, „Volks“musiziergeschnacksel, Fußball, Zoogeschichtlein, Kochen, Sommersport, BUNTE-GALA-Promifensterln, Fußball, Kochen …

    Die interessanten Dinge, die Reportagen, die Dokumentatione, die echten Diskussionen, und und und werden bei arte, Phoenix und 3sat versteckt. Und auch dort in Dauerschleife wiederholt [besonders arte fällt da dumm auf]. Die Macher wissen, dass sie niemandem mehr etwas bieten. Ganz genau wissen die das.

  2. Selektivgucker

    Die Perlen findet man z.B. mit Hilfe des TV-Agenten von TVinfo.de doch sehr einfach und das sogar, wenn man mit Tablet, Smartphone & Co. unterwegs ist. Ich nutze das Fernsehen dadurch selektiv und bekomme dadurch nützliche Dinge mit und inspiriert zu werden. „On demand“ würde ich diese Dinge gar nicht entdecken. Man braucht eben das richtige Werkzeug wie z.B. Tvinfo.de … Schöner Artikel, danke dafür.

  3. Horatiorama

    Sehr richtig. Übrigens lohnt sich auch ein Blick aufs deutsche Radio. … Richtig! Da war doch was. Radio ist das Gedudel beim Friseur oder von der Baustelle gegenüber, das einem ob seiner mangelnden Qualität die Laune versauen kann. Wenn Radio nicht den Weg einer konsequenten echten Regionalisierung geht (sondern vor allem mit Sendebereichen und Anstalten regional tut), dann wird sich das auch erledigt haben, sobald IP durchweg das Übertragungsprotokoll der Wahl ist und Spotify oder andere redaktionelle Beiträge produzieren (so wie Netflix eben jetzt Film macht). Ich würde mal vermuten, dass das Radio noch vor dem Fernsehen in Bedeutungslosigkeit versinken wird. Mal schauen…

  4. Flo R

    Ich bin mal gespannt wie lange die TV Landschaft in Deutschland noch die Augen vor der Realität verschliessen kann. Ich bekomme heute für einen Bruchteil meiner GEZ Gebühren ein unendlich viel besseres Angebot on demand bei Netflix. In meinen Augen müsste der GEZ Dinosaurier langsam ausgedient haben.

    liebe Grüße und toller Beitrag
    Der Flo

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